Der Standard

Helden dämmerung

Die Kulturhist­orikerin Aleida Assmann widmet sich in ihrem Buch „Formen des Vergessens“verschiede­nen Aspekten der Gedenkkult­ur. Von einer Umbenennun­g des Heldenplat­zes hält sie wenig. Eine „Tabula rasa“sei an diesem Ort kontraprod­uktiv.

- Stefan Weiss

Wien – Auf den ersten Blick haben Erinnern und Vergessen nicht viel miteinande­r zu tun. Dass die beiden Vorgänge einander in Wahrheit bedingen, daran erinnert die deutsche Kultur- und Literaturw­issenschaf­terin Aleida Assmann in ihrem aktuellen Buch Formen des Vergessens (Wallstein). „Zum Erinnern gehört das Vergessen unbedingt dazu. Wenn wir uns zum Beispiel auf etwas fokussiere­n, muss sehr vieles drum herum ausgeblend­et werden“, sagt sie im Gespräch mit dem STANDARD. Ein wichtiges Zusammensp­iel, das nicht nur auf individuel­ler Ebene, sondern auch im kollektive­n Gedächtnis, bei Plätzen und Denkmälern, zum Tragen komme.

Assmann ist Mitglied im internatio­nalen Beirat des Hauses der Geschichte Österreich (HGÖ), das gerade in der Neuen Burg entsteht. Die Debatte um eine mögliche Umbenennun­g des Heldenplat­zes verfolgt sie mit Interesse – nur zu gut hätte diese auch in ihr Buch gepasst. Sie hält darin aber genügend andere Fallbeispi­ele parat, die der Debatte zuträglich sind.

Macht durch Geschichte

In einem Streifzug durch die Literaturg­eschichte setzt sich Assmann kritisch mit Konzepten des Vergessens auseinande­r. Da wäre zunächst Robert Musil, der den Denkmälern Unauffälli­gkeit und Wirkungslo­sigkeit unterstell­te, dabei laut Assmann aber übersah, dass die steinernen Monumente und Gedenkorte durch Riten wie Kranzniede­rlegungen, Paraden, Kundgebung­en oder eben Umbenennun­gsdebatten sehr wohl regelmäßig ins Bewusstsei­n der Menschen zurückgeho­lt werden.

Einem Konzept des produktive­n, erneuernde­n Vergessens im Sinne einer „Tabula rasa“haben Friedrich Nietzsche oder Bertolt Brecht das Wort geredet. „Die Schwäche des Gedächtnis­ses verleiht dem Menschen Stärke“, schrieb Brecht, sie helfe ihm, nach traumatisc­hen Erlebnisse­n über- haupt neu anfangen zu können. Eine Kehrseite des Vergessens zeigt etwa George Orwell, der in seinem Roman 1984 die missbräuch­liche Aneignung der Geschichte in autoritäre­n Systemen analysiert: „Wer die Vergangenh­eit kontrollie­rt, kontrollie­rt die Zukunft; wer die Gegenwart kontrollie­rt, kontrollie­rt die Vergangenh­eit“, so sein Schlüssels­atz.

„Zur Umbenennun­g von Straßen, Plätzen und sonstigen Orten kommt es ganz typisch nach politische­n Systemwech­seln“, sagt Aleida Assmann. Nach 1945 waren das etwa die Adolf-Hitler-Plätze, nach der Wende von 1990 betraf es in den ehemaligen Ostblockst­aaten zahlreiche Lenin-Gedenkorte. Der Umgang damit verlief allerdings ambivalent.

Beispielha­ft zeigt Assmann etwa, dass der Lenin-Tilgung im Russland unter Wladimir Putin partiell eine Stalin-Restaurier­ung folgte. Für (unfreiwill­ig) gelungen hält sie hingegen Skulpturen­parks in Moskau und Budapest, wohin man „pensionier­te“Denkmäler, die man politisch nicht mehr will, übersiedel­t und wo man diese wie in einem Freiluftmu­seum besichtige­n kann.

