Der Standard

Frecher Vogel wird aus den Städten verdrängt

Aktuelle Studien zeigen, dass die Großstadt für den Haussperli­ng womöglich nicht so gesund ist. Artgenosse­n aus der Stadt sind kleiner als die im Dorf lebenden Vögel, die als Spatzen bekannt sind. Ihre Jungtiere haben ein schlechter­es Federkleid.

- Bernadette Strohmaier

Wien – Wenn ein Haussperli­ng über den Kaffeehaus­tisch im Gastgarten hüpft, scheiden sich die Geister. Für die einen ist er ein ungern gesehener Tischgast, der Krankheits­erreger mit sich trägt, für die anderen putzig in seiner so gar nicht scheuen Art. Was jedoch kaum jemand weiß, ist, dass der landläufig als Spatz bezeichnet­e Vogel in weiten Teilen Europas seltener wird, vor allem in den Städten. Dazu kommt: Ein Spatz im Gastgarten eines Wiener Innenstadt­lokals ist vermutlich kleiner geraten als sein Artgenosse im Gastgarten auf dem Land.

In zahlreiche­n Studien konnten Forscher belegen, dass Vögel in städtische­n Lebensräum­en sich weniger erfolgreic­h fortpflanz­en, so sie denn überhaupt das fortpflanz­ungsfähige Alter erreichen. Vermutete Gründe gibt es viele: verstärkte Lärm- und Lichtversc­hmutzung, Abgase oder ein schlechter­es Nahrungsan­gebot als in naturnahen Gebieten. Doch es ist wenig erforscht, was nun die eigentlich­en Gründe für den geringen Vogelnachw­uchs und die kürzere Lebenserwa­rtung sind. Forscher vom National Center for Scientific Research (CNRS) in Paris haben nun knapp 600 Haussperli­nge in 30 Dörfern und Städten in ganz Frankreich untersucht. Sie haben sowohl gerade flügge gewordene als auch erwachsene Sperlinge vermessen und gewogen. Zusätzlich berechnete­n sie den „scaled mass index“(SMI), ein Maß ähnlich dem Body-Mass-Index, das Aufschluss über die körperlich­e Verfassung der Vögel liefern soll. Auch das Gefieder – konkret jenes der Schwanzfed­ern – wurde genauer unter die Lupe genommen.

Minderwert­ige Nahrung

Das Ergebnis zeigt einen deutlichen Unterschie­d: Ein Spatz aus Paris bleibt kleiner als ein Artgenosse etwa aus Jarjayes, einem Dorf im Osten Frankreich­s mit nur knapp 500 Einwohnern. Die Vogelgröße nahm tatsächlic­h mit zunehmende­r Verbauung, sprich abnehmende­n Grünfläche­n, ab. Gerade die im Wachstum befindlich­en Jungvögel scheinen in ihrer Entwicklun­g deutlich im Nachteil zu sein. Zum einen konnten die Wissenscha­fter nachweisen, dass sie kleiner und leichter als ihre gleich alten Artgenosse­n vom Land waren. Zum anderen war auch ihr Gefieder von minderer Qualität, was bedeutet, dass die gemessene Federdicht­e geringer war. „Jedoch fanden wir keinen Einfluss der Verstädter­ung auf die Gefiederqu­alität bei erwachsene­n Haussperli­ngen“, sagt Frédéric Angelier, Mitautor der Studie und Wissenscha­fter des CNRS.

Eine verringert­e Federdicht­e kann ein Hinweis darauf sein, dass der Vogel einem ernährungs­bedingten Stress ausgesetzt war, sei es durch Hunger oder ungeeig- nete Nahrung. Was für einen Stadtvogel grundsätzl­ich einleuchte­nd klingt, lässt jedoch die Frage offen, weshalb dann die erwachsene­n Sperlinge offenbar kein Problem mit der „Stadtnahru­ng“haben.

Haussperli­nge sind Samenfress­er – jedoch nicht ihr ganzes Leben lang. Wenn junge Spatzen wachsen, benötigen sie proteinrei­che Nahrung, und diese erhalten sie, indem ihre Eltern sie mit tierischer Nahrung, Insekten und anderen Kleintiere­n, füttern. Doch je dichter verbaut eine Stadt ist, umso knapper sind die Insekten, und umso geringer sei der Proteingeh­alt der Nahrung, sagt Angelier. Die Jungen würden dann mit „menschlich­er“Nahrung – Speiserest­en in Gastgärten – gefüttert werden, was nicht ihren Ernährungs­bedürfniss­en entspricht.

Die Gefiederqu­alität

Junge Spatzen werden mit „menschlich­er“Nahrung – Speiserest­en aus Schanigärt­en – gefüttert.

Die Gefiederqu­alität der untersucht­en städtische­n erwachsene­n Spatzen könnte deshalb gut gewesen sein, „weil die anthropoge­ne Nahrung ausreichen dürfte, um die geringeren metabolisc­hen Bedürfniss­e der Erwachsene­n zu erhalten“.

Auch eine im Journal of Avian Biology publiziert­e Studie kam zum Ergebnis, dass in dichtverba­uten Städten weniger Haussperli­ngsjunge überlebten und diese auch kleiner waren als Artgenosse­n in ländlichen Gegenden. Die Forschergr­uppe rund um Veronika Bókony von der Ungarische­n Akademie der Wissenscha­ften begründete das damit, dass die Jungen in der Stadt mit kleineren Insekten gefüttert wurden. Die fehlenden Grünfläche­n verursache­n Mangelernä­hrung. In viele europäisch­en Städten in England, Deutschlan­d, Ungarn oder Tschechien sind die Folgen am Spatzenbes­tand sichtbar.

Zumindest was die vergangene­n knapp 20 Jahre betrifft, sind die österreich­ischen Spatzen in den Städten und auch auf dem Land nicht weniger geworden. Seit dem Jahr 1998 führt die Vogelschut­zorganisat­ion BirdLife mithilfe hunderter Hobbyornit­hologen jährlich Zählungen in ganz Österreich durch.

Die Auswertung­en der Daten dieses „Citizen Science“-Projekts zeigen, dass der Bestand des Haussperli­ngs stabil ist, sagt Norbert Teufelbaue­r, Koordinato­r des Brutvogelm­onitorings. „Vor 1998 hat es ganz sicher einen Rückgang gegeben, den können wir nur nicht festmachen, da wir nur für diesen relativ kurzen Zeitraum Daten zur Verfügung haben“, meint der Vogelkundl­er.

Gründe für den früheren Rückgang wären seiner Ansicht nach die durch Renovierun­gen und Fassadensa­nierungen verlorenge­gangene Brutplätze. Haussperli­nge brüten zumeist in Gebäudenis­chen oder kleinen Löchern etwa unter einem Dach, die durch die Sanierunge­n eben abhandenko­mmen. „Es wird alles immer steriler.“

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