Und plötzlich steht die Hypothese einer Wahlverschiebung im Raum
Fillon und Le Pen juristisch unter Druck – Diskussion über französische Verfassung, die auf „Verhinderung“eines Kandidaten eingeht
Wie fühlt es sich an, wenn man haushoher Favorit war – plötzlich aber nur noch ein Kandidat für die Strafjustiz? François Fillon zeigt jedenfalls Nerven. Am Montag warf der konservative Präsidentschaftskandidat der sozialistischen Regierung vor, „eine Situation des Quasi-Bürgerkrieges“tatenlos hinzunehmen. Gemeint waren jüngste Krawalle von Antifaschisten gegen einen Front-National-Auftritt.
Zuvor hatte das Magazin Canard Enchaîné enthüllt, Ex-Präsident Nicolas Sarkozy habe seinem Parteifreund Fillon geraten, täglich auf die Pauke zu hauen, um von der Affäre um den Scheinjob für seine Ehefrau abzulenken. Freunden habe Sarkozy erzählt, Fillon wirke „völlig aufgeschmissen“. Der Republikaner sieht seine Felle nämlich davonschwimmen. In einer aktuellen Umfrage liegt er mit gerade noch 20 Prozent deutlich hinter Marine Le Pen (27 Prozent) und Emmanuel Macron (25 Prozent). Die bisher so siegessicheren Bürgerlichen würden nicht einmal mehr in die Stichwahl vorstoßen. Le Figaro titelte am Montag verzweifelt: „Die Rechte im Alarmzustand“.
Auch Le Pen in Nöten
Auch Le Pen hat im EU-Parlament eine Veruntreuungsaffäre am Hals. Sie präsentiert sich aber als Opfer eines Justizkomplotts. Zudem ermittelt die Finanzjustiz nun auch gegen ihren Mitarbeiter Frédéric Chatillon, Ex-Chef der rechtsextremen Studentenorganisation Gud.
Das ist das Novum für die französische Politik: Zwei Spitzenkandidaten gehen mit Justizaffären in den Wahlkampf. Was, wenn sie verlieren, danach aber von jedem Verdacht freigesprochen werden? Egal, wie hypothetisch dieser Fall auch sein mag: In den Internetforen fragen viele, ob die drei Untersuchungsrichter, die am Freitag in der Causa Fillon ernannt wurden, de facto den Urnengang entscheiden werden – und zwar bei einer Wahl, die nicht nur über die Zukunft Frankreichs befinden wird, sondern – wenn Le Pen das Rennen machen sollte – ganz Europa betreffen würde.
Da an eine Suspendierung der Ermittlungen selbst nicht zu denken ist, bliebe noch die Hypothese einer Wahlverschiebung – darüber wird zwar (noch) nicht in den Medien, wohl aber in den Wahlkampfbüros eifrigst beraten; vor allem, seit Verfassungsrichter Dominique Rousseau via Twitter an die französische Verfassung erinnerte: Artikel 7 räumt die Möglichkeit ein, einen neuen Wahltermin anzusetzen, wenn ein Kandidat stirbt oder „verhindert“ist.
Einige Juristen meinen, damit seien nur Krankheit oder Unfall gemeint – von einer solchen Einschränkung steht aber nichts dezidiert in der Verfassung. Rechtsexperte Pascal Jan meint, dass man Fillon als „verhindert“betrachten könnte, wenn die Ermittlungen seine Wahlkampagne objektiv unmöglich machen würden. Fillon will, wie er unlängst erklärte, auf jeden Fall „bis zum Sieg“weitermachen. Ab dem 10. März könnte aber ein Kollektiv von 60 Abgeordneten oder der Verfassungsrat selbst den Artikel 7 anrufen. Beharrt Fillon weiterhin auf seinem Kandidaturrecht, während seine Umfragewerte weiter sinken, könnte dieser Extremfall durchaus eintreten. Denn bis zum Mai wird diese gespannte Lage wohl kaum Bestand haben können.