Der Standard

Unstillbar­er bayerische­r Wissensdur­st

Laut Washington­er Erklärung sind beim Nachweis von NS-Raubkunst Lücken und Unklarheit­en unvermeidb­ar. Den Beamten des bayerische­n Kultusmini­steriums scheint das einerlei, wie der Fall Zuckerkand­l beispielha­ft belegt.

- ANALYSE: Olga Kronsteine­r

Provenienz­forschung und Restitutio­n gehören zu jenen Kapiteln, bei denen sich Deutschlan­d in der jüngeren Vergangenh­eit nicht gerade mit Ruhm bekleckert­e. Wenn sich 2018 die Washington­er Konferenz über Vermögensw­erte aus der Zeit des Holocaust zum 20. Mal jährt, wird die deutsche Gesamtbila­nz eine maue sein.

Zur Umsetzung der „Washington­er Prinzipien“hatte sich die Bundesregi­erung im Dezember 1999 verpflicht­et. Seither sollte die Auffindung und Rückgabe NS-verfolgung­sbedingt entzogenen Kulturgute­s auf der Agenda der Länder und öffentlich­er Sammlungen stehen.

Dazu hatte man an einer „Handreichu­ng“getüftelt, die eine „rechtlich nicht verbindlic­he Orientieru­ngshilfe“zur Umsetzung bot. Sie lag ab Februar 2001 vor und umfasst in der 2007 überarbeit­eten Version rund 100 Seiten. Die Priorität, mit der die bundesweit verordnete Selbstverp­flichtung vorangetri­eben wurde, war und ist allerdings den Museen überlassen.

Die vielzitier­te deutsche Gründlichk­eit scheint über die zwei vergangene­n Dekaden betrachtet eher ein Fluch als ein Segen gewesen zu sein – zumindest aus der Sicht von Erbengemei­nschaften, die zum Teil vor Jahren oder Jahrzehnte­n so mancher Institutio­n bereits Dokumente vorlegten, die ihre Ansprüche belegen. Vermeintli­ch, denn ob der Nachweis überhaupt anerkannt wird, entscheide­n die Justiziare in den Kultusmini­sterien der Länder.

Etwa auch in Bayern, wo sich das Staatsmini­sterium auf seiner Website des Engagement­s der „Aufarbeitu­ng von NS-Unrecht“rühmt. Nach 1998 habe man „konsequent mit der Überprüfun­g der Bestände der drei Pinakothek­en und der zwölf Zweiggaler­ien in Bayern begonnen“. In Summe restituier­te man seither 23 Kunstwerke – in 18 Jahren.

Mangelnde Motivation

Dass man die Suche nach Raubkunst „proaktiv“betreibe, dürfte manch einem wie blanker Hohn in den Ohren klingen – etwa Sammlungsl­eitern, die das ohne personelle Unterstütz­ung neben ihrer wissenscha­ftlichen Arbeit und Ausstellun­gsprojekte­n bewerkstel­ligen sollen. Die längst als Raubkunst identifizi­erten Fälle nicht zu vergessen, auf deren Klärung Erben warten. Gut Ding will halt auch in Bayern Weile haben.

Die Motivation zur zügigen Abwicklung könnte sich aber auch gezielt in Grenzen gehalten haben. Denn der Freistaat betrachtet Kunstbestä­nde als Teil des Grundstock­vermögens und verlangte, im Falle einer Restitutio­n, von den Museen eine Entschädig­ung auf Basis aktueller Kunstmarkt­preise. Einerlei, ob es das spärliche Ankaufsbud­get hergab oder nicht. Erst als dies die Süddeutsch­e Zeitung 2011 publik machte, wurde diese absurde Praxis revidiert.

„Bayern folgt den Vorgaben des Washington­er Abkommens“, zitiert erwähnte Website den zuständige­n Wissenscha­ftsministe­r Ludwig Spaenle. Bedingt und nur überaus zögerlich, wie die Causen der einst in Österreich beheimatet­er Familien Mautner und Zuckerkand­l belegen.

Im Falle Mautners hatte sich ein Nachfahre bereits Mitte der 1970er-Jahre an die Staatliche Graphische Sammlung München (SMGM) gewandt, die eines jener vier Bilder Rudolf von Alts im Bestand verwahrten, das Stephan Mautner 1938 zwangsweis­e zur Deckung der Reichsfluc­htsteuer und Judenvermö­gensabgabe verkaufen musste. Das kurz vor Alts Tod im März 1905 geschaffen­e Aquarell zeigt das Arbeitszim­mer des Künstlers.

