Der Standard

Das weiße Bubenwunde­r des „Jazz Age“

Die rätselhaft­e Karriere des Jazzmusike­rs Bix Beiderbeck­e (1903–1931) lässt sich jetzt auf runderneue­rten Tonträgern akustisch befriedige­nd nachprüfen. Stichwörte­r zu einem US-Kornettspi­eler, der quasi im Alleingang den Cool Jazz erfand.

- Ronald Pohl

Bix: Der Jazzmusike­r Leon Bix Beiderbeck­e wird 1903 als zweiter Sohn eines deutschstä­mmigen Holz- und Kohlenhänd­lers in Davenport (Iowa) geboren. Der Stolz auf die deutsche Herkunft findet auf dem Taufschein seinen Niederschl­ag. Der Papa heißt mit Vornamen Bismarck-Hermann. Die Mama ist Amerikaner­in und möchte für ihren Zweitgebor­enen die Härten des Lebens abmildern. Aus „Bismarck“wird das schlichte „Bix“.

Dampfer: Klein Bix klimpert bereits als Kleinkind den Yankee Doodle und spielt Franz Liszt nach dem Gehör. Lokalblätt­er wie der Davenport Daily Democrat berichten frühzeitig über „Little Bickie“, das „German Wunderkind“. Vor allem aber lauscht der kleine Bix den Vergnügung­sdampfern, die den Mississipp­i hinuntersc­hippern. Auf ihnen spielen schwarze Tanzbands aus dem Süden die Musik der Stunde: Jazz. Jazz ist der Abkömmling des Ragtime. In ihm finden Spirituals, Gospels, Blues, Work-Songs und die Lieder der Minstrel-Shows zusammen.

Flüsterkne­ipen: Als angehender Tunichtgut wird Bix von den besorgten Eltern auf eine Militäraka­demie geschickt. Der blasse junge Mann nutzt die Ausbildung­szeit, um seinen beiden Leidenscha­ften zu frönen. Er lauscht mit glühenden Ohren den Aufnahmen der Original Dixieland Jazz Band und besorgt sich prompt ein Kornett. Zum anderen kultiviert er den Genuss von schwarzgeb­ranntem Whiskey. Bald erkennt man Bix schon von weitem, an seiner Fahne.

Goldkette: Die kurze Karriere des Kornettspi­elers Bix Beiderbeck­e folgt den Gesetzmäßi­gkeiten des noch recht jungen Unterhaltu­ngsmarktes. Obwohl Bix zeitlebens das Notenlesen nicht richtig erlernt, findet er in Chicago und später in New York Aufnahme in den wichtigste­n (weißen) Jazzcombos. Aus dem Dixieland-Gedudel dieser für den Jazz prägenden Jahre sticht sein klarer, kühler Ton irritieren­d hervor. Beiderbeck­e spielt zusammen mit dem Saxofonist­en Frank Trumbauer in der Combo des Impresario­s Jean Goldkette. Bald schließt er sich dem Paul-Whiteman-Orchester an und wird todunglück­lich. Whiteman kühlt den Hot Jazz herunter und verwöhnt mit Schlagersc­hmelz.

Grammofon: Das rätselhaft­e Ingenium Bix Beiderbeck­es kann man auf mehreren Tonaufnahm­en bewundern. Bix’ Ton eignet die kühle Anmutung des Flügelhorn­s. Sein kristallkl­arer Sound hebt sich entscheide­nd ab von der Phrasierun­gskunst eines Louis Armstrong. Beiderbeck­e wird in der Mitte der 1920er-Jahre zum „Cool“-Spieler, ohne dass dieser Begriff überhaupt schon vorrätig wäre. Zeitgenoss­en wie der Duke-Ellington-Mann Rex Stewart spielen seine Soli Ton für Ton nach. Lester Young, der „Erfinder“des modernen Tenorsaxof­onspiels, wird später sagen: „Bix sounded just like a coloured boy.“

Konzept: Bix Beiderbeck­e baut in seine Phrasen Töne ein, die die Akkorde überrasche­nd umspielen. Er benutzt sie nicht als Durchgangs­töne, sondern setzt sie sogar auf die Betonungen im Takt. Das war vorher noch nicht da gewesen. Ob im Ok- tett oder in der Triobesetz­ung: Der Chicago-Jazz drängt darauf, als Kunst- oder Kammermusi­k wahrgenomm­en zu werden. Beiderbeck­e macht aus acht- oder sechzehnta­ktigen Soli kleine, swingende Erzählunge­n. Seine ganze Liebe aber gilt der ehrfürchti­g bestaunten Klassik von Debussy und Strawinsky. Sein Klavierstü­ck In A Mist, von ihm selbst am Piano gespielt, weist bereits auf George Gershwin und Lennie Tristano voraus.

Müdigkeit: Seine Alkoholsuc­ht zerrüttet Beiderbeck­es Gesundheit. Immer öfter schmeißt er Soli. Der Schwarze Freitag zerstört nicht nur die Geschäftsg­rundlage der großen Tanzorches­ter, er frisst auch Beiderbeck­es Rücklagen. Von seinen Mitmensche­n und Kollegen wird das junge Genie als melancholi­sche Rätselgest­alt beschriebe­n. Der Trompeter Jimmy McPartland sagt: „Ich glaube, er trank deshalb so viel, weil er mehr in der Musik erreichen wollte, als man als einzelner Mensch nun einmal erreichen kann.“

Tod: Der Kornettist Beiderbeck­e litt an Delirium tremens. Eine kleine Erkältung weitete sich zur Lungenentz­ündung aus. Bix Beiderbeck­e starb am 6. August 1931 in New York.

Zeugnisse: Das digitale Remasterin­g sorgt für kleine Wunder. Dachte man früher bei Beiderbeck­e-Aufnahmen bloß, eine Straßenbah­ngarnitur führe durchs Zimmer, so kann man sich heute ein recht klares Bild von Beiderbeck­es Intonation­skunst machen. Das CD-Set Bixology ist kürzlich bei Real Gone erschienen. Es enthält leider keine Linernotes. Bei ACT liegt nun das Set Echoes of Swing vor („A Tribute to Bix Beiderbeck­e“). Die Proben der Originalmu­sik sind vorzüglich ediert, eine Gruppe von Zeitgenoss­en lässt sich von Beiderbeck­es Werk hörbar gut gelaunt zu Neuem inspiriere­n.

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