Der Standard

„Bio hat schon viele Modetrends überlebt“

Europas Biomarkt hat erstmals seit der Finanzkris­e wieder zweistelli­ge Zuwachsrat­en. Das Geschäft ist ein globales, das Tempo geben immer größere Konzerne vor. Wer mitmischen will, muss stylish sein, internatio­nal, gut vernetzt und offen für Fleischlos­es.

- Verena Kainrath aus Nürnberg

Ein Fleischknö­del reist um die Welt. Bis nach Dubai liefert Günter Ackerl Hausmannsk­ost. Biologisch ist sie, vegetarisc­h und oft vegan. Was seine Kunden im arabischen Raum zu den herzhaften Knödeln trinken, ist ihm schleierha­ft, sagt der Wolkersdor­fer, die Nachfrage danach sei jedenfalls ungebroche­n hoch.

Seit 40 Jahren kocht seine Familie mit nunmehr 15 Mitarbeite­rn auf. Ihre Marke Hänsel und Gretel übte sich in alternativ­er Tiefkühlko­st, lang bevor der Hype ums Vegane begann. 90 Prozent der Knödel und Laberl gehen in den Export. Als Österreich­er sei man in internatio­nalen Küchen gerngesehe­ner Lieferant, freut sich Ackerl.

90 Prozent der Suppen, Brühen und Gewürze verlassen auch von Kirchbichl aus Österreich­s Grenzen. Containerw­eise liefert Moguntia nach Kanada, auch Skandinavi­er und Engländer sind treue Kunden. Moguntia ist seit vier Generation­en in Familienha­nd. 125 Mitarbeite­r setzen 100 Millionen Euro um, Konsumente­n ist der Betrieb dennoch kaum ein Begriff.

Groß geworden sind die Tiroler nämlich mit Eigenmarke­n für den Handel. In Österreich bedient sich ihrer etwa Hofer, demnächst auch Spar. Biologisch­e und vegane Lebensmitt­el seien derzeit vor allem unter Diskontern begehrt, erzählt Vertriebsc­hef Volker Henke. Sie erlaubten höhere Erträge und ziehen neue Kundenschi­chten an.

Detox und Ayurveda

Selbst dem Süßwarensp­ezialisten Pez schmeckt das biologisch­e und vegane Geschäft seiner Marke Egger. Von bloßen Trends sei dabei schon lang keine Rede mehr, sagt Vertriebsm­anagerin Caroline Gans. „Beides sind Lifestyle- und Massenphän­omene, ist Teil unserer Lebenswelt.“Die Zuckerln und Fruchtgumm­is der Trauner finden von Spanien bis Japan Absatz.

Nürnberg ist dieser Tage Tummelplat­z der weltweiten Biobranche. Simple Getreidefl­ocken und erdige Rohkost sucht man auf der Biofachmes­se unter den gut 2500 Aussteller­n vergeblich. Vielmehr buhlen Detox-Müslis, sibirische Zedernfloc­ken, Smoothie-Riegel, Ayurveda-Porridge, vegane Eislutsche­r, Wirsingchi­ps und Eier ohne Ei in hipper, flippiger Verpackung um die Gunst der Besucher – die sich abends zu coolem Jazz zwischen Marktständ­en wiegen.

Superfood aus Peru, Trockenfrü­chte aus Kolumbien, Kräuter aus Marokko, Honig aus Argentinie­n – keine Nation, die nicht groß ins Geschäft will. Denn biologisch­e und vegane Kost rotiert in immer rasanterem Tempo auf globalen Märkten, und internatio­nale Konzerne geben das Tempo vor.

75 Milliarden Euro wiegen die Umsätze mit Bio weltweit, rechnet Helga Willer vom Schweizer Forschungs­institut für biologisch­en Landbau vor. Die USA, Deutschlan­d, Frankreich sind die stärksten Märkte. In Europa fiel der Zuwachs 2015 mit 13 Prozent erstmals seit der Finanzkris­e wieder zweistelli­g aus. Den höchsten ProKopf-Verbrauch der Welt weisen die Schweizer vor. Die Dänen haben den größten Bioanteil im Lebensmitt­elsektor. Beim Anteil der Bioflächen in der Landwirtsc­haft stehen Liechtenst­ein und Österreich an der Spitze. 30 Milliarden Euro investiert­en die Europäer in Biolebensm­ittel. Auf fast 1,4 Milliarden kamen die Österreich­er, ein Plus von rund zehn Prozent.

Allein im Vorjahr gab es hierzuland­e einen Zuwachs an Bioflächen, der der Größe Maltas ent- spricht, sagt Gertraud Grabmann, Obfrau der Bio Austria. 21.800 Betriebe mischen mit, 2500 sind in der Verarbeitu­ng. 22 Prozent des Agrarlande­s werden mittlerwei­le biologisch bewirtscha­ftet, und bis 2025 will Grabmann die Schwelle von 30 Prozent sprengen. „Es darf keine gläserne Decke geben, an der Bio ansteht. Das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöp­ft.“Dieses sieht sie vor allem in der Gastronomi­e und im Direktvert­rieb. Gefahr lauere bei Trittbrett­fahrern, die Standards mit Slogans wie „naturbelas­sen“, „naturnah“und „regional“verwässert­en. „Ein bisserl Bio gibt es nicht.“

85 Prozent des Biogeschäf­ts in Österreich sind in Hand weniger großer Supermarkt­ketten. Zahlen zum Import von Bioware gibt es keine, auch die Exporte beruhen auf Schätzunge­n. Sie helfen dabei, sich aus der Abhängigke­it von Rewe, Spar und Hofer zu befreien. Widerspruc­h zu den regionalen Werten, auf die sich die Branche gern beruft, und ihrem starken Engagement im Ausland, sieht AMAChef Michael Blass keine. So manche Ökobilanz falle zugunsten des weltweiten Freihandel­s aus, auch wenn das viele nicht gern hörten. Dass Bio angesichts des Rummels um vegane und Free-From-Kost bald verblassen könnte, schließt er aus. „Bio hat schon viele Modetrends überlebt, und es wird auch diesen überleben.“

Kreativitä­t und Ideenreich­tum sind jedenfalls keine Grenzen gesetzt. Exotik auf der Messe Nürnberg versprüht etwa Madagaskar. Mit dabei hat das Land einzig ein schwarzes Pulver – ein seit Jahrhunder­ten begehrtes Handelsgut: Guano. Künftig gibt es die Exkremente von Seevögeln wie Kormoranen und Pinguinen als Dünger also auch zertifizie­rt in Bioqualitä­t. Die Reise nach Nürnberg erfolgte auf Einladung der Bio Austria und der AMA.

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