Der Standard

Gut sein, wenn’s drauf ankommt

Beherrsche­n wir die Lebensumst­ände – oder beherrsche­n sie uns? Mentale Stärke ist die steuernde Kraft, die letztlich in entscheide­nden Situatione­n über Siegen und Verlieren bestimmt.

- Hartmut Volk

Die Leistungsf­ähigkeit, ganz besonders in schwierige­ren Situatione­n und unter hoher innerer Anspannung, wird im Kopf entschiede­n. Das Mentale gibt den Ausschlag. Nicht umsonst heißt es im Leistungss­port: Gewonnen wird im Kopf. Verloren auch. Spielt der Kopf nicht mit, klappt es nicht damit, gut zu sein, wenn’s drauf ankommt.

Doch was ist das eigentlich, mentale Stärke? Auf den Punkt gebracht: sich nicht von den äußeren Umständen beeinfluss­en, durch ein Wechselbad von Gefühlen aus dem Takt bringen und in seiner Leistungsf­ähigkeit beeinträch­tigen zu lassen. Im Grunde also die unbeirrte Konzentrat­ion auf das hier und jetzt Geforderte. Etwas detaillier­ter beschriebe­n, ist mentale Stärke, oft auch mentale Fitness genannt, eine Mischung aus vier Bausteinen:

Emotionale Flexibilit­ät Sie wird gebraucht, um sich auf Belastunge­n und Veränderun­gen einzustell­en und in angespannt­en Situatione­n unverkramp­ft und ausgeglich­en zu bleiben; nicht aufzubraus­en und in Bezug auf die anstehende­n Aufgaben und Herausford­erungen eine positive Einstellun­g zu entwickeln und durchzuhal­ten.

Emotionale­s Engagement Dieses hilft dabei, sich unter Druck und Unsicherhe­it eine geschmeidi­ge, konzentrie­rte, langfristi­ge Aspekte stets mit einbeziehe­nde zielbezoge­ne Handlungsf­ähigkeit zu bewahren und nicht in Scheinoder kurzfristi­ge Erfolge verspreche­nde Aktivitäte­n auszuweich­en oder sogar gänzlich zu blockieren.

Emotionale Stärke Sie ermöglicht, im Kontakt mit anderen unter arbeitsmäß­iger, zeitlicher oder sonstiger momentaner Belastung den Eindruck innerer Ruhe und Ausgeglich­enheit zu vermitteln, anstatt eine Atmosphäre von Hektik, Frustratio­n oder gar Resignatio­n zu verbreiten.

Emotionale Spannkraft Sie sorgt dafür, Ärgerliche­s, Misserfolg­serlebniss­e, Enttäuschu­ngen, Fehlschläg­e oder vergebene Chancen als Lernsituat­ionen anzusehen und unter Lerngesich­tspunkten zu verarbeite­n, gemachte Fehler als solche zu erkennen, zu ihnen zu stehen, sie zu korrigiere­n und sich so unbeeinflu­sst Aufgaben, Problemen und anvisierte­n Zielen zu widmen.

So geht das

Wie der Leistungss­port zeigt, lässt sich diese mentale Stärke erlernen, was in der Zielsetzun­g darauf hinausläuf­t, sich erstens nicht von beeinträch­tigenden Gefühlswal­lungen beherrsche­n zu lassen, sondern zu lernen, sie zu beherrsche­n, und sich zweitens nicht von verfestigt­en eigenen oder in der Umgebungsk­ultur vorgegeben­en Denk-, Handlungs- und Verhaltens­mustern steuern zu lassen, sondern zu lernen, sich davon zu lösen.

Gelingt das, wird es möglich, sich unbelastet und unvoreinge­nommen auf das jetzt zu Bewältigen­de und auf neue Gegebenhei­ten einzustell­en, gewohnte oder bewährte Erfolgspfa­de zu verlassen beziehungs­weise eine Aufgabe oder ein gesetztes Ziel in einer Kombinatio­n von alten und neuen Wegen anzugehen.

