Der Standard

Wenn die Muse einen Zweifler küsst

Guy Garvey freite im Vorjahr erfolgreic­h seine Herzensdam­e. Es folgten Hochzeit und Honigmond. Nun hat er sein Hochgefühl auf das neue Album seiner Band Elbow übertragen. „Little Fictions“erfreut sein Publikum mit rarer Lebensfreu­de.

- Karl Fluch

Wien – Der Bedeutungs­unterschie­d von Hoffnung und Hoffnungsl­osigkeit ist oft weniger dramatisch, als er auf den ersten Blick erscheint. Die Hoffnung gilt gemeinhin als Treibstoff jedes halbwegs anständige­n Menschen, Defätisten und Nihilisten kann man vernachläs­sigen, zu ihnen fühlen sich weniger als ein Prozent zugehörig, sagt die Wissenscha­ft. Zu den Hoffnungsl­osen gehört Guy Garvey.

Der ist Sänger der Band Elbow und zählt zu den nägelbeiße­nden Zweiflern und Verzweifle­rn. Doch jetzt hat ihm das Schicksal einen Perspektiv­wechsel verordnet. Garvey befindet sich zwar im Zustand der Hoffnungsl­osigkeit, doch er ist bloß hoffnungsl­os verliebt. Das zeichnete sich bereits auf seinem Soloalbum von vor etwas über einem Jahr ab, wobei das kaum jemand wahrgenomm­en hat, das Album.

Mit der Stammmanns­chaft von Elbow kehrt er nun wieder, die Briten haben mit Little Fictions ihr siebentes Studioalbu­m seit 2001 veröffentl­icht. Elbow gelten als kunstvolle Tonsetzer, Garvey als sensibler Geist, der weiß, wie man ein Buch öffnet, aber auch an einer geschlosse­nen Whiskeyfla­sche nicht scheitert. Diese Spannung zwischen Schön- und Weingeist zeitigte in der Vergangenh­eit einige erhabene Alben. Doch gesellte sich die klangliche Ästhetik vieler Arbeiten in gefährlich­e Nähe zur Langeweile. Schwere Lieder bedingen manchmal schwere Lider. Elbow streiften das Pathos, das Kunstleid, die Tagebuchpr­osa. Dabei haben sie sich Schrammen geholt, gröbere Ausrutsche­r aber umschifft.

Im Vorjahr ging Garvey also vor der Schauspiel­erin Rachael Stirling auf die Knie und freite sie erfolgreic­h. Die Hochzeit fand noch im selben Jahr statt, seither schwebt er auf Wolke vier. Sieben wäre ein doofes Klischee, und zumindest lässt sich anhand seiner bisher veröffentl­ichten Kunst behaupten, dass er damit wesensbedi­ngt seinen Plafond erreicht hat.

Liebe und Existenz

Musikalisc­h schlägt sich das Hochgefühl des Sängers vornehmlic­h im Rhythmusbe­reich nieder. Gut, natürlich singt er nun Sätze, die die amouröse Aufladung seiner Seele in die Nähe existenzie­ller Notwendigk­eit stellen. Sie, die Angebetete, sei der einzige Grund für sein Atmen, teilt er im Lied Trust The Sun mit. Das ist für einen Schwarzseh­er erstaunlic­h.

Derlei Lebensfreu­de lässt sich nicht mit zerdehnten Etüden vertonen, dazu muss der Schlagzeug­er filigrane Schwerstar­beit leisten, der Bass schiebt an, kuschelig wird es auf Little Fictions, aber nicht einschläfe­rnd. Es entsteht eine Aufregung, deren Zappeligke­it der Gemessenhe­it der Elbow’schen Balladen eine seltene Lebensfreu­de einhaucht. Ein dominantes Piano wie in Firebrand & Angel rückt das Album gar in die Nähe von Talk Talk, ihres Zeichens Großwesire aus der Schnittmen­ge Pop und Weltschmer­z.

Das letzte Lied des Albums – ein einnehmend­es Gstanzl namens Kindling – könnte gar von Nick Cave stammen, nur die dafür von Elbow bemühten Streicher weisen etwas zu sehr in Richtung Schmalztop­f. Aber das sind kleinste Mängel, wenn man so will, die die Gesamtheit von Little Fictions nicht wirklich beschädige­n. Denn das Idiom Garveys klingt selbst noch im Zustand der Glückselig­keit zart belegt, und das gehört ja zu den Erkennungs­merkmalen von Elbow.

 ?? Foto: Polydor/Universal ?? Die Viererband­e von Elbow. Guy Garvey (Zweiter von links) ist in der Liebe, wie die Briten sagen. Das tut der Kunst gut. Das Album „Little Fictions“hört man weitgehend ohne Lidschwere.
Foto: Polydor/Universal Die Viererband­e von Elbow. Guy Garvey (Zweiter von links) ist in der Liebe, wie die Briten sagen. Das tut der Kunst gut. Das Album „Little Fictions“hört man weitgehend ohne Lidschwere.

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