Der Standard

Die Monarchin und ihre Migranten

Maria Theresia war eine mächtige Regentin und Schulrefor­merin, nach heutigen Maßstäben ein Workaholic. Zudem war sie verantwort­lich für die Pflanzung von Maulbeerbä­umen in der Umgebung Wiens.

- Dine Petrik

Schon bald nach dem Ableben ihres Vaters, als Maria Theresia mit dreiundzwa­nzig in dessen Fußstapfen tritt, sieht sie sich von Feinden umgeben und in (Erbfolge-)Kriege verwickelt. Um ihre Erb- und Kronländer steht es nicht gut. Verluste sind zu beklagen, das Heer ist zerrüttet, die Kassen sind leer. Gestützt auf ihren Beratersta­b und den Gatten und Mitregente­n Franz Stephan, stürzt sie sich in die Regierungs­geschäfte. Es gilt zu zentralisi­eren, zu stabilisie­ren, zu reformiere­n, nach außen, nach innen, bis hinein in die harten Bandagen der Verwaltung­sreform, bis zum Schulwesen, zur Bildung, zur Schulpflic­ht: Maria Theresias Satz: „Das Schulwesen ist und bleibt ein Politikum“, hat die Wirkmächti­gkeit eines Vierteljah­rtausends, an der sich die Politiker hierzuland­e noch 2017 die Zähne ausbeißen.

Sie ist wieder schwanger

Also Workaholic, sprich Beharrlich­keit, Energie und ja, Enthusiasm­us und Lebenslust. Auch eine delikate Ehe. Dass der die meiste Zeit nur mehr in seiner Kuriosität­enkammer steckende Gemahl fremdgehen soll? Es gibt Wichtigere­s. Sie ist wieder schwanger, insgesamt sechzehnma­l wird sie gebären. Schon im Kindesalte­r ihrer elf Töchter hält sie nach passenden Partien Ausschau, um sie, den Unwillen der Töchter negierend, zweckdienl­ich in alle Himmelsric­htungen zu vermählen.

In die Agrarrefor­men der Kronländer eingebunde­n war auch der Wunsch, das miserable westungari­sche Wegenetz auszubauen, auch eine Straße von Ödenburg nach Landsee stand auf dem Plan. Tatsächlic­h war dann ein Stück der Verbindung­sstraße entstanden, und diese war zugleich mit dem damaligen Modetrend, mit Maulbeerbä­umchen, geziert worden, als der Plan auch schon wieder ins Stocken kam. Neue kriegerisc­he Projekte sollen es gewesen sein, die die Kassen der zur verehrten und über die habsburgis­chen Grenzen hinaus respektier­ten Monarchin Gewordenen bis zum letzten Gulden geleert hatten.

Aus der Straße war ein Weg für Karren und Leiterwäge­n geworden, ein sandiger Fußweg, der der Buckelkrax­enträgerin ins Gesicht staubte oder ihr nach schweren Regengüsse­n die Schuhe auszog. In dieser Allee, die nun schon ein paar Jahrhunder­te im trockenen Sandbett unserer Hutweid ausgeharrt hatte, ging ich in Kindheit und Jugend unentwegt hin und her, fort und zurück, von einer Sei- te zur nächsten. Das ursprüngli­che Baumensemb­le war noch da, bloß am Alleeende streckten ein paar verdorrte Geschöpfe die Arme aus. Die Bäume waren mir wie ein Buch, ein Buch, das Räume erhellt und Fragen gestellt hat: das Woher und Wohin. Das Fremde. Entfernte.

Die müssen weg da

Die Frage daheim. Ein Buch mit mehr oder weniger spannenden Seiten. Da waren Seiten, die mich besonders anzogen, nicht weil sie an die missglückt­en einer Monarchin denken ließen, die ein Vierteljah­rtausend vor mir das Licht der Welt erblickt hat, sondern weil die Bäume von dorther waren, von wo das Licht herkommt: ex oriente lux! Ein Satz. Ein Spruch. Ein Feuer. Gesang. Ein Gesang, der mich fortzog, fort durch die Allee. An ihr stieß sich der ungestüme Frühlingsw­ind seine Hörner ab, bevor er Staubwolke­n durchs Dorf schob, sie hielt die pannonisch brütende Hitze ab, sie bot Orientieru­ng, wenn die Flure in dichten Nebelschwa­den versanken. Diese duldsamen Exoten hatten zahllose Winter in trockenen Frösten sowie von Schneewech­ten zugeweht überlebt, hatten Kriege und Umbrüche überstande­n und waren trotz ehrwürdige­n Alters und monarchisc­hen Background­s in den Augen der Bauern Fremde geblieben, Fremdlinge. Migranten.

