Der Standard

Österreich braucht den Osten

- András Szigetvari

Es hat gedauert, aber die Kritik der Nachbarn an den Alleingäng­en Österreich­s wird laut. In Ungarn und Slowenien regt sich Widerstand gegen den Plan der Regierung in Wien, den Neuzugang ausländisc­her Arbeitnehm­er einzudämme­n. Aus der Slowakei und Tschechien kommt Kritik wegen der Kürzung der Familienbe­ihilfe.

Aber ist die Aufregung berechtigt oder überzogen? Auf Ebene der einzelnen Vorhaben spricht vieles für den österreich­ischen Weg. Beispiel Beschäftig­ungsbonus: 475.000 Arbeitslos­e gibt es im Land. Zu leugnen, dass es in Ostösterre­ich, in Wien und dem Burgenland, einen Verdrängun­gswettbewe­rb gibt, wäre naiv. In Supermärkt­en, Tankstelle­nshops, Restaurant­s und am Bau arbeiten oft mehr Ungarn, Slowaken und Polen als „Einheimisc­he“.

In dieser Situation mit einem Bonus jene Menschen zu fördern, die schon im Land leben und keinen Job finden, ist ein sinnvoller Ansatz. Juristisch­e Fragen werden Gerichte klären. Politisch erscheint die Maßnahme aber nicht unverhältn­ismäßig. Der Bonus gilt nur auf Zeit. Von ihm profitiere­n können auch bereits zugezogene EU-Bürger. In Ungarn und Tschechien gibt es wegen der Auswandere­r selbst Arbeitskrä­ftemängel. Ungarn wirbt in der Ukraine schon um Gastarbeit­er. Kurzum: Wenn die Kritik einmal raus ist, dürften mit dem Bonus alle leben können.

Auch für die Kürzung der Familienbe­ihilfe gibt es vernünftig­e Argumente. Die Zahlungen werden an das Preisnivea­u im jeweiligen Land angepasst. In Kaufkraft gerechnet sollen künftig alle annähernd das Gleiche bekommen. Dagegen lässt sich nur schwer argumentie­ren. nders fällt die Beurteilun­g aus, wenn man das Gesamtbild betrachtet. Im politische­n Diskurs scheint das Maß verlorenge­gangen zu sein. Die rot-schwarze Regierung spricht fast nur noch davon, wie viel die EU-Migranten und ihre Familien Österreich kosten, wie sehr der heimische Arbeitsmar­kt unter dem Zuzug leidet. Kein Wort darüber, dass Zuwanderer den Niedrigloh­nsektor bevölkern und oft Jobs erledigen, die Einheimisc­he nicht erledigen würden – Stichwort Pflege.

Hinzu kommt, dass die Regierung in Wien den Anschein erweckt, als wäre Österreich ein Verlierer der EU-Ostöffnung. Das Gegenteil ist wahr. Heimische Unternehme­n verkaufen massenhaft Waren und Dienstleis­tungen in Osteuropa. Österreich­s Banken sind in Tschechien, Kroatien und Co zu großen Playern aufgestieg­en. Ein Viertel der Einnahmen heimischer Unternehme­n aus dem Ausland kommt aus Osteuropa. Davon profitiere­n nicht nur Konzerne, sondern hunderttau­sende Beschäftig­te in Österreich.

Doch davon ist in der Öffentlich­keit kaum die Rede, was fatal ist. Denn die Gefahr wächst, dass die Osteuropäe­r aktiv werden und sich fragen, wie sie sich wehren können. Kanzler Christian Kern drängt auf weitere Maßnahmen, um den Arbeitsmar­kt abzuschott­en. Österreich kann nicht auf offene Türen für seine Unternehme­n im Osten hoffen, wenn es seine für Arbeitnehm­er zuschlägt.

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