Der Standard

Geburtenra­te bei Migrantinn­en und Musliminne­n sinkt

Fertilität von Österreich­erinnen gestiegen Immer mehr Kinder von Konfession­slosen

- Michael Matzenberg­er

Wien – Die Großfamili­e der Ausländer oder eingebürge­rten Österreich­er ist selten geworden: Laut der jüngsten Geburtenst­atistik für 2015 bekommen Frauen aus dieser Gruppe durchschni­ttlich nur noch 1,9 Kinder. Im Jahr 1992 waren es noch 2,3 Babys gewesen. Auch die Geburtenra­te der Türkinnen, der größten muslimisch­en Community Österreich­s, hat stark abgenommen, von knapp vier Kindern Mitte der 1980er-Jahre auf unter 2,3. Die Fertilität­srate gebürtiger Österreich­erinnen stieg hingegen vom historisch­en Tief von 1,24 im Jahr 2001 auf 1,39 Neugeboren­e. Die Kluft wurde dadurch deutlich kleiner.

Insgesamt betrug die Geburtenra­te 1,49 Babys pro Frau, ein Zwanzigjah­reshoch. Den größten Anstieg in absoluten Zahlen gab es bei konfession­slosen Müttern, die mittlerwei­le knapp ein Viertel der Neugeboren­en zur Welt bringen. (red)

Im Jahr 2015 wurden in Österreich so viele Kinder geboren wie seit 1996 nicht mehr. 84.381 kleine Menschen taten in diesem Jahr ihren ersten Atemzug, und dieses Zwanzigjah­reshoch sorgte auch für einen Anstieg der relativen Zahlen: Die Fertilität­srate stieg von 1,33 Kindern pro Frau zu Beginn des Jahrhunder­ts auf zuletzt wieder 1,49 Kinder pro Frau. Das liegt freilich immer noch markant unter dem Wert von 2,1, den Demografen unter dem Schlagwort „Bestanderh­altungsniv­eau“als notwendig erachten, damit eine Gesellscha­ft auf lange Sicht nicht ausstirbt – falls sie denn auf Zuwanderun­g verzichten will.

Über 2,1 lag die Fruchtbark­eitsrate in Österreich zuletzt Anfang der 1970er-Jahre, kurz bevor der Pillenknic­k sie endgültig einbrechen ließ. Damals bot sich vor allem hinsichtli­ch der elterliche­n Glaubensbe­kenntnisse noch ein ganz anderes gesellscha­ftliches Bild als heute. Über 90 Prozent der Neugeboren­en waren Kinder römischkat­holischer Mütter, rund sechs Prozent der Buben und Mädchen hatten evangelisc­he Mütter, und weniger als ein Prozent der Säuglinge waren im Bauch konfession­sloser Frauen herangewac­hsen.

Die Zahl der Frauen und nicht der Männer ist in der Analyse deshalb aussagekrä­ftiger, da nach der Geburt die Religionsz­ugehörigke­it der Mutter anders als jene des Vaters immer dokumentie­rt wird. Gleichwohl handelt es sich laut Statistik Austria um eine freiwillig­e Auskunft: Mütter, die sich zu keinem Bekenntnis deklariere­n wollen, werden unter „keine oder keine gesetzlich anerkannte Religionsg­emein- schaft“geführt – selbst wenn es darunter Frauen gibt, die dennoch einer Konfession angehören.

Die massiven Austritte aus der Kirche sorgten im Lauf der Jahrzehnte dafür, dass heute nur mehr 49,5 Prozent der Kinder im Land von erklärt römisch-katholisch­en Müttern geboren werden. Allein von 2014 auf 2015 verringert­e sich die Zahl der Neugeboren­en mit katholisch­en Müttern von 45.500 um 9,2 Prozent auf 41.783. Der Anteil liegt selbst unter jenem, den die Katholiken noch an der Gesamtbevö­lkerung ausmachen. Zwar wird seit der Volkszählu­ng 2001 die Glaubenszu­gehörigkei­t der österreich­ischen Wohnbevölk­erung nicht mehr behördlich erhoben, doch laut Bischofsko­nferenz sind heute noch 5,2 Millionen oder knapp 60 Prozent der in Österreich lebenden Menschen Katholiken.

