Gut sein, wenn’s drauf ankommt
Beherrschen wir die Lebensumstände – oder beherrschen sie uns? Mentale Stärke ist die steuernde Kraft, die letztlich in entscheidenden Situationen über Siegen und Verlieren bestimmt.
Die Leistungsfähigkeit, ganz besonders in schwierigeren Situationen und unter hoher innerer Anspannung, wird im Kopf entschieden. Das Mentale gibt den Ausschlag. Nicht umsonst heißt es im Leistungssport: Gewonnen wird im Kopf. Verloren auch. Spielt der Kopf nicht mit, klappt es nicht damit, gut zu sein, wenn’s drauf ankommt.
Doch was ist das eigentlich, mentale Stärke? Auf den Punkt gebracht: sich nicht von den äußeren Umständen beeinflussen, durch ein Wechselbad von Gefühlen aus dem Takt bringen und in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigen zu lassen. Im Grunde also die unbeirrte Konzentration auf das hier und jetzt Geforderte. Etwas detaillierter beschrieben, ist mentale Stärke, oft auch mentale Fitness genannt, eine Mischung aus vier Bausteinen:
Emotionale Flexibilität Sie wird gebraucht, um sich auf Belastungen und Veränderungen einzustellen und in angespannten Situationen unverkrampft und ausgeglichen zu bleiben; nicht aufzubrausen und in Bezug auf die anstehenden Aufgaben und Herausforderungen eine positive Einstellung zu entwickeln und durchzuhalten.
Emotionales Engagement Dieses hilft dabei, sich unter Druck und Unsicherheit eine geschmeidige, konzentrierte, langfristige Aspekte stets mit einbeziehende zielbezogene Handlungsfähigkeit zu bewahren und nicht in Scheinoder kurzfristige Erfolge versprechende Aktivitäten auszuweichen oder sogar gänzlich zu blockieren.
Emotionale Stärke Sie ermöglicht, im Kontakt mit anderen unter arbeitsmäßiger, zeitlicher oder sonstiger momentaner Belastung den Eindruck innerer Ruhe und Ausgeglichenheit zu vermitteln, anstatt eine Atmosphäre von Hektik, Frustration oder gar Resignation zu verbreiten.
Emotionale Spannkraft Sie sorgt dafür, Ärgerliches, Misserfolgserlebnisse, Enttäuschungen, Fehlschläge oder vergebene Chancen als Lernsituationen anzusehen und unter Lerngesichtspunkten zu verarbeiten, gemachte Fehler als solche zu erkennen, zu ihnen zu stehen, sie zu korrigieren und sich so unbeeinflusst Aufgaben, Problemen und anvisierten Zielen zu widmen.
So geht das
Wie der Leistungssport zeigt, lässt sich diese mentale Stärke erlernen, was in der Zielsetzung darauf hinausläuft, sich erstens nicht von beeinträchtigenden Gefühlswallungen beherrschen zu lassen, sondern zu lernen, sie zu beherrschen, und sich zweitens nicht von verfestigten eigenen oder in der Umgebungskultur vorgegebenen Denk-, Handlungs- und Verhaltensmustern steuern zu lassen, sondern zu lernen, sich davon zu lösen.
Gelingt das, wird es möglich, sich unbelastet und unvoreingenommen auf das jetzt zu Bewältigende und auf neue Gegebenheiten einzustellen, gewohnte oder bewährte Erfolgspfade zu verlassen beziehungsweise eine Aufgabe oder ein gesetztes Ziel in einer Kombination von alten und neuen Wegen anzugehen.
Der Lohn dieser Anstrengung ist, nicht unter, sondern über den Dingen zu stehen, also losgelöst und unbeeinflusst von menschlichen wie sachlichen Umgebungsbedingungen innerlich frei, offen und konzentriert die volle persönliche Leistungsfähigkeit abrufen und die im Moment geforderte Leistung erbringen zu können. Und das alles ist keine Hexerei, sondern eine Frage des persönlichen Wollens – und der Bereitschaft, sich entsprechend anzustrengen – oder anders gesagt eine solche, wie diszipliniert jemand mit sich selber umgeht, insbesondere was die Denkdisziplin betrifft. Denn die psychologischen Erkenntnisse, die hinter der mentalen Stärke stehen, besagen knapp zusammengefasst:
Alles, was wir erleben, wird im Bewusstsein als Information dargestellt. Wenn wir in der Lage sind, diese Informationen zu kontrollieren, können wir bestimmen, wie unser Leben aussieht, wie wir uns fühlen, wie leistungsfähig wir sind, welche Freude wir am Leben haben. All das hängt letztlich davon ab, wie wir im Kopf mit den auf uns einströmenden Anforderungen und Erfahrungen umgehen, aus welchem Blickwinkel wir sie betrachten. Das entscheidet darüber, ob wir die Lebensumstände oder die Lebensumstände uns beherrschen.
Die Gedanken gestalten
Die Konsequenz daraus heißt: Ob sich jemand eher glücklich oder eher unglücklich, eher tatkräftig oder hilflos, eher selbstbestimmt oder fremdbestimmt fühlt, ist eine Frage des persönlichen Denkens oder, handlungsorientierter gesagt, der Bewusstseinssteuerung – und der Bereitschaft, daran zu arbeiten.
Bester Alltagsbeweis für die Kraft, die aus dieser Arbeit erwachsen kann, sind die immer wieder anzutreffenden Menschen, die belastende oder schlimme Situationen durch die Art und Kraft ihres Denkens in eine Herausforderung zu verwandeln vermochten und sie dadurch bewältigen konnten.
Diese Fähigkeit, sich von widrigen Lebensumständen, von Rück- schlägen und Umbrüchen im Leben nicht entmutigen und überrollen zu lassen, nicht zu resignieren und aufzugeben, sondern unbeirrt daran zu arbeiten, das Problematische in den Griff zu bekommen, ist eine Eigenschaft, die eben nicht komplett außerhalb der persönlichen Reichweite liegt. Der Baustein, aus dem sie besteht, heißt Willensstärke. Willensstärke ist ein Lebenselixier. Willensstärke ist psychologischen Erkenntnissen zufolge die wichtigste Eigenschaft nicht nur für die Leistungsstärke und den Erfolg im Leben, sondern auch für die Freude daran.
Das ist der Flow
Aus mentaler Stärke heraus über sich selbst zu verfügen, aus der sich daraus ergebenden persönlichen Kontrollüberzeugung heraus seinen Tag und sein Schick- sal in die eigene Hand nehmen zu können: In den intensiven Momenten dieses Empfindens stellt sich ein Gefühl von Selbstübereinstimmung ein, von tiefer Freude, das lange anhält und zu einem Maßstab dafür wird, wie das Leben aussehen kann und sollte.
Der inzwischen 82-jährige Mihály Csíkszentmihályi, ein emeritierter Professor für Psychologie an der University of Chicago, hat diesem Gefühl einen Namen gegeben: Flow.
Lesetipp: Hermann Scherer, „Fokus! Provokative Ideen für Menschen, die etwas erreichen wollen“. € 20,60 / 296 Seiten. CampusVerlag, Frankfurt/Main 2016 Walter Mischel, „Der Marshmallow-Effekt. Wie Willensstärke unsere Persönlichkeit prägt“. 395 Seiten / € 15,50. PantheonVerlag, München 2016