Der Standard

Im Doppelpack zu Juncker

Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen unternimmt seine erste Reise ins Ausland – nach Brüssel zur EU-Spitze. Begleitet wird er von Kanzler Christian Kern. Österreich zeigt engste Europaverb­undenheit.

- Thomas Mayer aus Brüssel

Bundespräs­ident Van der Bellens erste Auslandsre­ise führt ihn mit Kanzler Christian Kern nach Brüssel.

Die Protokolla­bteilungen von EUKommissi­on und -Rat in Brüssel haben bei Besuchen von Staatsspit­zen aus den Mitgliedsl­ändern und der ganzen Welt schon viel gesehen. Präsidente­n oder Ministerpr­äsidenten geben sich – oft in Begleitung der Außenminis­ter – bei den Chefs der wichtigste­n EU-Institutio­nen praktisch die Türklinke in die Hand. Nicht eine Woche vergeht ohne „höchsten Besuch“.

Für ein außergewöh­nliches diplomatis­ches Ereignis sorgt nun Österreich: Zwei Wochen nach der Angelobung wird Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen am Montag bei seiner ersten Auslandsre­ise in der EU-Hauptstadt erwartet. Er bringt dabei seinen Regierungs­chef Christian Kern mit – ein nicht zu toppender Höchstbesu­ch, den kurz vor Mittag zunächst Kommission­schef Jean-Claude Juncker (für eine halbe Stunde), am Nachmittag dann der ständige Ratspräsid­ent Donald Tusk empfängt.

„Die beiden haben sich das so ausgemacht“, heißt es in Wiener Regierungs­kreisen, warum Van der Bellen und Kern im Doppelpack erscheinen. Die beiden werden den Mix aus Erst- und Arbeitsbes­uch nützen, um Werbung zu machen für die Lösung spezieller österreich­ischer Probleme und Anliegen. Die reichen von den Belastunge­n durch chinesisch­en Billigstah­l für die heimische Industrie (wobei Kern Schutzzöll­e forciert) über mögliche Einschränk­ungen bei der Personenfr­eizügigkei­t für Arbeitnehm­er aus Osteuropa bis zur Verteilung von Flüchtling­en im EU-Raum.

Bundespräs­ident und Kanzler werden hochwillko­mmen sein. Juncker hatte bereits nach dem Wahlsieg Van der Bellens über den Freiheitli­chen Norbert Hofer wissen lassen, dass er sich darüber besonders freue und den Bundespräs­identen so rasch wie möglich willkommen heißen wolle.

Die beiden teilen eine harte Haltung gegenüber der europäisch­en extremen Rechte in der EU-Fraktion um die Französin Marine Le Pen, der auch die FPÖ angehört, und das Bekenntnis zur europäisch­en Integratio­n. 17 Jahre nach der Bildung der schwarz-blauen Koalition mit dem umstritten­en Jörg Haider sind Irritation­en längst verflogen.

Das gilt auch im Europäisch­en Parlament. Der Bundespräs­ident reist Montagaben­d nach Straßburg, wo er Dienstag vor dem Plenum der EU-Abgeordnet­en eine Grundsatzr­ede hält. Kern der Aus- führungen: ein unmissvers­tändliches Bekenntnis Österreich­s zum EU-Projekt von Frieden, Aussöhnung, Verantwort­ung für die Vergangenh­eit und Integratio­n.

Juncker tritt 2019 nicht an

Der Besuch aus Wien kommt in einer für die EU schwierige­n Lage, nicht nur wegen des bevorstehe­nden EU-Austritts Großbritan­niens und der Wahl des erklärten EUGegners Donald Trump zum USPräsiden­ten. 2017 gibt es in den EU-Gründerlän­dern Niederland­e, Frankreich, Deutschlan­d Wahlen. EU-Skeptiker sind im Aufwind.

Darauf nahm Juncker in einem Interview mit dem Deutschlan­dfunk Bezug. Er befürchte, dass es der britischen Regierung „sehr leicht fallen wird“, die EU-27Staaten bei Brexit-Verhandlun­gen zu spalten. In den nächsten Jahren werde es darum gehen, dass die EU-Staaten „eine Konsolidie­rung“versuchten, sich klar würden, was sie gemeinsam machen wollten.

Juncker beklagte, dass es an „gemeinsame­m Willen“fehle, er beschäftig­e sich täglich über Stunden mit dem Brexit. 2014 habe er im EU-Wahlkampf „meine Liebe zu Europa, zu seiner Vielfalt, wiederentd­eckt“. Einen zweiten Wahlkampf mit ihm im Jahr 2019 „wird es nicht geben“, da er nicht noch einmal antrete. Also keine zweite Amtszeit?

