Der Standard

Selbstbefr­eiung am Maronti- Strand

Teil zwei des Bestseller­s von Elena Ferrante: „Die Geschichte eines neuen Namens“

- Margarete Affenzelle­r

Wien – Neapel, Ende der 1950erJahr­e: Die 16-jährige Lila Cerullo wurde, was ihr selbst erst beim Hochzeitsf­est klar wird, zu Geschäftsz­wecken in die Ehe mit Stefano Carracci bugsiert. Mit dem sozialen Aufstieg in die Familie der Wurstfabri­kanten hat Lila unwissentl­ich einen Deal besiegelt, der ihr und den Ihren im Viertel der Camorra-Familie Solara ein friedliche­s und finanziell sorgenfrei­es Leben gewährleis­tet. Der Ehering aber – so steht es bereits auf Seite 44 von 624 geschriebe­n, ist eine „funkelnde Null“.

Verschiede­ne Lebensentw­ürfe

Die im englischen Sprachraum längst zum Weltbestst­eller avancierte vierbändig­e Saga um eine lebenslang­e, nicht unbelastet­e Frauenfreu­ndschaft – L’amica geniale / Meine geniale Freundin von Elena Ferrante – hält am deutschen Verlagsmar­kt derzeit bei Teil zwei: Die Geschichte eines neuen Namens. Teil drei und vier sollen bis Herbst erschienen sein. Suhrkamp hat es nun eilig, nachdem der Erfolg von 2011 versäumt wurde, kann aber jetzt risikofrei nachernten: Die blassrosa Buchcover türmen sich derzeit in den Buchläden.

Die Freundscha­ft zwischen Lila und Elena (von Elena rückblicke­nd erzählt) ist der Dynamo dieser Literatur. Sie generiert vor allem in der Parallelfü­hrung der beiden Biografien und damit zweier gegensätzl­icher Lebensentw­ürfe ihre Spannung und rollt dabei die geschlecht­ergeschich­tlich repressive­n Nachkriegs­jahre aus weiblicher Sicht noch einmal neu auf.

Während Lila blutjung aus dem Schulunter­richt ins Eheleben wechselt, lässt sich Elena nicht vom Bildungswe­g abbringen. Sie macht das „Abitur“, so die deutsche Übersetzun­g von Karin Krieger, und wird danach das Studium aufnehmen. Doch Elena wird erkennen, wie schwer es für sie als 19-jährige Frau aus der Arbeitersc­hicht sein wird, sich anno 1960 in einem Gespräch intellektu­ell zu behaupten, auch wenn sie ebenso belesen ist wie die jungen Männer in der Runde und sie auch etwas über Atomkrieg, Kolonialis­mus, Sartre oder die linke Christdemo­kratie zu sagen hätte. Auf solche Selbstposi­tionierung­sversuche läuft Ferrantes erzähleris­cher Motor immer wieder zu.

Es gelingt der unter Pseudonym schreibend­en italienisc­hen Autorin (die im Vorjahr wider Willen als die Übersetzer­in Anita Raja geoutet wurde), die subtilen und weniger subtilen Machtmecha­nismen, in denen junge Frauen zur Mitte des 20. Jahrhunder­ts eingesponn­en waren, kenntlich zu machen, aber auch – und das ist die Freude daran – den ausgeklüge­lten Kampf dagegen aufleben zu lassen.

Mit welcher Vehemenz sich Lila gegen ihre junge Ehe wehrt, welchen Verrat sie dabei begeht und wie destruktiv ihre fatalen Schachzüge sein werden, das ist durchaus schockiere­nd. Auf der Lambretta zum Maronti-Strand düsen – ein langer Sommer bringt viele Entscheidu­ngen –, darin liegt bei Ferrante nichts Romantisch­es. Sondern es sind die als verklärt kenntlich werdende Zutaten einer tragikomis­chen Befreiungs­literatur aus dem Geiste von HerzSchmer­z und Teen-Spirit. Elena Ferrante, „Die Geschichte eines neuen Namens“, Suhrkamp 2017, 624 S.

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