Im Doppelpack zu Juncker
Bundespräsident Alexander Van der Bellen unternimmt seine erste Reise ins Ausland – nach Brüssel zur EU-Spitze. Begleitet wird er von Kanzler Christian Kern. Österreich zeigt engste Europaverbundenheit.
Bundespräsident Van der Bellens erste Auslandsreise führt ihn mit Kanzler Christian Kern nach Brüssel.
Die Protokollabteilungen von EUKommission und -Rat in Brüssel haben bei Besuchen von Staatsspitzen aus den Mitgliedsländern und der ganzen Welt schon viel gesehen. Präsidenten oder Ministerpräsidenten geben sich – oft in Begleitung der Außenminister – bei den Chefs der wichtigsten EU-Institutionen praktisch die Türklinke in die Hand. Nicht eine Woche vergeht ohne „höchsten Besuch“.
Für ein außergewöhnliches diplomatisches Ereignis sorgt nun Österreich: Zwei Wochen nach der Angelobung wird Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Montag bei seiner ersten Auslandsreise in der EU-Hauptstadt erwartet. Er bringt dabei seinen Regierungschef Christian Kern mit – ein nicht zu toppender Höchstbesuch, den kurz vor Mittag zunächst Kommissionschef Jean-Claude Juncker (für eine halbe Stunde), am Nachmittag dann der ständige Ratspräsident Donald Tusk empfängt.
„Die beiden haben sich das so ausgemacht“, heißt es in Wiener Regierungskreisen, warum Van der Bellen und Kern im Doppelpack erscheinen. Die beiden werden den Mix aus Erst- und Arbeitsbesuch nützen, um Werbung zu machen für die Lösung spezieller österreichischer Probleme und Anliegen. Die reichen von den Belastungen durch chinesischen Billigstahl für die heimische Industrie (wobei Kern Schutzzölle forciert) über mögliche Einschränkungen bei der Personenfreizügigkeit für Arbeitnehmer aus Osteuropa bis zur Verteilung von Flüchtlingen im EU-Raum.
Bundespräsident und Kanzler werden hochwillkommen sein. Juncker hatte bereits nach dem Wahlsieg Van der Bellens über den Freiheitlichen Norbert Hofer wissen lassen, dass er sich darüber besonders freue und den Bundespräsidenten so rasch wie möglich willkommen heißen wolle.
Die beiden teilen eine harte Haltung gegenüber der europäischen extremen Rechte in der EU-Fraktion um die Französin Marine Le Pen, der auch die FPÖ angehört, und das Bekenntnis zur europäischen Integration. 17 Jahre nach der Bildung der schwarz-blauen Koalition mit dem umstrittenen Jörg Haider sind Irritationen längst verflogen.
Das gilt auch im Europäischen Parlament. Der Bundespräsident reist Montagabend nach Straßburg, wo er Dienstag vor dem Plenum der EU-Abgeordneten eine Grundsatzrede hält. Kern der Aus- führungen: ein unmissverständliches Bekenntnis Österreichs zum EU-Projekt von Frieden, Aussöhnung, Verantwortung für die Vergangenheit und Integration.
Juncker tritt 2019 nicht an
Der Besuch aus Wien kommt in einer für die EU schwierigen Lage, nicht nur wegen des bevorstehenden EU-Austritts Großbritanniens und der Wahl des erklärten EUGegners Donald Trump zum USPräsidenten. 2017 gibt es in den EU-Gründerländern Niederlande, Frankreich, Deutschland Wahlen. EU-Skeptiker sind im Aufwind.
Darauf nahm Juncker in einem Interview mit dem Deutschlandfunk Bezug. Er befürchte, dass es der britischen Regierung „sehr leicht fallen wird“, die EU-27Staaten bei Brexit-Verhandlungen zu spalten. In den nächsten Jahren werde es darum gehen, dass die EU-Staaten „eine Konsolidierung“versuchten, sich klar würden, was sie gemeinsam machen wollten.
Juncker beklagte, dass es an „gemeinsamem Willen“fehle, er beschäftige sich täglich über Stunden mit dem Brexit. 2014 habe er im EU-Wahlkampf „meine Liebe zu Europa, zu seiner Vielfalt, wiederentdeckt“. Einen zweiten Wahlkampf mit ihm im Jahr 2019 „wird es nicht geben“, da er nicht noch einmal antrete. Also keine zweite Amtszeit?
