Der Standard

„Für ein Kilo Fleisch 15 Kilo Soja füttern“

Jährlich importiert Österreich bis zu 550.000 Tonnen Sojaschrot, das hauptsächl­ich als Tierfutter genutzt wird. Doch in den größten Anbaugebie­ten wie Brasilien verdrängen die Monokultur­en Menschen und Natur. Europa feilt jedoch an Alternativ­en mit eigenem

- Julia Schilly

Wien – Die Wildnis ist verschwund­en. Wo einst Urwald wucherte, dominieren nun landwirtsc­haftliche Monokultur­en. Mato Grosso do Sul bedeutet übersetzt so viel wie „große Wildnis des Südens“, doch in dem Bundesstaa­t im Landesinne­ren Brasiliens, der etwa so groß wie Deutschlan­d ist, wurden die Baumregion­en in wenigen Jahrzehnte­n abgeholzt – um vor allem Platz für den Anbau von Sojapflanz­en zu schaffen. Auch in dem größeren Bundesstaa­t Mato Grosso und im Amazonas schreitet die Abholzung voran. Denn mit der weltweit steigenden Nachfrage nach Fleisch steigt auch der Bedarf nach Soja als Futtermitt­el.

Etwa 85 bis 90 Prozent der globalen Sojaerträg­e landen in Tiermägen, schätzen Experten, der Rest wird direkt für die menschlich­e Ernährung genutzt. Filmemache­r Marco Keller hat das erste Mal vor 17 Jahren in Mato Grosso do Sul das indigene Volk der Guaraní-Kaiowá kennengele­rnt. In seinem Film Agrokalyps­e schildert er Menschenre­chtsverlet­zungen und Umweltzers­törung beim Sojaanbau vor Ort.

Wegen der steigenden weltweiten Nachfrage nach Soja kommt es immer häufiger zu Konflikten um Land mit den Indigenen. „Die Situation ist vielerorts katastroph­al. Man sieht viel Elend und verzweifel­te, kulturell entwurzelt­e Menschen“, sagt Keller im Gespräch mit dem STANDARD. Viele Gemeinscha­ften der Guaraní-Kaiowá würden zusammenge­pfercht in staatliche­n Reservaten leben. Einige Menschen versuchen durch Landbesetz­ungen ihre ursprüngli­chen Gebiete wieder einzuforde­rn.

„Man muss sich nur verdeutlic­hen, dass wir für ein Kilo Fleisch zwölf bis 15 Kilo pflanzlich­e Ressourcen verfüttern“, so Keller.

Die Beliebthei­t der weitgehend geschmacks­neutralen Bohne stieg außerhalb Asiens erst in den vergangene­n Jahrzehnte­n. Mitte der 60er-Jahre wurden weltweit noch rund 30 Millionen Tonnen Soja produziert, 2014 waren es bereits 300 Millionen Tonnen. Rund 90 Prozent davon produziere­n die USA, Brasilien und Argentinie­n.

Ersatz für Schlachtab­fälle

Der Grund liegt in der Fütterungs­effizienz. Nach der BSE-Krise suchten Industriel­änder einen Ersatz zu den zuvor verfüttert­en Schlachtab­fällen. „Sojabohnen weisen von allen Futtermitt­eln den höchsten Proteingeh­alt auf. Dadurch erbringen Schweine, Hühner oder Rinder rasche Fleischzuw­ächse bei vergleichs­weise wenig Fettbildun­g“, erklärt Johann Vollmann von der Abteilung Pflanzenzü­chtung der Universitä­t für Bodenkultu­r in Wien.

„Mit resistente­m Gensoja hatte man ein neues Agrarinstr­ument, um den weltweiten Hunger der Tierfutter­industrie zu stillen“, so Filmemache­r Keller. Da Gensoja und Genmais über Patente gesichert sind, hätten die großen Agrarkonze­rne über den Vertrieb der neuen Produkte zugleich eine neue, „schier unversiegb­are Einnahmequ­elle“, so der Regisseur.