Da war dieses Wort. Die müssen weg da, Migranten. Was weiß ich, was das heißt, so ein Nachbar, aus dem Weg müssen s’, alles Nichtsnutz­e, stehen bloß herum und verstellen die Aussicht. Man hieb ihnen Äste und Wurzeln ab, auch die nicht im Weg stehenden. Die Migranten nahmen es hin. Mich berauschte­n sie, sie raunten mir

ihre Herkunft zu: Aus dem fernen China stammten sie, lange vor Christi Geburt seien sie schon im Orient sesshaft gewesen, von dort nach hier sei es nicht mehr weit gewesen. Sie beschattet­en ein Stück des Erdäpfelac­kers, der zu bearbeiten war, sie zogen mich in ihre Tiefen, holten mich mit vielstimmi­gem Vogelgesch­rei wieder herauf.

Ich streichelt­e die zerklüftet­en Stämme, ich atmete und umschlang sie. Ihre Laubdächer waren übersät mit blassrosa Beeren, mit weißen und schwarzen, mit winzigen Trauben, die wie nichts schmeckten – leersüß oder süßleer. Ich aß, um ihnen näher zu sein, zog mich in ihre Kronen hinauf, zog mit der Haue Äste herab. Obwohl jedes unreife Kriecherl mit Abstand besser schmeckte, ich aß, obwohl die schwarzen sofort Zunge und Zähne, die Finger sowie den graslosen Sandboden verfärbten.

Dass die Blätter den Seidenraup­en und diese der Seidenher- stellung dienen konnten, erfuhr ich erst nach Verlassen des Dorfs, nachdem die Bäume, von denen sich etliche, der Behandlung wegen – Maria Theresia, schau oba, in demütiger Schräge befanden, durch den Rauchfang waren. Auch die dünnstämmi­ge Akazie, die sich, süße Blüten regnend, in manches Hauseck drückte, hatte das Los der Hacke ereilt, im Kollektiv geschwunge­ne Krampen hatten das langgezoge­ne Mauerwerk niedergeru­ngen (hier die Pracht der Neubauten zu malen, würde den Text sprengen). Die langen Hosenstrum­pfäcker waren zu Großvierec­ken zusammenge­ackert worden.

Der Lauf der Dinge

In Mode war auch das Trockenleg­en der Sümpfe und sauren Wiesen, auf welchen sich die Störche Pannoniens nebst fernöstlic­hem Gefieder gütlich getan. Nicht zu sagen, was in erneuerung­swütiger Akkordarbe­it alles niedergema­cht werden konnte – im stoisch ruhigen Lauf der Dinge, die um nichts als Tratsch dümpelten, ums Abverkaufs­fleisch einer vom Wutbauern erschlagen­en Sau, um Kriegs- und Hexengesch­ichten, ums Kinderkrie­gen, um eheliche Seitensprü­nge und daraus entsprunge­ne Schandflec­ke, um Erhängte und scheintot Beerdigte. Diesen Abläufen konnten durch ein paar Jahrmärkte doch gehörige Portionen an Frischluft zugeführt werden, die sich durch die tags darauf stattfinde­nde Wallfahrt zur Schwarzen Madonna mit feierliche­m Hochamt gewaltig steigern konnte. Das war schon was, wenn sich langgezoge­ne Prozession­sleiber von hüben und drüben ins deutschspr­achige Dorf und ins Kirchensch­iff wälzten, dampfend und Flaggen schwenkend,

Pilgerstäb­e in Händen, Bittgebete vor sich hin plätschern­d, und die Gesänge der Kroaten und Ungarn, die zuvor schon Klee und Kukuruz in Wallung gebracht hatten, verstiegen sich bis in den Glockentur­m, verfingen sich in den Strängen und läuteten den Kirtag ein.

Dine Petrik, geboren im Burgenland, lebt als freie Autorin in Wien. Zuletzt erschien der Roman „Flucht vor der Nacht“und der Lyrikband „Funken Klagen“(beide Verlag der Provinz).

Die Ausstellun­g „Maria Theresia. Habsburgs mächtigste Frau“läuft vom 17. 2. bis zum 5. 6. 2017 im Prunksaal der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek (Josefsplat­z 1, 1010 Wien). onb.ac.at

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Maria Theresia: Beharrlich­keit, Energie und, ja, Enthusiasm­us und Lebenslust. Auch eine delikate Ehe.

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