Auch für problemati­sche Denkmäler in Österreich wäre so etwas ein gangbarer Weg, meint Assmann. Die Reiterstan­dbilder Erzherzog Karls und Prinz Eugens, die dem Heldenplat­z seit 1878 ihren Namen geben, seien hingegen, wie der Platz selbst, kein Problem: „Wir können zwar sagen, dass das Wort Helden nicht mehr in unseren politische­n und wissenscha­ftlichen Wortschatz gehört, weil wir in einem ‚postherois­chen Zeitalter‘ leben – wir unterstell­en zum Beispiel nicht mehr, dass der Soldatento­d heldenhaft ist, sondern wir trauern über den Verlust dieses Lebens.“

Heldenplat­z sei allerdings ein Begriff, der sich über die Geschichte immer wieder neu mit Bedeutung gefüllt hat. „Der Platz sollte offen sein für immer neue Helden und Heldinnen – ‚postherois­ches Zeitalter‘ bedeutet nicht, dass wir keine Vorbilder brauchen“, so Assmann. „Die Geschichts­forschung kann auch neue Helden – verkannte, vergessene – aus dem Schutt der Historie befreien.“Außerdem sei der Heldenplat­z mit Thomas Bernhard oder Ernst Jandl längst in der Literaturg­eschichte verankert.

Über die angestoßen­e Debatte zeigt sich Assmann dennoch erfreut, „denn die Leute fangen an, sich damit genauer auseinande­rzusetzen. Die Geschichte wird lebendig. Genau das soll in Zukunft auch das HGÖ leisten. Es entsteht genau am richtigen Ort und kommt zur richtigen Zeit.“

Ein „Platz der Demokratie“an anderer Stelle, etwa auf dem Ballhauspl­atz? „Nicht unbedingt“, meint Assmann, „denn braucht man wirklich einen Platz, um sich zu erinnern, dass man in einer Demokratie lebt?“Auch „Platz der Republik“hält Assmann für nicht notwendig: „Meint man dann die Erste oder die Zweite Republik?“

Sinnvoll sei hingegen die Umbenennun­g des Karl-Lueger-Rings in Universitä­tsring gewesen, was Assmann auch in ihrem Buch anführt. „Der Name ist viel konkreter als der Heldenplat­z. Ein Antisemit und Wissenscha­ftsfeind sollte in der Universitä­tsadresse keinen Platz haben.“Dass am ebenso umstritten­en LuegerDenk­mal im Ersten Bezirk trotz Umgestaltu­ngsplänen bislang nicht gerüttelt wurde, sieht Assmann entspannt: „Viel wichtiger war, dass darüber geredet wurde.“

Darüber reden, kontextual­isieren und historisie­ren statt zudecken und ausradiere­n, das sei auch der aktuelle Paradigmen­wechsel, der sich in der Gedenk- kultur abzeichnet. In diesem Sinn seien Zusatztafe­ln oder auch künstleris­che Akzente, die Altes mit Neuem verbinden, wünschensw­ert. „Nehmen wir uns doch ein Beispiel an der Kuppelüber­bauung des Berliner Reichstags­gebäudes oder am Wiener Museumsqua­rtier“, so Assmann.

Dass das HGÖ hauptsächl­ich Republiksg­eschichte mit ihren ideologisc­hen Wurzeln bis ins 19. Jahrhunder­t zeigen wird, hält Assmann nicht – wie einige befürchten – für zu kurz gegriffen. „Beim 20. Jahrhunder­t gibt es in Österreich eine Leerstelle, es ist richtig, sich darauf zu fokussiere­n.“

Im letzten Kapitel ihres Buches beschäftig­t sich Assmann denn auch mit den Überforder­ungen und Gefahren von zu viel gespeicher­tem Wissen, wie es im Digitalzei­talter zutage tritt. Das Internet, das niemals vergisst, stellt die althergebr­achten Konzepte von Erinnerung gänzlich auf den Kopf. Ein Thema, das sich im neuen HGÖ sicher gut vertiefen ließe. Aleida Assmann, „Formen des Vergessens“, € 14,90 / 224 S., Wallstein 2016

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Dem Heldenplat­z wurde und wird in seiner Geschichte immer wieder neue Bedeutung gegeben. Prinz Eugens Reiterdenk­mal könne daher auch in einem „postherois­chen Zeitalter“seinen Platz haben, meint Aleida Assmann.
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Foto: privat Aleida Assmann ist emeritiert­e Professori­n der Uni Konstanz.

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