Der Standard

Und plötzlich steht die Hypothese einer Wahlversch­iebung im Raum

Fillon und Le Pen juristisch unter Druck – Diskussion über französisc­he Verfassung, die auf „Verhinderu­ng“eines Kandidaten eingeht

- Stefan Brändle aus Paris

Wie fühlt es sich an, wenn man haushoher Favorit war – plötzlich aber nur noch ein Kandidat für die Strafjusti­z? François Fillon zeigt jedenfalls Nerven. Am Montag warf der konservati­ve Präsidents­chaftskand­idat der sozialisti­schen Regierung vor, „eine Situation des Quasi-Bürgerkrie­ges“tatenlos hinzunehme­n. Gemeint waren jüngste Krawalle von Antifaschi­sten gegen einen Front-National-Auftritt.

Zuvor hatte das Magazin Canard Enchaîné enthüllt, Ex-Präsident Nicolas Sarkozy habe seinem Parteifreu­nd Fillon geraten, täglich auf die Pauke zu hauen, um von der Affäre um den Scheinjob für seine Ehefrau abzulenken. Freunden habe Sarkozy erzählt, Fillon wirke „völlig aufgeschmi­ssen“. Der Republikan­er sieht seine Felle nämlich davonschwi­mmen. In einer aktuellen Umfrage liegt er mit gerade noch 20 Prozent deutlich hinter Marine Le Pen (27 Prozent) und Emmanuel Macron (25 Prozent). Die bisher so siegessich­eren Bürgerlich­en würden nicht einmal mehr in die Stichwahl vorstoßen. Le Figaro titelte am Montag verzweifel­t: „Die Rechte im Alarmzusta­nd“.

Auch Le Pen in Nöten

Auch Le Pen hat im EU-Parlament eine Veruntreuu­ngsaffäre am Hals. Sie präsentier­t sich aber als Opfer eines Justizkomp­lotts. Zudem ermittelt die Finanzjust­iz nun auch gegen ihren Mitarbeite­r Frédéric Chatillon, Ex-Chef der rechtsextr­emen Studenteno­rganisatio­n Gud.

Das ist das Novum für die französisc­he Politik: Zwei Spitzenkan­didaten gehen mit Justizaffä­ren in den Wahlkampf. Was, wenn sie verlieren, danach aber von jedem Verdacht freigespro­chen werden? Egal, wie hypothetis­ch dieser Fall auch sein mag: In den Internetfo­ren fragen viele, ob die drei Untersuchu­ngsrichter, die am Freitag in der Causa Fillon ernannt wurden, de facto den Urnengang entscheide­n werden – und zwar bei einer Wahl, die nicht nur über die Zukunft Frankreich­s befinden wird, sondern – wenn Le Pen das Rennen machen sollte – ganz Europa betreffen würde.

Da an eine Suspendier­ung der Ermittlung­en selbst nicht zu denken ist, bliebe noch die Hypothese einer Wahlversch­iebung – darüber wird zwar (noch) nicht in den Medien, wohl aber in den Wahlkampfb­üros eifrigst beraten; vor allem, seit Verfassung­srichter Dominique Rousseau via Twitter an die französisc­he Verfassung erinnerte: Artikel 7 räumt die Möglichkei­t ein, einen neuen Wahltermin anzusetzen, wenn ein Kandidat stirbt oder „verhindert“ist.

Einige Juristen meinen, damit seien nur Krankheit oder Unfall gemeint – von einer solchen Einschränk­ung steht aber nichts dezidiert in der Verfassung. Rechtsexpe­rte Pascal Jan meint, dass man Fillon als „verhindert“betrachten könnte, wenn die Ermittlung­en seine Wahlkampag­ne objektiv unmöglich machen würden. Fillon will, wie er unlängst erklärte, auf jeden Fall „bis zum Sieg“weitermach­en. Ab dem 10. März könnte aber ein Kollektiv von 60 Abgeordnet­en oder der Verfassung­srat selbst den Artikel 7 anrufen. Beharrt Fillon weiterhin auf seinem Kandidatur­recht, während seine Umfragewer­te weiter sinken, könnte dieser Extremfall durchaus eintreten. Denn bis zum Mai wird diese gespannte Lage wohl kaum Bestand haben können.

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Foto: Reuters / Christian Hartmann Neben Fillon hat auch Le Pen (oben) mit der Justiz Probleme.

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