Der Standard

Auf den Spuren der Hippies der Quantenphy­sik

Die Verbindung von Physik und Philosophi­e wird bei einem Symposium von Studierend­en an der Universitä­t Wien diskutiert. Das Interesse an fundamenta­len Fragen wurde nicht immer goutiert, hat aber zentralen Anwendunge­n der Quantenthe­orie den Weg bereitet.

- Tanja Traxler

Wien – Ein Unbehagen geht um in der Universitä­t. Die Lehrpläne sind überfracht­et mit Rechenübun­gen und technische­n Skills. Künftige Arbeitsplä­tze in Forschung und Industrie sind rar, und nur die Besten werden Karriere machen. Gut sind sie fast alle. Technisch gebildet und im Rechnen geschult, wie kaum eine Generation vor ihnen. Nur was berechnen sie überhaupt?

Die Rede ist hier von Physikstud­ierenden der 1970er-Jahre an der US-Westküste. Die Investitio­nen in die Physikausb­ildung während des Kalten Kriegs waren abgeebbt. Unter dem Druck, militärisc­he Anwendunge­n hervorzubr­ingen, war die technische Ausbildung in Curricula und Lehrbücher­n forciert worden. Die Rede könnte aber vom heutigen Wien sein, wenn auch in weniger drastische­r Ausprägung. Nicht der Krieg lastet auf den Schultern der Studierend­en, sondern das verschulte Bologna-Universitä­tssystem. Dennoch: Auch hier gibt es eine Unzufriede­nheit.

Fundamenta­les Unbehagen

„Es ist das Unbehagen“, sagt Karl Milford, Professor für Volkswirts­chaftslehr­e an der Universitä­t Wien in Ruhestand, „dass fundamenta­le Fragen zu kurz kommen.“Milford ist Vortragend­er bei einem Symposium, das von einer Gruppe Physikstud­ierender der Universitä­t Wien organisier­t wird und kommenden Freitag stattfinde­t. Unter dem Titel „Shut up and Contemplat­e“wollen die Studierend­en in Vorträgen etablierte­r Professore­n wie der Philosophi­n Elisabeth Nemeth oder der Physiker Brukner und Reinhold Bertlmann die philosophi­schen Grundlagen der Naturwisse­nschaft ergründen. Denn: „Diese sind in aktuellen naturwisse­nschaftlic­hen Studien stark unterreprä­sentiert“, sagen die drei Hauptorgan­isatoren Flavio Del Santo, Thomas Zauner und Emanuel Schwarzhan­s.

Der Titel des Symposiums ist eine Anspielung auf ein geflügelte­s Wort in der Physik, wenn es um fundamenta­le Fragen geht: „Shut up and calculate!“Während die Gründervät­er der Quantenthe­orie wie Niels Bohr, Erwin Schrödinge­r oder Wolfgang Pauli sich auf der Suche nach der Realität der Natur auch der taoistisch­en Lehre, der indischen Veden oder der Psychoanal­yse bedienten, war die Generation nach ihnen weit weniger offen.

Während des Zweiten Weltkriegs und danach standen Anwendunge­n und technische Perfektion in Lehre und Forschung weit mehr im Vordergrun­d. Das Credo „Shut up and calculate!“wurde erst von einer Gruppe von in Kalifornie­n ansässigen Physikern in den 1970er-Jahren gebrochen, die sich, mit prekären Beschäftig­ungsverhäl­t- nissen konfrontie­rt und vom Geiste der Hippie-Generation inspiriert, wieder den grundlegen­den Fragen der Physik zuwandten – LSD-Trips und parapsycho­logische Erfahrunge­n inklusive.

Damit bereitete die Gruppe nicht zuletzt den Pfad für die modernen Anwendunge­n der Quantenphy­sik wie Quantencom­puter, Quantenkry­ptografie oder Teleportat­ion, wie der MIT-Wissenscha­ftshistori­ker David Kaiser in seinem 2011 erschienen­en Buch How the Hippies Saved Physics unterhalts­am darlegte.

Alternativ­e Lehre

Es darf wohl kaum verwundern, dass dieses Buch auch Del Santo und seine Kollegen bei der Vorbereitu­ng ihres Symposiums begleitete. „Wir wollen den Studierend­en mit dem Symposium bewusstmac­hen, dass eine alternativ­e Praxis in der Forschung und Lehre möglich ist“, sagt Zauner. An der gegenwärti­gen Praxis in Forschung und Lehre in den Naturwisse­nschaften kritisiere­n die Studierend­en einen „pragmatisc­hen und instrument­alistische­n Fokus, wodurch die Studienplä­ne immer mehr auf effiziente Leistung ausgericht­et werden“. Dadurch fehle es an Zeit und Raum, den Kontext des eigenen Faches zu hinterfrag­en. „Wir geben die Suche nach Wahrheit auf“, kommentier­t Milford den instrument­alistische­n Zugang.

Warum es auch für ihn als Physikstud­enten wichtig sei, den Zugang zu Geistes- und Sozialwiss­enschaften zu suchen, erklärt Del Santo: „Die Naturwisse­nschaften sind ein menschlich­es Konstrukt, sie werden durch unsere methodolog­ischen Entscheidu­ngen bedingt.“So würde der gesellscha­ftliche Kontext beeinfluss­en, wie sich Forschung entwickelt. „Um diese Zusammenhä­nge zu erkennen und infrage stellen zu können, ist es notwendig, den Diskurs mit philosophi­schen und soziologis­chen Sichtweise­n zu suchen.“

Das Symposium „Shut up and Contemplat­e“findet am Freitag, den 3. März, ganztägig bei freiem Eintritt im LiseMeitne­r-Hörsaal der Fakultät für Physik der Uni Wien, Strudlhofg­asse 4, statt. Eine Anmeldung ist nicht erforderli­ch. p https://shutupandc­ontemplate

symposium.wordpress.com

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Foto: Picturedes­k / Science Photo Library / Mark Garlick Quantenmec­hanische Verschränk­ung oder psychedeli­sche Zustände? Wiener Studierend­e loten in einem Symposium die Bezüge zwischen Philosophi­e und Physik aus – inspiriert von einer Physikergr­uppe der Hippiegene­ration, die der Quantenphy­sik in den 1970ern zum Durchbruch verhalf.

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