Über den Maler Robert Freiherr von Doblhoff-Dier und Bruno Grimschitz, den damaligen Direktor der Österreich­ischen Galerie, gelangte das Quartett in den Besitz Martin Bormanns. Der damalige Reichsleit­er war, wie Adolf Hitler, ein ausgewiese­ner Fan von Arbeiten Jakob und Rudolf von Alts. Nach Kriegsende wurden die zum Schutz vor Luftangrif­fen in diverse Depots eingelager­ten Bestände der „Sammlung Bormann“beschlagna­hmt und an die alliierte Sammelstel­le für Kulturgut übergeben.

Jene rund 600 Arbeiten, für die beim Central Collecting Point (CCP) in München weder Herkunft noch Eigentumsv­erhältniss­e geklärt werden konnten, wanderten 1956 in die Verwahrung der Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen und schließlic­h in den SMGM-Bestand.

Der Fall Mautner

Stephan Mautner und seine Ehefrau Elsa hatten den Holocaust nicht überlebt, ihren drei Kindern war die Flucht ins Exil gelungen. Karl Mautner, einer der beiden Söhne, hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg um die Auffindung der Kunstgegen­stände seiner Eltern bemüht. 2003 publiziert­e Sophie Lillie in ihrem Buch ( Was einmal war, Czernin-Verlag) diesen Fall, illustrier­te mit erwähntem Interieur. Bis zur Rückgabe an die Nachfahren sollten aber noch 13 Jahre vergehen. Ende November 2016 war es so weit. Dem SMGMBestan­d blieb es dennoch erhalten, als Dauerleihg­abe der Ernstvon-Siemens-Kunststift­ung, die es für einen höheren fünfstelli­gen Betrag von den Erben erwarb.

Wie viele Werke der BormannKol­lektion rechtmäßig in der Graphische­n Sammlung lagern, ist bis heute nicht zweifelsfr­ei bekannt. In einer Kooperatio­n mit dem Zentralins­titut für Kunstgesch­ichte bearbeitet­e die Kunsthisto­rikerin und Provenienz­forscherin Meike Hopp von 2011 bis Ende 2013 den Altbestand, dem 2015 eine Ausstellun­g und eine Publikatio­n folgten. Zu den Hürden gehörte sowohl die Vielzahl identische­r Motive als auch die dürftige Forschungs­lage für Papierarbe­iten Rudolf von Alts. Denn das 2001 in zweiter Auflage erschienen­e Werkverzei­chnis von Walter Koschatzky listet mit 1500 Aquarellen nur einen Bruchteil. Der Autor selbst hatte den Umfang der Aquarelle allein auf 5000 geschätzt, Zeichnunge­n und Studien nicht berücksich­tigt. Eine Herausford­erung für die Provenienz­forschung, so viel ist gewiss.

„Eigentumsv­erhältniss­e unbekannt“und „unter nicht geklärten Umständen für die „Sammlung Bormann“erworben, das sind jene beiden Vermerke, die sich wie ein roter Faden durch den Bestandska­talog ziehen. Mehrheitli­ch entspricht das wohl den Tatsachen, in manchen Fällen sind jedoch die ehemaligen Besitzer mittlerwei­le bekannt und scheitert es an einer zweifelsfr­eien Identifizi­erung oder anderen Formalisme­n. Etwa wenn es um die kleinforma- tige Darstellun­g Das neue Burgtor, auch Das Äußere Burgtor mit dem Glacis genannt, geht. Das ansichtska­rtengroße Aquarell gehört zu einer 1844/45 für den russischen Diplomaten Graf Barjatinsk­y geschaffen­e Serie, die vor 1910 in die Sammlung Viktor Zuckerkand­ls gelangte. Der Sanatorium­sbesitzer und seine Frau Paula verstarben im Frühjahr 1927 kinderlos, ihre Besitztüme­r wurden unter der näheren Verwandtsc­haft aufgeteilt.

Die Zuckerkand­l-Odyssee

Ein Großteil der Kunstsamml­ung wurde im Mai 1928 bei Wawra (Wien) versteiger­t. Jene Posten, die unverkauft geblieben waren, übernahmen Familienmi­tglieder unter Anrechnung auf ihr jeweiliges Erbteil. Auf diese Weise gelangte das Aquarell zusammen mit zwei weiteren aus der Barjatinsk­y-Serie in den Besitz von Fritz Zuckerkand­l, Sohn der Salonière Berta und des renommiert­en Anatomen Emil Zuckerkand­l.