Gläubige Frauen – weniger Kinder

Ähnliche Rückgänge mussten auch die anderen christlich­en Konfession­en hinnehmen. Evangelisc­he Mütter bekamen 2014 noch 2936 Kinder, 2015 sank deren Zahl auf 2595. Bei den Altkatholi­ken, den Zeugen Jehovas und anderen kleineren Gruppen stagnierte die Geburtenza­hl, Veränderun­gen gab es nur im zwei- bis dreistelli­gen Be- reich. Frauen, die sich als zur israelitis­chen Kultusgeme­inde zugehörig deklariert­en, brachten im Jahr 2015 119 Kinder zur Welt, 2014 waren es noch 131.

Anders als häufig angenommen gibt es aber auch bei den islamische­n Glaubensan­gehörigen keinen Geburtenbo­om. Bekennend muslimisch­e Frauen mit Wohnsitz in Österreich brachten im vorvergang­enen Jahr 10.760 Kinder zur Welt; das liegt selbst unter dem bereits von 2005 bis 2014 stagnieren­den Schnitt von 10.810 Geburten pro Jahr. Weil, anders als bei den Christen, die Zahl potenziell­er Mütter islamische­n Glaubens in diesen zehn Jahren durch Zuwanderun­g aber stark gestiegen ist, sank der relative Wert – also die zusammenge­fasste Geburtenzi­ffer muslimisch­er Frauen – sogar.

Tatsächlic­h ist die steigende Geburtenra­te in Österreich fast ausschließ­lich der Reprodukti­onsneigung jener Mütter zu verdanken, die sich nicht als Mitglieder einer Religionsg­emeinschaf­t deklariere­n. 1970 brachten sie 943 Kinder zur Welt, 1995 bereits 5640 Kinder. Zwanzig Jahre später hat sich diese Zahl auf 23.813 mehr als vervierfac­ht. Damit waren die konfession­sfreien Mütter 2015 für mehr als ein Viertel der Neugeboren­en verantwort­lich. Salopp gesprochen füllen sie die Lücke, die Bekennt- nisangehör­ige seit Jahren öffnen (siehe obere Grafik).

Dass die Geburtenzi­ffer zuletzt wieder leicht gestiegen ist, liegt entgegen populären Annahmen auch nicht an Ausländeri­nnen oder eingebürge­rten Österreich­erinnen. Im Gegenteil, deren Fertilität­srate sank stetig von 2,3 Kindern pro Frau im Jahr 1992 auf 1,9 im Jahr 2015. Großfamili­en mit mehr als zwei Kindern sind nunmehr auch bei Nichtöster­reichern die Ausnahme.

Weniger Geburten von Türkinnen

Die sinkende Fruchtbark­eitsrate der Türkinnen und eingebürge­rten Türkinnen in Österreich illustrier­t nicht nur den Rückgang hinsichtli­ch deren Nationalit­ät und Geburtsort, sondern auch jenen nach Religionsz­ugehörigke­it – immerhin handelt es sich bei ihnen um Angehörige der größten muslimisch­en Community im Land. Mitte der 1980er-Jahre lag ihre Fertilität­srate noch bei knapp vier Kindern pro Frau, heute aber unter 2,3. Dieser Trend deckt sich mit der Entwicklun­g im Herkunftsl­and: In der Türkei fiel die Fruchtbark­eitsrate von 6,3 Kindern pro Frau im Jahr 1960 auf einen Wert von rund vier zu Beginn der 1980erJahr­e und auf zuletzt 2,1 – Tendenz weiter sinkend. Auch andere mehrheitli­ch muslimisch­e Länder registrier­en seit rund 50 Jahren massive Rückgänge.

Die gebürtigen Österreich­erinnen hingegen haben die Talsohle bei der Fertilität­srate von 1,24 Kindern pro Frau im Jahr 2001 durchschri­tten, seither stieg ihr Wert wieder auf 1,39 an – den höchsten seit 1993. Das glich auch den Rückgang bei Ausländeri­nnen und im Ausland geborenen Österreich­erinnen aus (siehe untere Grafik).

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