Ethikunterricht: Der ewige Schulversuch
Der Schulversuch Ethik wird 20 Jahre alt. Was tun? Ethik für alle? Nur für „Religionsabmelder“? Zeit für eine Bilanz mit den Bildungssprechern der Parteien. Die Regierung hat Ethik nicht auf ihrer Agenda.
Wien – Das Wort „Versuch“impliziert gemeinhin eigentlich eine überschaubare Dauer mit einem absehbaren Ende. Im Zusammenhang mit Bildungspolitik kann die allerdings etwas länger werden, ja, mehrere Jahrzehnte des Versuchens in Anspruch nehmen. Einer der vielen Schulversuche in Österreich – laut Rechnungshof gab es 2012/13 5367 Schulversuche an 2900 Standorten (an einer Schule kann es mehrere geben) – geht heuer in sein 20. Versuchsjahr: „Ethik als Pflichtgegenstand für SchülerInnen, die keinen Religionsunterricht besuchen“.
Dieser Versuch wurde 1997 auf Initiative von Pädagogen an acht Schulstandorten mit 209 Schülerinnen und Schülern gestartet und läuft mittlerweile an 214 Schulen (siehe Wissen). Aber bis heute gibt es keine Entscheidung darüber, ob und wie Ethik nun ins Regelschulsystem übergeführt werden soll, oder nicht.
Wie also ist die politische Gemengelage? der STANDARD zieht eine 20-Jahr-Bilanz mit den bildungspolitischen Sprecherinnen und Sprechern der Parteien. Wer will was und was nicht?
Klar pro Ethikunterricht als Pflichtfach für alle sind Grüne und Neos. ÖVP-Vertreterin Brigitte Jank möchte fürs Erste das Provisorium Ethik „ins Regelschulwesen überführen“als Alternativpflichtfach für alle, die keinen konfessionellen Religionsunterricht haben. Aber „langfristig“wäre sie persönlich für „Ethik als Pflicht für alle, auch für die, die Religion haben“. Elisabeth Grossmann (SPÖ) ist für Ethik weiter als Schulversuch, „aber ausgebaut“. Wendelin Mölzer, der neue Bildungssprecher der FPÖ, möchte den „Religionsunterricht in größtmöglichem Umfang erhalten und Ethik ergänzend etablieren“. Und Robert Lugar vom Team Stronach sieht „keinen Handlungsbedarf“.
Den radikalsten Schnitt würde Neos-Chef Matthias Strolz ziehen: „Wir brauchen in einer immer fragmentierteren Gesellschaft, in der zunehmend auch die Aufklärung in Gefahr ist, das Fach ‚Ethik und Religionen‘ für alle verpflichtend, und zwar ab der ersten Klasse. Das ist kein Luxusfach, sondern essenziell. Der kritisch-hin- terfragende Geist muss auch geschult werden.“Und was passiert mit dem Religionsunterricht? Ist eine „Privatsache“wie Religion an sich, sagt Strolz, der seine „Wertschätzung für Religionen“betont, aber: „Die Trennung von Kirche und Staat ist wichtig. Die Schulen sollen Infrastruktur zur Verfügung stellen für Religionsunterricht, aber der Staat soll das nicht zahlen. Das ist Aufgabe der Religionsgemeinschaften, die müssen selbst zahlen.“
Auch für den Grünen Harald Walser ist klar: „Wir brauchen einen verbindlichen Ethikund Religionenunterricht mit staatlich ausgebildeten Lehrkräften für alle, nicht getrennt, beginnend in der Sekundarstufe II, im Endausbau ab der Volksschule.“Erst recht, da mittlerweile ein Viertel der Bevölkerung konfessionsfrei sei: „Da muss der Staat reagieren“, fordert Walser, für den „religiöses Wissen auch allgemein etwas Notwendiges ist“. Konfessioneller Unterricht „kann trotzdem stattfinden, aber auf freiwilliger Basis“und unter Behebung „bekannter Missstände, vor allem im islamischen Religionsunterricht: kein Deutsch, eine sehr problematische Grundhaltung bei vielen Lehrenden und sehr problematische islamische Lehrbücher“, auf die Walser mehrfach hingewiesen hat. Jedenfalls seien „20 Jahre Schulversuch eigentlich illegal. Sie sollen etwas versuchen und nach fünf, sechs Jahren entscheiden.“
