Der Standard

Jugendhilf­e variiert von Bregenz bis Wien

Wie viel finanziell­e Unterstütz­ung Kinder und Jugendlich­e bekommen, die nicht bei ihren Eltern leben, ist in jedem Bundesland anders geregelt. Auch die Art der Fremdunter­bringung hängt vom Wohnort ab. Experten fordern eine Angleichun­g.

- Marie-Theres Egyed Katharina Mittelstae­dt

Wien – Der „Wirbelwind“ist aus der Schule zurück. Schlagarti­g verändert sich die Stimmung in der Wohngemein­schaft für Kinder und Jugendlich­e. War es vorher noch ruhig im Gemeinscha­ftsraum, läuft nun ein energiegel­adenes Mädchen herum und buhlt um die Aufmerksam­keit ihrer Geschwiste­r auf Zeit und von AnnaMaria Gebauer, der Betreuerin. „Wirbelwind“wird die siebenjähr­ige Rebecca (Name geändert, Anm.) genannt, sie ist nicht nur die jüngste Bewohnerin der sozialpäda­gogischen Einrichtun­g, sondern auch die neueste Bewoh- nerin. Insgesamt wohnen acht Kinder und Jugendlich­e in der WG der Stadt Wien, vier Mädchen und vier Burschen zwischen sieben und 16 Jahren.

In der Bundeshaup­tstadt sind derzeit etwa 1700 Jugendlich­e in sozialpäda­gogischen Einrichtun­gen untergebra­cht, etwa genauso viele bei Pflegeelte­rn. Voraussetz­ung für eine Fremdunter­bringung ist eine „klare Gefährdung für das Wohl oder die Entwicklun­g des Kindes“, erklärt Bettina Terp, Regionalle­iterin sozialpäda­gogischer Einrichtun­gen.

Wichtig ist ihr: „Ich habe im seltensten Fall mit Problemkin­dern zu tun, sondern mit Problemelt­ern.“Der häufigste Grund ist Ver- nachlässig­ung, dann psychische, körperlich­e oder sexuelle Gewalt. Besteht eine solche Gefährdung­slage, kommt das Kind zunächst in ein Krisenzent­rum. Von dort wird dann nach einem passenden Platz gesucht, um auf die Bedürfniss­e des Kindes einzugehen.

Österreich­weit lebten laut Kinder- und Jugendhilf­ebericht aus dem Jahr 2016 etwa 13.100 Kinder nicht bei ihren Eltern. Die Statistik wurde im Herbst vom Familienmi­nisterium veröffentl­icht, die daraus ersichtlic­hen Daten sind überrasche­nd: Sie offenbaren große regionale Unterschie­de in der Betreuung. Die Neos haben dazu eine parlamenta­rische Anfrage an Familienmi­nisterin Sophie Karmasin (ÖVP) gestellt. Neos-Jugendspre­cherin Claudia Gamon verwundert etwa, dass in Oberösterr­eich sechs von 1000 Minderjähr­igen den Eltern entzogen werden, in Kärnten und Wien aber fast doppelt so viele.

Kritik übt die pinke Abgeordnet­e auch an den abweichend­en Kosten für Jugendlich­e in Betreuung. Die Steiermark zahlt etwa 467 Euro pro Kind, in Tirol sind es nur 247 Euro. Es sei kein Muster erkennbar, die variierend­e Höhe erkläre sich weder durch ein StadtLand-Gefälle noch durch sozioökono­mische Unterschie­de. Für Gamon ist klar: „Kinder und Jugendlich­e dürfen nicht dem österreich­ischen Föderalism­us zum Opfer fallen.“

Die Wiener Kinder- und Jugendanwä­ltin Monika Pinterits kann sich die Unterschie­de ebenfalls nicht recht erklären und stimmt Gamon zu: „Jedes Kind muss gleich viel wert sein.“Es sei deshalb dringend notwendig, dass einheitlic­he Standards entwickelt würden – in Bezug auf bestmögli- che Unterbring­ung genauso wie auf präventive Maßnahmen. Klar sei nämlich: „Fremdunter­bringung muss immer das allerletzt­e Mittel sein.“

Das bestehende Kinder- und Jugendschu­tzgesetz wird derzeit evaluiert. Familienmi­nisterin Karmasin hat damit Anfang des Jahres das Institut für Familienfo­rschung beauftragt. Bis spätestens Mitte 2018 sollen Ergebnisse vorliegen und dem Parlament präsentier­t werden, heißt es aus dem Ministeriu­m. „Ziel ist es, die Treffgenau­igkeit des Gesetzes zu verbessern“, sagt eine Sprecherin. Man müsse abwarten, was die Evaluierun­g ergebe, aber aller Voraussich­t nach sollen die Länderunte­rschiede beglichen werden, bleibt sie diesbezügl­ich vage.

Drei Jahre in Einrichtun­gen

Durchschni­ttlich bleibt ein Jugendlich­er zweieinhal­b bis drei Jahre in einer Einrichtun­g. Bestenfall­s können sie wieder zurück zu ihren Familien, dementspre­chend werden auch die Eltern betreut und darauf vorbereite­t, Verantwort­ung zu übernehmen. Manche Kinder verbringen etwa das Wochenende mit ihrer Familie, so auch Rebecca. Für den Wirbelwind bedeutet das aber auch „großes Heimweh“, wie sie erzählt.

In der WG wird in der Zwischenze­it versucht, für Stabilität und Normalität zu sorgen. Betreuerin Gebauer ist ständig dahinter, ob Mathe gelernt wurde, die Vokabel im Kopf sind oder der Geschirrsp­üler ausgeräumt ist. Sie hört ihren Kinder zu, wenn sie traurig sind, erklärt ihnen, dass die Sendung Berlin Tag und Nacht nicht der Realität entspricht, tröstet bei Liebeskumm­er, schlichtet Streit – wie in einer Familie.

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Acht Kinder und Jugendlich­e wohnen in dieser sozialpäda­gogischen Einrichtun­g in Wien. Wohngemein­schaften haben das alte Modell der Kinderheim­e inzwischen abgelöst.
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