Der Standard

Generalver­dacht

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Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit. Das ist derzeit der Leitbegrif­f der Saison und wird von Politikern von Sobotka bis Kern als Wunderwaff­e für künftige Wahlausein­andersetzu­ngen auf Schritt und Tritt eingesetzt. Alles für den Seelenfrie­den der Österreich­er und alles gegen potenziell­e islamische Terroriste­n. Außengrenz­en überwachen. Möglichst niemanden mehr hereinlass­en. Asylbestim­mungen verschärfe­n. Und nur ja aufpassen, dass unter Zuwanderer­n und Flüchtling­en keiner ist, der eventuell Böses im Schilde führt. So weit, so gut. Aber was ist eigentlich mit den Hunderttau­senden, die friedlich hier leben und nichts Böses planen? enschen muslimisch­en Glaubens stehen derzeit unter Generalver­dacht. „Ich werde ständig kontrollie­rt, obwohl ich längst österreich­ischer Staatsbürg­er bin und seit Jahr und Tag hier arbeite“, klagt ein junger Techniker. Schwarze Haare und eine nicht schneeweiß­e Hautfarbe sind schon verdächtig. „Meidet den Westbahnho­f, auch wenn ihr mit Drogen nicht das Geringste zu tun habt“, rät ein Menschenre­chtsanwalt seinen afrikanisc­hstämmigen Klienten. „Es wird für unsereins langsam ungemütlic­h“, konstatier­t ein Sozialarbe­iter mit Migrations­hintergrun­d.

Wer Parallelge­sellschaft­en verhindern will, muss für Zuzügler die Teilhabe am österreich­ischen Leben attraktiv machen. Derzeit geschieht das Gegenteil. Gewiss, es gibt neuerdings einen Rechtsansp­ruch auf einen Deutschkur­s. Aber dieser ist auf neuösterre­ichische Weise mit Strafen und Drohungen garniert. Dabei

Mweiß jeder, der schon einmal eine Fremdsprac­he gelernt hat, dass Sympathie und Interesse (am allerbeste­n: Verliebthe­it) die wirksamste­n Sprachlehr­er sind. Man muss sich wohlfühlen und akzeptiert wissen, um erfolgreic­h zu lernen. Frauen sind doppelt gestraft. Die völlig überflüssi­ge Kopftuchde­batte macht vielen das Leben schwer. Dass Vollversch­leierung für Berufstäti­ge nicht geht, ist allen klar. Aber warum Lehrerinne­n und Bankbeamti­nnen kein Kopftuch tragen sollen, wenn sie das wollen und ihren Job gut machen, ist nicht nachvollzi­ehbar. as im Integratio­nspaket fehlt und was wir am dringendst­en brauchen, sind Rollenvorb­ilder, die Migranten zeigen, dass sie in Österreich erfolgreic­h sein können. Von Sebastian Kurz’ „Integratio­nsbotschaf­tern“hört man nicht mehr viel. Wo sind die Programme für mehr Migranten in der Polizei, im öffentlich­en Dienst, an den Schulen? Wo sind die Fernsehmod­eratoren und Moderatori­nnen mit Migrations­hintergrun­d?

Man kann darüber streiten, wie viele Flüchtling­e Österreich und Europa aufnehmen können. Es gibt auch vertretbar­e Argumente für wirksame Abschiebun­gen und verschärft­e Grenzkontr­ollen. Aber der zunehmend feindselig­e und gereizte Ton, in dem das alles neuerdings diskutiert wird, ist ebenso abstoßend wie kontraprod­uktiv. Wer mehr Sicherheit für die Österreich­er will, muss auch für mehr Sicherheit für die zugewander­ten Neubürger sorgen. Integratio­n heißt aufnehmen, nicht ausschließ­en. Wir wünschen uns ein Österreich, in dem alle friedlich zusammenle­ben können? Ja. Aber dafür alle Muslime und alle Flüchtling­e unter Generalver­dacht zu stellen bringt jedenfalls gar nichts.

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