Das blieb offen. Denn ein Kommissionspräsident wird laut EUVerträgen von den Staats- und Regierungschefs vorgeschlagen, dann von der Mehrheit des EUParlaments gewählt. Theoretisch könnte Juncker sich also überreden lassen – ohne Wahlkampf.
Jean-Claude Juncker will bei den Europawahlen im Mai 2019 nicht ein zweites Mal als Spitzenkandidat von Europas Christdemokraten antreten, sich einem aufreibenden Wahlkampf quer durch 27 Mitgliedsländer aussetzen. Das hat der Präsident der EU-Kommission im Interview mit dem Deutschlandfunk deutlich gemacht.
Wirklich überraschend kam das nicht. Der 62-Jährige hatte vor Vertrauten im vergangenen Sommer – nach dem EU-Austrittsreferendum in Großbritannien – davon gesprochen, dass mit Ende der Amtszeit „Schluss ist“. Er will endlich Zeit haben, Bücher zu schreiben, seine Erfahrungen, sein Lebenswerk selbst schriftlich zu ordnen.
Erstaunlich ist aber die Zeit seiner Offenbarung. Die EU-Wahlen sind noch weit weg. Es gäbe objektiv keinen Grund dafür, dass ein Kommissionschef so frühzeitig Amtsmüdigkeit signalisiert und damit Spekulationen über einen frühzeitigen Abgang und einen Nachfolger in Gang setzt.
Das gilt umso mehr, als sich die Union gerade in der kritischsten Phase ihrer Geschichte befindet: In den USA trat ein deklariert EU-skeptischer Präsident, der den Euro kippen will, sein Amt an. Die Lage mit Russland und der Türkei hat sich nicht gebessert. Großbritannien wird in wenigen Wochen offiziell den EU-Austrittsantrag stellen. Und die EU-27 sind durch wichtige Wahlen in den drei Gründerländern Niederlande (Mitte März), Frankreich (April) und Deutschland (im Herbst) kaum handlungsfähig. Unsicherheit überall.
Es muss also handfeste Gründe geben, warum Juncker so offenherzig spricht. „Passiert“ist ihm das nicht, noch dazu, weil er eine Hintertür offenließ: Kommissionspräsidenten werden von Regierungschefs vorgeschlagen – notfalls auch ohne Wahlkampf. Juncker könnte sich 2019 „überreden“lassen weiterzumachen.
Aber das ist nicht wahrscheinlich. Vielmehr sind die Ausführungen des Kommissionschefs als eine Art frühes Vermächtnis zu lesen. In vielen Details führte er im Interview vor, woran es in Europa krankt; und was eintreten könnte, wenn die Regierungen und Bürger der Union nicht bald realisieren, dass die Gemeinschaft als solche auf dem Spiel steht: EU ade.
Juncker geht nicht nur vom Brexit aus, er befürchtet gerade durch diesen den weiteren Zerfall der Gemein- schaft. London, so seine Botschaft, werde mit aller Macht versuchen, im Zuge der Austrittsverhandlungen auch noch die Rest-EU zu spalten. Im Tandem mit der US-Regierung in Washington wird die britische Regierung mit Angeboten und Drohungen gegenüber einzelnen EU-Staaten vorgehen. Irland voran, aber auch einige andere enge Partner müssen sich wappnen.
Der frühere „ewige“Ministerpräsident von Luxemburg und langjährige Chef der Eurogruppe kennt alle diese Tricks. Er wirkte schon länger müde, etwas desillusioniert. Die nicht enden wollende „Multikrise“in der Union seit 2008 hat ihm zugesetzt. Noch mehr aber irritiert den Vertreter eines geeinten, versöhnten und politisch integrierten Europa, dass „seine“Regierungschefs in der Tafelrunde bei den EU-Gipfeln ihn und die Kommission, das Gemeinsame, permanent hängenlassen. Statt sich darauf zu konzentrieren, wie man sich als Union aus der Misere herausarbeitet, statt den „EUZerstörern“konstruktiv etwas entgegenzusetzen, setzten immer mehr Länder auf Egoismus und Nationalismus. Es scheint, als wollte Juncker ultimativ sagen: Mir geht es nicht (mehr) um mich, wacht auf, kämpft um die EU.