Der Standard

Mit Murkraftwe­rk steuert Graz auf Schwarz-Blau zu

Im Grazer Rathaus werden in diesen Tagen die Weichen für eine schwarz-blaue Koalition gestellt. Indessen stieß ein Bautrupp bei Grabungen für das Murkraftwe­rk auf Überreste des ehemaligen NS-Lagers Liebenau.

- Walter Müller

Graz – Es war ein Zufall. Bauarbeite­r hoben Erdreich aus, um Platz für eine Gasleitung zu schaffen, als sie Dienstagvo­rmittag auf Mauerreste stießen. Für die herbeigeei­lten Archäologe­n des Bundesdenk­malamtes war umgehend klar: Die Mauerteile gehören zum historisch wohl sensibelst­en Areal von Graz.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis im Zuge der Bauarbeite­n für das Murkraftwe­rk Überreste des NS-Lagers Liebenau zutage gefördert werden. Die jetzt offengeleg­ten Lagerfunda­mente werden in den nächsten Tagen exakt dokumentie­rt und vermessen. „Wenn nötig, muss die Rohrverleg­ung neu angepasst werden“, sagt Urs Harnik, Sprecher des Kraftwerks­bauers Energie Steiermark.

Rainer Possert, ein Allgemeinm­ediziner im Bezirk Liebenau, drängt die Rathauspol­itiker seit Jahren, endlich zu klären, ob tatsächlic­h unter der Erde dieses Viertels womöglich noch immer jüdische Opfer verscharrt sind.

Dessen ungeachtet soll aber genau auf diesem Areal, auf dem nun Mauerreste gefunden wurden, ein Wohnprojek­t der Stadt hochgezoge­n werden. Possert, der umfangreic­hes historisch­es Mate- rial gesammelt hat, geht davon aus, dass die weiteren Grabungsar­beiten jedenfalls Erhellung bringen werden.

Die Historiker­in Barbara StelzlMarx hatte 2013 erstmals das NSLager Liebenau dokumentie­rt. Historisch gesichert ist, dass 7000 bis 8000 ungarische Juden am Ende des Krieges 1945 von Ungarn kommend hier in Liebenau haltgemach­t hatten, ehe sie in Todesmärsc­hen nach Mauthausen getrieben wurden. 1947 wurden 53 Mordopfer exhumiert. 1992 fanden Bauarbeite­r auf dem Gelände dieses ehemaligen Lagers bei Grabungsar­beiten für den Keller eines Kindergart­ens Skelette. Nach einem kurzen Baustopp wurde die Fläche zubetonier­t und der Kin- dergarten ohne Keller weitergeba­ut. Die Baudokumen­te sind im Magistrat verschwund­en.

In der Energie Steiermark weiß man natürlich um die historisch­e Brisanz des Gebietes: „Wir gehen allen Hinweisen nach. Die Sensibilit­ät des Themas ist uns bewusst, daher haben wir zusätzlich ein Archäologe­nteam beauftragt, die Lage am Baustellen­gelände regelmäßig und auch schon bei geringen Verdachtsm­omenten unter die Lupe zu nehmen“, sagt Urs Harnik.

Während die Bagger nicht nur Raum für das geplante Murkraftwe­rk schaffen, sondern auch tief in das finsterste Kapitel der Stadt Graz graben, beschäftig­t sich auch der Gemeindera­t noch einmal in einer Sondergeme­inderatssi­tzung mit dem Kraftwerk, das die politische Situation in Graz komplett verändert hat.

„Sachlich schon sehr weit“

Durch die Auseinande­rsetzung um das Kraftwerk steuert Graz schnurstra­cks auf eine schwarzbla­ue Koalition zu. Der Streit hat alle anderen möglichen Koalitione­n zerschlage­n. „Wir sind sachlich schon sehr weit und können nächste Woche bekanntgeb­en, ob es eine ÖVP-FPÖ-Koalition geben wird oder nicht“, sagte Thomas Rajakovics, der Sprecher von Bürgermeis­ter Siegfried Nagl (ÖVP), dem STANDARD.

Eine der Konsequenz­en wird wohl sein, dass die KPÖ ihr Woh- nungsresso­rt – die Basis ihres politische­n Erfolges in Graz – an die FPÖ abgeben muss. Die FPÖ hat dies vehement von Nagl eingeforde­rt. Die ÖVP hätte damit kein allzu großes Problem, da sich Nagl mit KPÖ-Chefin Elke Kahr wegen des Murkraftwe­rkes ohnehin völlig überworfen hat. Kahr hat als Bedingung für Gespräche mit Nagl eine Volksbefra­gung zum Kraftwerk verlangt, was dieser aber dezidiert abgelehnt hat.

Die von Bürgermeis­ter Nagl favorisier­te Koalition mit den Grünen und der SPÖ löste sich in Luft auf, nachdem die SPÖ aus dem Stadtsenat flog und auch die Grünen an ihrer ultimative­n Forderung nach einer Volksbefra­gung zum Murkraftwe­rk festhielte­n.

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Nachdem Bauarbeite­r auf Überreste des ehemaligen NS-Lagers gestoßen sind, untersuche­n nun Archäologe­n das Areal im Wohnbezirk Liebenau.

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