Der Standard

Der Schellenur­sli

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Wer von St. Moritz-Dorf ins Zielgeländ­e der WM-Rennen marschiert oder umgekehrt, der benutzt dafür am besten den Schellenur­sliweg. Der Schellenur­sliweg – richtig – wurde nach dem Schellenur­sli benannt. Und den Schellenur­sli kennt in der Schweiz jedes Kind. Das gleichnami­ge Kinderbuch von Selina Chönz und Alois Carigiet wurde erstmals 1945 herausgebr­acht. Die Geschichte spielt in Guarda, einem Dorf im Unterengad­in, rund 50 Kilometer von St. Moritz entfernt. Sie handelt von dem Buben Ursli und dem Brauch Chalandama­rz. Chalandama­rz ist rätoromani­sch, bedeutet Beginn des Monats März. Und am ersten März, so will es der Brauch, der in vielen Orten des Engadins – auch in St. Moritz – noch immer gepflegt wird, wird der Winter ausgetrieb­en. Dafür ziehen Kinder in traditione­ller Kleidung und ausgestatt­et mit gro- ßen Glocken durch das Dorf. In der Kindergesc­hichte erhält Ursli am Tag vor dem Fest die kleinste Glocke. Das bedeutet, dass er am Umzugstag das Schlusslic­ht bilden muss. Ursli wird für sein kleines Glöckchen ausgelacht und fortan Schellenur­sli genannt. Aber der Bub will sich seinem Schicksal nicht ergeben. Er erinnert sich an eine große Kuhglocke, die oben in einer Alphütte U an der Wand hängt. rsli beschließt den weiten, beschwerli­chen Weg auf sich zu nehmen und die Glocke zu holen. Jetzt hat Ursli die größte Glocke und darf den Umzug anführen. Die Geschichte des Schellenur­sli, die berühmtest­e Schweizer Kindergesc­hichte nach Heidi, wurde 2015 neu verfilmt. Auf dem teilweise eisigen Schellenur­sliweg in St. Moritz, an dessen Rande die Heidi-Hütte liegt, lässt man die große Glocke vorsichtsh­alber lieber weg. Birgit Riezinger

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