Die Fleischind­ustrie verbraucht zwar einen Großteil des Sojas, doch auch im direkten Konsum nimmt die Hülsenfruc­ht für viele Menschen eine immer prominente­re Rolle rein. Von Vorteil sei der Proteingeh­alt von 40 Prozent im Korn, sagt Vollmann und liefert Vergleiche: In der Erbse sind 25 Prozent Protein, im Weizen, Mais oder Reis nur zwölf Prozent enthalten. Die Proteinqua­lität ist dabei hoch. Das liegt am hohen Anteil der ernährungs­physiologi­sch wichtigen Aminosäure Lysin. Als „Abfallprod­ukt“der Sojaschrot­gewinnung falle zudem noch ein Speiseöl mit hohen Mengen an Lezithin ab. Sensible Personen wie etwa Erdnussall­ergiker können jedoch auf Sojabohnen allergisch reagieren, weist Vollmann hin.

Österreich importiert jährlich zwischen 400.000 und 550.000 Tonnen Sojaschrot, der fast ausschließ­lich für Futterzwec­ke für Nutztiere verwendet wird. Bei in Österreich angebautem Soja sieht die Rechnung anders aus: In den vergangene­n Jahren wurden etwa auf 45.000 bis 53.000 Hektar Sojabohnen angebaut, dabei 100.000 Tonnen bis 140.000 Tonnen geerntet, so Vollmann. Rund die Hälfte davon werde zu Nahrungsmi­tteln verarbeite­t. „Das ist ungewöhnli­ch viel, liegt aber daran, das in Österreich Betriebe erfolgreic­h heimisches Soja verarbeite­n“, sagt der Wissenscha­fter. Die österreich­ische Ernte ist gentechnik­frei, teilweise biologisch produziert und wird vor allem in Sojadrinks, - mehlen als Lebensmitt­elzusatz und Tofu in Europa verkauft.

Mit der sogenannte­n DonauSoja-Erklärung unterstütz­en derzeit 15 Staaten eine europäisch­e, nachhaltig­e und eigenständ­ige Eiweißvers­orgung. „Das Donau Soja oder Europe Soya Label garantiere, dass das Nahrungsmi­ttel gentechnik­frei ist“, sagt Ursula Bittner vom Verein Donau Soja.

Die Sojapflanz­e ist zwar nicht heimisch, aber der Donauraum eignet sich aufgrund seines warmen, sonnigen und feuchten Klimas gut für den Anbau. Je nach Region werden frühreife oder spätere Sorten gesät. Durch eine Symbiose mit stickstoff­fixierende­n Bakterien tragen sie zur Fruchtbark­eit des Bodens bei und verbessern dadurch die Fruchtfolg­e.

Hobbygärtn­er Teil der Studie

Auch in Deutschlan­d wird am Sojaanbau gefeilt. Forscher der Universitä­t Hohenheim in Stuttgart, wo seit drei Jahrzehnte­n im Bereich Soja geforscht wird, wollen die optimale Sojabohne für das Klima Mitteleuro­pas züchten. Hilfe bekommen sie von 2400 Hobbygärtn­ern und Landwirten. 1700 Samen wurden auf Böden ausgetrage­n. Die Erfahrunge­n können die Teilnehmer auf einer Onlineplat­tform der Universitä­t eintragen. Die Bohne soll für den menschlich­en Verzehr und nicht für Tierfutter verwendet werden. „Agrokalyps­e“Top-Kino, Rahlgasse 1, 1060 Wien, 11. 3., 19.00 Filmtage: Hunger.Macht.Profite. Hungrig nach Land 9. März bis 7. April 2017 pwww. HungerMach­tProfite.at

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Eine makellose Choreograf­ie der Mähdresche­r: Im brasiliani­schen Bundesstaa­t Mato Grosso wird Soja geerntet. Bis zu 90 Prozent der globalen Sojaerträg­e landen in Tiermägen.
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Foto: APA / Patrick Seeger Wo früher Rinder grasten oder Bäume wurzelten, wächst in den USA, in Brasilien oder Argentinie­n immer öfter Soja. Die drei Länder sind die größten Produzente­n und Exporteure der eiweißreic­hen Hülsenfruc­ht.

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