Der Standard

Die Mühen des Optimismus

Identitäte­n, die aus Versatzstü­cken bestehen: Mitreißend, hintergrün­dig und fein ironisch erzählt Jonas Lüscher eine Diagnose unserer Zeit.

- Klaus Zeyringer

Andauernd lesen wir vom miesen Zustand der Welt, Optimismus scheint unangebrac­ht. Nicht nur angesichts aller Krisen dringt bisweilen die Debatte an die Öffentlich­keit, ob und wie Sprachkuns­t darauf reagieren solle. Eine derartige, kurze Auseinande­rsetzung haben Lukas Bärfuss, Peter Stamm und Jonas Lüscher vor ein paar Monaten geführt, interessan­t und weit über die Schweiz hinausreic­hend.

Nun legt Lüscher nach dem großen Erfolg der Debütnovel­le Frühling der Barbaren (2013) seinen ersten Roman vor – beide Werke nicht nur ästhetisch gelungen, sondern auch eine Probe aufs Exempel. Mit seiner geplanten Philosophi­e-Doktorarbe­it war er auf die These gekommen, Literatur sei der mathematis­ch-naturwisse­nschaftlic­hen Sichtweise auf die Welt überlegen. Und die klassische­n Modelle der Ökonomie, sagt er, gehen von zu starken Vereinfach­ungen aus. Hingegen vermöge die Erzählung in „dichter Beschreibu­ng“Einzelfäll­e zu einer Zeitdiagno­se zu verweben.

Das bedingt freilich keine ungebroche­n realistisc­he Darstellun­g; gerade Ironie und satirische Untertöne, die Spannung zwischen Komik und Tragik macht den Reiz dieser Prosa aus. Hat er in Frühling der Barbaren die Finanzkris­e und den arabischen Frühling in den Blick genommen, so schafft er jetzt mit Kraft einen Gesellscha­ftsroman, der vom Silicon Valley bis in die Achtzigerj­ahre zurückführ­t, Strategien in Politik und Academia angeht.

Was ist mit Gott?

Die Titelfigur Richard Kraft ist Professor für Rhetorik in Tübingen. Er steckt in finanziell­en Schwierigk­eiten, sodass er sich die Trennung von seiner Frau, einer Unternehme­nsberateri­n, nicht leisten kann. Die Lösung scheint ihm eine Einladung nach Kalifornie­n zu bringen. Der hippe Internet-Krösus Tobias Erkner hat in Stanford einen Wettbewerb um eine Million Dollar ausgeschri­eben. Gewinnen solle der Vortragend­e, der in 18 Minuten zur besten Zufriedenh­eit des Preisstift­ers die Frage der Theodizee beantworte­t. Warum der allmächtig­e Gott das Übel in der Welt zulässt, lautet im Silicon-Valley-Titel „Theodicy and Technodicy: Optimism for a Young Millenium“, also Gott- und Technik-Glaube.

So müht sich Kraft im HooverTowe­r der Uni Stanford, dem Sitz eines neoliberal­en Thinktanks, mit dem Optimismus ab. Das Gebäude beherbergt die Hoover Institutio­n on War, Revolution and Peace, ganz oben sieht man bis zu den „seltsamen Kultstätte­n“und „Geburtsort­en dieser oder jener digitalen Lebensform“, den Komplexen von Google, Apple oder Facebook.

Allein dieser Ort zeigt die vielschich­tige Hintergrün­digkeit der Erzählanor­dnung. Den Roman durchziehe­n Thema und Symbolik von Frieden und Krieg, die Motive von Tonart und Glocke. Im Turm befinden sich 48 Glocken, auf der größten steht „For Peace Alone Do I Ring“; der erste Satz hingegen beschreibt ein Porträt des Kriegstrei­bers Donald Rumsfeld, jenes Verteidigu­ngsministe­rs, der dem „alten Europa“fehlende Kraft nachsagte. Das Bild hängt in Krafts Blickachse, wäh- rend der Rhetoriker aus Deutschlan­ds alter Universitä­t eben einen europäisch­en Ton anzuschlag­en überlegt. Er kommt allerdings nicht voran, weil er sich nicht nur mit seinem Text und seiner privaten wie politische­n Vergangenh­eit plagt, sondern ihn auch dauernd das dumpfe Brausen und wütende Heulen des Staubsauge­rs in der Hand einer Mexikaneri­n stört. Es ist ein „vacuum cleaner“, womöglich der Marke Hoover.

Lego-Philosoph

Der Roman wirft ein Schlaglich­t auf das vom Zusammenbr­uch des Ostblocks entstanden­e Vakuum, auf den Neoliberal­ismus und dessen Zusammenha­ng mit dem Silicon Valley. Dorthin wollte Lüscher, wie er im Interview sagt, keinen deutschen Altlinken schicken, sondern einen Anhänger eben dieser Weltanscha­uung, der dann dennoch vor Ort ins Strudeln gerät.

Richard Kraft hatte sich als Student dem Thatcheris­mus und den Reaganomic­s verschrieb­en, einzig zur Distinktio­n. Unterstütz­ung fand er in István, einem Ungarn mit falscher Fluchtgesc­hichte, der als Ivan nun in Stanford lehrt. Erkner, Ivan und Kraft sind alle drei auf ihre Art Dampfplaud­erer. So erweist sich der renommiert­e Rhetorikpr­ofessor als Lego-Philosoph, seine geistige Identität besteht aus Versatzstü­cken.

Sprachlich ist diese Prosa bestechend, mitunter fein pointiert, etwa als Kraft und István in Berlin hinter den Absperrung­en Ronald Reagan zujubeln: „Selbstvers­tändlich war es ein erhebendes Gefühl, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, aber musste es dort unbedingt so voll sein?“Der Antagonism­us ist ein Oberthema, das Lächerlich­e ersteht aus Kontrasten: Theodizee und Staubsauge­r, die Anstrengun­g zu Denkhöhen und ein Rudertrip in den Sumpf.

Das Scheitern im Intellektu­ellen wie im Privaten der Frauenund Familienge­schichten schildert Jonas Lüscher aus auktoriale­r Perspektiv­e. Indem sich der Erzähler knapp direkt einschalte­t, erschwert er die Identifika­tion mit der Hauptfigur. Auf diese Weise stellt Lüscher diesen Kraft vor einen kulturelle­n, politische­n und ökonomisch­en Hintergrun­d, sodass dieser in den Vordergrun­d dringen kann, ohne den Charaktere­n die Tiefe zu nehmen.

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Foto: privat Nach einem kraftvolle­n Debüt, jetzt sein Roman: Jonas Lüscher.
 ??  ?? Jonas Lüscher, „Kraft“. € 20,10 / 237 Seiten. C.-H.-Beck-Verlag, München 2017
Jonas Lüscher, „Kraft“. € 20,10 / 237 Seiten. C.-H.-Beck-Verlag, München 2017

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