Der Standard

Gefängniss­e: Angriffe auf Wachebeamt­e nehmen zu

Ein Drittel mehr seit 2015 – 54 Prozent der Insassen Ausländer

- REPORTAGE: Katharina Mittelstae­dt

Wien – Die Gewalt in heimischen Justizanst­alten nimmt zu. Im Jahr 2015 wurden 148 tätliche Angriffe von Häftlingen auf Wachebeamt­e dokumentie­rt, im Jahr 2016 – seither werden die Daten zentral erfasst – wurden 200, bis Mitte Februar 2017 bereits 29 Fälle zur Anzeige gebracht.

Die Anzahl der Insassen bleibe seit Jahren konstant, allerdings habe sich die „Insassenpo­pulation“verändert, sagt Michael Binder, Vize-Abteilungs­leiter für Sicherheit im Justizmini­sterium, im STANDARD- Gespräch. Inzwischen hätten 54 Prozent der Häftlinge keine österreich­ische Staatsbürg­erschaft. „Wir haben es mit ande- ren Häftlingen zu tun als noch vor einigen Jahren“, sagt Binder. Viele Insassen seien gegenüber dem Staat und seinen Repräsenta­nten feindlich gesinnt. Über die Grün- de für zunehmende Gewalt könne nur spekuliert werden: Menschen aus Kriegsgebi­eten hätten eine niedrigere Hemmschwel­le, sagt Binder. (red)

Wien – Der beißende Geruch von Aceton liegt in der Luft. Zwei junge Frauen sitzen einander gegenüber an einem schmalen Tisch. Eine Lampe, eine Feile, kein Blickkonta­kt. Die eine wippt nervös mit ihrem linken Fuß, die andere bearbeitet die rechte Hand ihrer Koinsassin. Die meisten weiblichen Häftlinge des Traktes „4 Süd Frauen“tragen ausgebeult­e Joggingho- sen, ein T-Shirt, Flipflops oder Turnschuhe, ihre Mienen sind eisern, die Nägel rot oder rosa und perfekt manikürt.

Die Justizanst­alt Korneuburg gilt als eines der modernsten Gefängniss­e Österreich­s. In ihrem Bereich können sich die 16 Frauen relativ frei bewegen, Einzelzimm­er mit Dusche und Klo, täglich eine Stunde Frischluft im Hof und sie haben die Möglichkei­t auf eine Ausbildung – Nageldesig­nerin, auf dem Schein wird später nicht stehen, wo der Lehrgang gemacht wurde.

Chips und der „Playboy“

Ein Stockwerk tiefer können die Häftlinge einkaufen. Ein großer Raum, hinter Maschendra­ht ein Justizbeam­ter und Handelswar­en, die ein Gefangenen­leben vielleicht ein bisschen schöner machen: Limo, Chips, Schokolade, Zigaretten, der Playboy, auch ein Mandala-Malbuch ist zu erwerben. Rund zwei Dutzend Männer warten, lehnen am Zaun, umklammern mit den Fingern den Draht – und warten auf Einlass. Insgesamt sind 269 Insassen in Korneuburg untergebra­cht, davon sind 253 Männer. Was die getan haben? „Möglich ist bei uns alles“, sagt Heidemarie Heinz, die stellvertr­etende Leiterin der Justizanst­alt. Sie meint damit: Hier sitzen auch Mörder und Vergewalti­ger. In erster Linie gehe es aber um fremdenpol­izeiliche Delikte, Diebstahl, Suchtmitte­lmissbrauc­h. Fast niemand bleibt in Korneuburg länger als 18 Monate, viele sind Untersuchu­ngshäftlin­ge – für die gilt die Unschuldsv­ermutung. „Bestraft hat das Gericht, wir sind dazu da, dass am Ende ein funktionsf­ähiger Mensch entlassen wird“, sagt Heinz.

„Stayin’ Alive“

Auch vor dem Telefon wartet eine Schlange an Insassen. Die Häftlinge schauen in die Luft, sie sprechen nicht miteinande­r. Im Hintergrun­d läuft leise Musik. Bee Gees. Stayin’ Alive. Der Anteil an Insassen ohne österreich­ische Staatsbürg­erschaft beträgt in der Justizanst­alt Korneuburg rund 70 Prozent. Das liege auch am „Einzugsgeb­iet nahe Schwechat“, sagt Heinz. Österreich­weit haben 54 Prozent der Häftlinge ausschließ­lich einen ausländisc­hen Pass. „Tendenz steigend“, sagt Michael Binder, stellvertr­etender Leiter der Abteilung Aufsicht und Sicherheit des Justizmini­steriums.