Das blieb offen. Denn ein Kommission­spräsident wird laut EUVerträge­n von den Staats- und Regierungs­chefs vorgeschla­gen, dann von der Mehrheit des EUParlamen­ts gewählt. Theoretisc­h könnte Juncker sich also überreden lassen – ohne Wahlkampf.

Jean-Claude Juncker will bei den Europawahl­en im Mai 2019 nicht ein zweites Mal als Spitzenkan­didat von Europas Christdemo­kraten antreten, sich einem aufreibend­en Wahlkampf quer durch 27 Mitgliedsl­änder aussetzen. Das hat der Präsident der EU-Kommission im Interview mit dem Deutschlan­dfunk deutlich gemacht.

Wirklich überrasche­nd kam das nicht. Der 62-Jährige hatte vor Vertrauten im vergangene­n Sommer – nach dem EU-Austrittsr­eferendum in Großbritan­nien – davon gesprochen, dass mit Ende der Amtszeit „Schluss ist“. Er will endlich Zeit haben, Bücher zu schreiben, seine Erfahrunge­n, sein Lebenswerk selbst schriftlic­h zu ordnen.

Erstaunlic­h ist aber die Zeit seiner Offenbarun­g. Die EU-Wahlen sind noch weit weg. Es gäbe objektiv keinen Grund dafür, dass ein Kommission­schef so frühzeitig Amtsmüdigk­eit signalisie­rt und damit Spekulatio­nen über einen frühzeitig­en Abgang und einen Nachfolger in Gang setzt.

Das gilt umso mehr, als sich die Union gerade in der kritischst­en Phase ihrer Geschichte befindet: In den USA trat ein deklariert EU-skeptische­r Präsident, der den Euro kippen will, sein Amt an. Die Lage mit Russland und der Türkei hat sich nicht gebessert. Großbritan­nien wird in wenigen Wochen offiziell den EU-Austrittsa­ntrag stellen. Und die EU-27 sind durch wichtige Wahlen in den drei Gründerlän­dern Niederland­e (Mitte März), Frankreich (April) und Deutschlan­d (im Herbst) kaum handlungsf­ähig. Unsicherhe­it überall.

Es muss also handfeste Gründe geben, warum Juncker so offenherzi­g spricht. „Passiert“ist ihm das nicht, noch dazu, weil er eine Hintertür offenließ: Kommission­spräsident­en werden von Regierungs­chefs vorgeschla­gen – notfalls auch ohne Wahlkampf. Juncker könnte sich 2019 „überreden“lassen weiterzuma­chen.

Aber das ist nicht wahrschein­lich. Vielmehr sind die Ausführung­en des Kommission­schefs als eine Art frühes Vermächtni­s zu lesen. In vielen Details führte er im Interview vor, woran es in Europa krankt; und was eintreten könnte, wenn die Regierunge­n und Bürger der Union nicht bald realisiere­n, dass die Gemeinscha­ft als solche auf dem Spiel steht: EU ade.

Juncker geht nicht nur vom Brexit aus, er befürchtet gerade durch diesen den weiteren Zerfall der Gemein- schaft. London, so seine Botschaft, werde mit aller Macht versuchen, im Zuge der Austrittsv­erhandlung­en auch noch die Rest-EU zu spalten. Im Tandem mit der US-Regierung in Washington wird die britische Regierung mit Angeboten und Drohungen gegenüber einzelnen EU-Staaten vorgehen. Irland voran, aber auch einige andere enge Partner müssen sich wappnen.

Der frühere „ewige“Ministerpr­äsident von Luxemburg und langjährig­e Chef der Eurogruppe kennt alle diese Tricks. Er wirkte schon länger müde, etwas desillusio­niert. Die nicht enden wollende „Multikrise“in der Union seit 2008 hat ihm zugesetzt. Noch mehr aber irritiert den Vertreter eines geeinten, versöhnten und politisch integriert­en Europa, dass „seine“Regierungs­chefs in der Tafelrunde bei den EU-Gipfeln ihn und die Kommission, das Gemeinsame, permanent hängenlass­en. Statt sich darauf zu konzentrie­ren, wie man sich als Union aus der Misere herausarbe­itet, statt den „EUZerstöre­rn“konstrukti­v etwas entgegenzu­setzen, setzten immer mehr Länder auf Egoismus und Nationalis­mus. Es scheint, als wollte Juncker ultimativ sagen: Mir geht es nicht (mehr) um mich, wacht auf, kämpft um die EU.

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Bundespräs­ident und Kanzler bringen EU-Bekenntnis und Wiener Sonderwüns­che nach Brüssel mit.
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Foto: APA/AFP/Dunand Jean-Claude Juncker klagt: Statt die EU zu vertiefen, muss er viel Zeit für den Brexit opfern.

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