Der Standard

Mehr Neonazi-Propaganda im Internet

Experten sehen Justiz gefordert – Noch keine Pflichtkur­se für alle angehenden Richter

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Wien – Nationalso­zialistisc­he Propaganda im Netz nimmt zu. Bei der Verfolgung der Täter stellen sich allerdings Probleme: Neonazis seien zum Teil bestens über die Lücken des Strafrecht­s informiert und nützten diese aus, sagt Brigitte Bailer-Galanda vom Dokumentat­ionsarchiv des österreich­ischen Widerstand­es (DÖW). Eine „massiv genutzte“Gesetzeslü­cke sei, dass im Gegensatz zur Holocaustl­eugnung, die strafbar ist, eine Leugnung von Kriegsschu­ld nicht vom Verbotsges­etz umfasst sei. „Das wird massiv genutzt“, sagt Bailer bei einer Veranstalt­ung des grünen Justizspre­chers Albert Steinhause­r und der Zentralen Forschungs­stelle Nachkriegs­justiz anlässlich des 70-jährigen Bestehens des Verbotsges­etzes. Die Historiker­in fordert, dass auch die teilweise Leugnung von NS-Ver- brechen ins Verbotsges­etz aufgenomme­n wird.

Keinesfall­s sollte das Verbotsges­etz aufgeweich­t werden, sind die Experten überzeugt, da im Bereich der NS-Propaganda ein hartes Vorgehen der Strafjusti­z abschrecke­nd auf Mitläufer wirke. Wobei man vor allem jungen, ideologisc­h nicht gefestigte­n Tätern mit Diversion und Schulungen begegnen sollte, da Haftstrafe­n eine Art Märtyreref­fekt haben könnten, meint Bailer-Galanda.

Hier Freispruch, dort Haft

Was die Anwendung des Gesetzes betrifft, hänge vieles davon ab, an welchem Gerichtsst­andort die Causa lande, meint Grün-Abgeordnet­er Karl Öllinger. Ähnlich gelagerte Fälle „werden hier freigespro­chen und dort verurteilt“, was den Schluss nahelege, dass vieles von der Art der Rechtsbele­hrung der Laienricht­er durch den Berufsrich­ter abhänge. Neonazipro­zesse finden immer vor Geschworen­engerichte­n statt.

Manchen Angehörige­n der Justiz fehle es an Sensibilit­ät, meint Winfried Garscha von der Forschungs­stelle Nachkriegs­justiz. Er kritisiert, dass es die von Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er (ÖVP) angekündig­te verpflicht­ende historisch­e Schulung für angehende Richter immer noch nicht gibt, die Sache sei „eingeschla­fen“. Im Justizmini­sterium wird das auf STANDARD- Anfrage dementiert. Zwar sei man im – bei weitem größten – Gerichtssp­rengel Wien noch „in der Planungsph­ase“, in den Sprengeln Graz, Linz und Innsbruck habe man die Schulungen aber bereits in die Curricula integriert. (sterk)

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