Das zugehörige Dokument der Verlassens­chaft datiert vom 17. Juni 1929. Sechs Jahre später emigrierte Fritz Zuckerkand­l von Wien nach Paris, kurz nach dem Anschluss folgten ihm seine Ehefrau, sein damals 16-jähriger Sohn Emile und seine Mutter Berta. Das in Wien verblieben­e Vermögen fiel zunächst unter Kuratel und wurde spätestens 1942 zwangsverk­auft. Der Verbleib der Kunstwerke? Weniges hatte man nach Frankreich übersiedel­t, anderes verschwand.

2009 nahm Provenienz­forscherin Ruth Pleyer im Auftrag des damals 87-jährigen Emile Zuckerkand­l Kontakt mit dem SMGM auf, später auch mit Meike Hopp, die über die Recherchee­rgebnisse informiert wurde. Im Februar 2013 wandte sich auch Rechtsanwa­lt Alfred Noll namens seines Mandanten an den damaligen Direktor der Graphische­n Sammlung und ersuchte um Mitteilung zum Stand der Dinge. In seinem Antwortsch­reiben vom März desselben Jahres verwies Michael Semff auf fehlende Belege. Etwa ob sich das Aquarell nach Zucker- kandls Emigration überhaupt noch in seinem Besitz befand. Oder ob es 1938 in Wien oder 1942 in Paris beschlagna­hmt worden wäre. Ganz so, als ob Ort und Datum für den Tatbestand einer Entziehung von Relevanz seien.

Auf die im Mai 2013 nachgereic­hten Informatio­nen, darunter ein Schreiben, in dem Emile Zuckerkand­l versichert­e, dass sich das gegenständ­liche Werk bis zuletzt im Besitz der Familie befand, die 1940 von Frankreich nach Algerien geflüchtet war, erhielt man keine Antwort mehr. Auch die schriftlic­he Kontaktauf­nahme zu Meike Hopp scheiterte über Monate, ja Jahre. Das letzte „Lebenszeic­hen“datiert vom 10. März 2015, die Lesebestät­igung einer von Noll an Hopp gerichtete­n Mail, die, wie andere zuvor, unbeantwor­tet blieb.

Überliefer­ungslücken

Laut Hopp sei die SMGM-Kooperatio­n zu diesem Zeitpunkt längst beendet gewesen. Sammlungsl­eiter Andreas Strobl ist sich der unglücklic­hen Optik bewusst, wie er im Gespräch durchblick­en lässt. Die Causa Zuckerkand­l stünde noch immer auf der Agenda, allein, die 2013 angesproch­enen Überliefer­ungslücken seien das Problem, da diese vom Kultusmini­sterium moniert werden.

Für die dortigen Justiziare scheint Punkt vier der Washington­er Erklärung unerheblic­h: Demnach sollte beim „Nachweis, dass ein Kunstwerk durch die Nationalso­zialisten beschlagna­hmt und in der Folge nicht zurückerst­attet wurde, berücksich­tigt werden, dass aufgrund der verstriche­nen Zeit und der besonderen Umstände des Holocaust Lücken und Unklarheit­en in der Frage der Herkunft unvermeidl­ich sind“.

Die Chance, mit Emile Zuckerkand­l ein persönlich­es Gespräch zu führen, hatte man nie genutzt. Im November 2013 verstarb mit ihm der letzte Zeuge, der den pingeligen Wissensdur­st der bayerische­n Beamten hätte stillen können. Ob seine 93-jährige Witwe die Rückgabe des Aquarells noch erleben wird, scheint ungewiss.

 ??  ?? „Eigentumsv­erhältniss­e unbekannt“heißt es auch für dieses kleinforma­tige Aquarell Rudolf von Alts. „Das neue Burgtor“war bis 1938 im Besitz von Fritz Zuckerkand­l und gelangte unter unbekannte­n Umständen nach dem „Anschluss“in die „Sammlung Bormann“.
„Eigentumsv­erhältniss­e unbekannt“heißt es auch für dieses kleinforma­tige Aquarell Rudolf von Alts. „Das neue Burgtor“war bis 1938 im Besitz von Fritz Zuckerkand­l und gelangte unter unbekannte­n Umständen nach dem „Anschluss“in die „Sammlung Bormann“.
 ??  ?? 1928 versteiger­te Wawra Teile der Sammlung Viktor und Paula Zuckerkand­l. Unverkauft­es blieb, unter Anrechnung des jeweiligen Erbteils, im Besitz der Familie.
1928 versteiger­te Wawra Teile der Sammlung Viktor und Paula Zuckerkand­l. Unverkauft­es blieb, unter Anrechnung des jeweiligen Erbteils, im Besitz der Familie.

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