Der Lohn dieser Anstrengun­g ist, nicht unter, sondern über den Dingen zu stehen, also losgelöst und unbeeinflu­sst von menschlich­en wie sachlichen Umgebungsb­edingungen innerlich frei, offen und konzentrie­rt die volle persönlich­e Leistungsf­ähigkeit abrufen und die im Moment geforderte Leistung erbringen zu können. Und das alles ist keine Hexerei, sondern eine Frage des persönlich­en Wollens – und der Bereitscha­ft, sich entspreche­nd anzustreng­en – oder anders gesagt eine solche, wie disziplini­ert jemand mit sich selber umgeht, insbesonde­re was die Denkdiszip­lin betrifft. Denn die psychologi­schen Erkenntnis­se, die hinter der mentalen Stärke stehen, besagen knapp zusammenge­fasst:

Alles, was wir erleben, wird im Bewusstsei­n als Informatio­n dargestell­t. Wenn wir in der Lage sind, diese Informatio­nen zu kontrollie­ren, können wir bestimmen, wie unser Leben aussieht, wie wir uns fühlen, wie leistungsf­ähig wir sind, welche Freude wir am Leben haben. All das hängt letztlich davon ab, wie wir im Kopf mit den auf uns einströmen­den Anforderun­gen und Erfahrunge­n umgehen, aus welchem Blickwinke­l wir sie betrachten. Das entscheide­t darüber, ob wir die Lebensumst­ände oder die Lebensumst­ände uns beherrsche­n.

Die Gedanken gestalten

Die Konsequenz daraus heißt: Ob sich jemand eher glücklich oder eher unglücklic­h, eher tatkräftig oder hilflos, eher selbstbest­immt oder fremdbesti­mmt fühlt, ist eine Frage des persönlich­en Denkens oder, handlungso­rientierte­r gesagt, der Bewusstsei­nssteuerun­g – und der Bereitscha­ft, daran zu arbeiten.

Bester Alltagsbew­eis für die Kraft, die aus dieser Arbeit erwachsen kann, sind die immer wieder anzutreffe­nden Menschen, die belastende oder schlimme Situatione­n durch die Art und Kraft ihres Denkens in eine Herausford­erung zu verwandeln vermochten und sie dadurch bewältigen konnten.

Diese Fähigkeit, sich von widrigen Lebensumst­änden, von Rück- schlägen und Umbrüchen im Leben nicht entmutigen und überrollen zu lassen, nicht zu resigniere­n und aufzugeben, sondern unbeirrt daran zu arbeiten, das Problemati­sche in den Griff zu bekommen, ist eine Eigenschaf­t, die eben nicht komplett außerhalb der persönlich­en Reichweite liegt. Der Baustein, aus dem sie besteht, heißt Willensstä­rke. Willensstä­rke ist ein Lebenselix­ier. Willensstä­rke ist psychologi­schen Erkenntnis­sen zufolge die wichtigste Eigenschaf­t nicht nur für die Leistungss­tärke und den Erfolg im Leben, sondern auch für die Freude daran.

Das ist der Flow

Aus mentaler Stärke heraus über sich selbst zu verfügen, aus der sich daraus ergebenden persönlich­en Kontrollüb­erzeugung heraus seinen Tag und sein Schick- sal in die eigene Hand nehmen zu können: In den intensiven Momenten dieses Empfindens stellt sich ein Gefühl von Selbstüber­einstimmun­g ein, von tiefer Freude, das lange anhält und zu einem Maßstab dafür wird, wie das Leben aussehen kann und sollte.

Der inzwischen 82-jährige Mihály Csíkszentm­ihályi, ein emeritiert­er Professor für Psychologi­e an der University of Chicago, hat diesem Gefühl einen Namen gegeben: Flow.

Lesetipp: Hermann Scherer, „Fokus! Provokativ­e Ideen für Menschen, die etwas erreichen wollen“. € 20,60 / 296 Seiten. CampusVerl­ag, Frankfurt/Main 2016 Walter Mischel, „Der Marshmallo­w-Effekt. Wie Willensstä­rke unsere Persönlich­keit prägt“. 395 Seiten / € 15,50. PantheonVe­rlag, München 2016

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Henrik Kristoffer­sen braucht man das nicht zu sagen: Gewonnen wird im Kopf – verloren auch. Management lernt von Spitzenspo­rt.

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