Jugendhilfe variiert von Bregenz bis Wien
Wie viel finanzielle Unterstützung Kinder und Jugendliche bekommen, die nicht bei ihren Eltern leben, ist in jedem Bundesland anders geregelt. Auch die Art der Fremdunterbringung hängt vom Wohnort ab. Experten fordern eine Angleichung.
Wien – Der „Wirbelwind“ist aus der Schule zurück. Schlagartig verändert sich die Stimmung in der Wohngemeinschaft für Kinder und Jugendliche. War es vorher noch ruhig im Gemeinschaftsraum, läuft nun ein energiegeladenes Mädchen herum und buhlt um die Aufmerksamkeit ihrer Geschwister auf Zeit und von AnnaMaria Gebauer, der Betreuerin. „Wirbelwind“wird die siebenjährige Rebecca (Name geändert, Anm.) genannt, sie ist nicht nur die jüngste Bewohnerin der sozialpädagogischen Einrichtung, sondern auch die neueste Bewoh- nerin. Insgesamt wohnen acht Kinder und Jugendliche in der WG der Stadt Wien, vier Mädchen und vier Burschen zwischen sieben und 16 Jahren.
In der Bundeshauptstadt sind derzeit etwa 1700 Jugendliche in sozialpädagogischen Einrichtungen untergebracht, etwa genauso viele bei Pflegeeltern. Voraussetzung für eine Fremdunterbringung ist eine „klare Gefährdung für das Wohl oder die Entwicklung des Kindes“, erklärt Bettina Terp, Regionalleiterin sozialpädagogischer Einrichtungen.
Wichtig ist ihr: „Ich habe im seltensten Fall mit Problemkindern zu tun, sondern mit Problemeltern.“Der häufigste Grund ist Ver- nachlässigung, dann psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt. Besteht eine solche Gefährdungslage, kommt das Kind zunächst in ein Krisenzentrum. Von dort wird dann nach einem passenden Platz gesucht, um auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen.
Österreichweit lebten laut Kinder- und Jugendhilfebericht aus dem Jahr 2016 etwa 13.100 Kinder nicht bei ihren Eltern. Die Statistik wurde im Herbst vom Familienministerium veröffentlicht, die daraus ersichtlichen Daten sind überraschend: Sie offenbaren große regionale Unterschiede in der Betreuung. Die Neos haben dazu eine parlamentarische Anfrage an Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) gestellt. Neos-Jugendsprecherin Claudia Gamon verwundert etwa, dass in Oberösterreich sechs von 1000 Minderjährigen den Eltern entzogen werden, in Kärnten und Wien aber fast doppelt so viele.
Kritik übt die pinke Abgeordnete auch an den abweichenden Kosten für Jugendliche in Betreuung. Die Steiermark zahlt etwa 467 Euro pro Kind, in Tirol sind es nur 247 Euro. Es sei kein Muster erkennbar, die variierende Höhe erkläre sich weder durch ein StadtLand-Gefälle noch durch sozioökonomische Unterschiede. Für Gamon ist klar: „Kinder und Jugendliche dürfen nicht dem österreichischen Föderalismus zum Opfer fallen.“
Die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits kann sich die Unterschiede ebenfalls nicht recht erklären und stimmt Gamon zu: „Jedes Kind muss gleich viel wert sein.“Es sei deshalb dringend notwendig, dass einheitliche Standards entwickelt würden – in Bezug auf bestmögli- che Unterbringung genauso wie auf präventive Maßnahmen. Klar sei nämlich: „Fremdunterbringung muss immer das allerletzte Mittel sein.“
Das bestehende Kinder- und Jugendschutzgesetz wird derzeit evaluiert. Familienministerin Karmasin hat damit Anfang des Jahres das Institut für Familienforschung beauftragt. Bis spätestens Mitte 2018 sollen Ergebnisse vorliegen und dem Parlament präsentiert werden, heißt es aus dem Ministerium. „Ziel ist es, die Treffgenauigkeit des Gesetzes zu verbessern“, sagt eine Sprecherin. Man müsse abwarten, was die Evaluierung ergebe, aber aller Voraussicht nach sollen die Länderunterschiede beglichen werden, bleibt sie diesbezüglich vage.
Drei Jahre in Einrichtungen
Durchschnittlich bleibt ein Jugendlicher zweieinhalb bis drei Jahre in einer Einrichtung. Bestenfalls können sie wieder zurück zu ihren Familien, dementsprechend werden auch die Eltern betreut und darauf vorbereitet, Verantwortung zu übernehmen. Manche Kinder verbringen etwa das Wochenende mit ihrer Familie, so auch Rebecca. Für den Wirbelwind bedeutet das aber auch „großes Heimweh“, wie sie erzählt.
In der WG wird in der Zwischenzeit versucht, für Stabilität und Normalität zu sorgen. Betreuerin Gebauer ist ständig dahinter, ob Mathe gelernt wurde, die Vokabel im Kopf sind oder der Geschirrspüler ausgeräumt ist. Sie hört ihren Kinder zu, wenn sie traurig sind, erklärt ihnen, dass die Sendung Berlin Tag und Nacht nicht der Realität entspricht, tröstet bei Liebeskummer, schlichtet Streit – wie in einer Familie.