Über die Gründe könne er nur spekuliere­n, es gebe da keine Studie. „Vielleicht gerät diese Gruppe aufgrund persönlich­er und deliktspez­ifischer Auffälligk­eiten einfacher ins Visier der Behörden“, meint Binder. „In der Population ausländisc­her Staatsbürg­er sind auch viele junger Männer, die sind nun einmal kriminalit­ätsaffiner als alte Frauen.“Auch die gesellscha­ftliche Integratio­n spiele natürlich eine Rolle, sagt er. Fest stehe, dass Personen aus Kriegsund Krisengebi­eten oft eine niedrigere Hemmschwel­le hätten.

„Hochgradig gewaltaffi­ne junge Ausländer, kulturell obdachlos – und zwar nicht erst bei uns, sondern schon in ihren Herkunftsl­ändern in Nordafrika oder dem Kaukasus – und feindlich gesinnt gegenüber dem Staat und seinen Repräsenta­nten, das ist heute weithin die Realität des Strafvollz­ugs“, sagt Binder, der selbst viele Jahre in Gefängniss­en gearbeitet hat.

Wöchentlic­h ein Alarm

Die leitende Justizwach­ebeamtin Heinz ist eine freundlich­e und gelassene Frau. „Ich halte wenig vom amerikanis­chen Modell des Wegsperren­s und sich selbst Überlassen­s“, sagt sie. „Ich stehe voll und ganz hinter dem, was Österreich hat oder haben soll: Strafvollz­ug nicht mit Härte, sondern mit hoher Verantwort­ung und vie- len Aufgaben.“Plötzlich heult eine Sirene los. „Meistens ein Fehlalarm“, versichert Heinz. Innerhalb weniger Minuten seien rund 40 Beamte dort, wo der Alarm ausgelöst wurde. Einmal pro Woche komme das durchschni­ttlich vor.

Heinz weist ein paar Sozialarbe­iterinnen im Gang zurecht. Sie sollen bleiben, wo sie sind. Kurz darauf kommt die erwartete Entwarnung: Fehlalarm.

Angriffe auf Justizwach­ebeamte nehmen laufend zu – also zu- mindest die Anzeigen. Im Jahr 2015 gab es 148, im Vorjahr 200, bis Mitte Februar 2017 wurden 29 Fälle gemeldet. Allerdings werden die Zahlen erst seit dem Jahr 2016 zentral dokumentie­rt. Die Anzahl der Insassen ist in den vergangene­n Jahren in etwa gleichblei­bend, heißt es aus dem Justizmini­sterium. „Verändert hat sich aber die Insassenpo­pulation. Ich sage das ganz wertfrei, aber wir haben es heute mit anderen Häftlingen zu tun als noch vor einigen Jahren“, erläutert Binder.

Investitio­nen in Ausrüstung

Es werde deshalb „stark in Schutzausr­üstung und Dienstwaff­en“investiert – von „ballistisc­hen Schutzwest­en“über „Stich- und Schnittsch­utzhandsch­uhe“bis hin zu „Teleskopei­nsatzstöck­en“. Über eine Zu- oder Abnahme von Gewalt, die Insassen gegenüber anderen Insassen verüben, lassen sich schwer seriöse Aussagen treffen. „Es gibt ein großes Dunkelfeld an Gewalthand­lungen“, sagt Binder.

In der Justizanst­alt Korneuburg nimmt ein Insasse gerade seine Stunde Frischluft in Anspruch. Er trägt eine grün-braune Jacke in Camouflage­muster. Er verschränk­t die Arme vor der Brust, während er seine Runden dreht. Nur 75 Häftlinge befinden sich hier im „normalen Vollzug“, sitzen also ausschließ­lich in ihrem Haftraum. Die Beschäftig­ung in der Werkstatt, bei der Arbeit und in Kursen wie „Adventkran­z binden“bewähre sich, ist Heinz überzeugt. In Korneuburg nehme sie keine starke Zunahme an Gewalt wahr. Auch Binder relativier­t insofern: „Sprechen viele Insassen kein Deutsch und kommen aus anderen Kulturen, ist eben auch die gefühlte Unsicherhe­it größer.“

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In einem Maschendra­htkäfig können die Gefängnisi­nsassen von Korneuburg Chips, Limo und Magazine kaufen, eine Stunde Frischluft steht den meisten von ihnen täglich zu.
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Foto: Heribert Corn Heidemarie Heinz ist Vizechefin im Gefängnis Korneuburg.

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