Das sieht auch der Rechnungshof (RH) so. In einem Bericht von 2015 nannte er Ethik als ein Beispiel für Schulversuche, die „das Erprobungsstadium bereits überschritten“hatten und „quasi dauerhaft eingerichtet“waren, dabei sollten sie „grundsätzlich zeitlich beschränkt erprobt werden“. Außerdem lägen bereits seit 2001 „evidenzbasierte Entscheidungsgrundlagen“vor – damals wurde eine vom Bildungsministerium beauftragte externe Evaluation präsentiert, in der der Ethikunterricht als „aus Sicht der Lehrer und Schüler positiv sowie pädagogisch notwendig“beurteilt wurde. Der RH fordert – bislang erfolglos: „Auf eine Entscheidung hinsichtlich der Schulversuche Ethik wäre hinzuwirken.“
Was würde die Implementierung eines Ethikunterrichts kosten? Kommt darauf an, welche Variante man möchte. 2011 wurden bei einer parlamentarischen Enquete drei Modelle für die Sekundarstufe II skizziert:
Neuer Pflichtgegenstand Ein zuQ sätzliches Fach Ethik mit ein oder zwei Stunden Unterricht käme auf rund 53 bzw. 106 Millionen Euro.
AlternativerPflichtgegenstand Ethik Q für alle, die nicht Religion haben (wie jetzt im Schulversuch) würde rund 44 Millionen kosten.
Integriert in anderem Fach Ethik Q als Lehrplanbestandteil eines anderen Pflichtgegenstands (z. B. Philosophie) würde Kosten von rund 33 Millionen Euro bedeuten.
Kurzfristig wäre ein Umstieg auf Ethik als Pflicht für alle ohnehin „nicht machbar“, meint ÖVPBildungssprecherin Jank, auch mit Blick auf die Fächerkonkurrenz. Sie betont außerdem, „dass Ethik kein Ersatz für Religion ist und umgekehrt. Das eine substituiert nicht das andere.“
Team-Stronach-Chef Lugar hält andere neue Fächer für wichtiger, etwa „Ernährungslehre, Wirtschaft oder die tägliche Turnstunde. Ethik gehört da nicht dazu, die ist hauptsächlich in der Familie zu vermitteln und nicht in der Schule, wo die Gefahr besteht, dass Parteipolitisches vermittelt wird.“
Für FPÖ-Mandatar Mölzer passt der Zweijahrzehnteversuch Ethik zwar ins Bild vom „Land der ewigen Schulversuche“, aber „ewig lange Schulversuche sind sicher nicht ideal“. Die ethische „Ergänzung“zum Religionsunterricht sieht er für jene geboten, die sich von Religion abmelden, aber auch im Zusammenhang mit „dem islamischen Religionsunterricht, wo es Probleme gibt. Da ist es notwendig, den Kindern in gewissen Bereichen europäische, aufgeklärte Werte statt eines mittelalterlichen Islams zu vermitteln.“
Nicht nur das, meint SPÖ-Vertreterin Grossmann. Ethik – diese sei ein „immanenter Bildungsauftrag in allen Fächern“– habe sich „bewährt, sollte aber da und dort justiert und um verbindende Einheiten zwischen den Konfessionen ergänzt werden, indem approbiertes Wissen – nicht irgendwelche selbstgestrickten Theorien – von autorisierten Personen vermittelt wird; auch Atheismus als Option.“Der durch das Konkordat abgesicherte Religionsunterricht sei für sie „kein Thema“. Und die Regierung? Gedenkt das Thema Ethik der nächsten zu vererben. Laut Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) ist „aktuell nicht geplant“, am Schulversuch etwas zu ändern: „Die Vermittlung verschiedener ethischer Aspekte ist heute bereits zum Teil im Fächerkanon abgedeckt, vor allem im Rahmen des Lehrplans Geschichte und Sozialkunde / Politische Bildung. Schulen können schon jetzt schulautonom entscheiden, das Fach Ethik als Freigegenstand einzuführen.“
Trennung von Kirche und Staat ist wichtig. Der Staat soll den Religionsunterricht nicht zahlen. Matthias Strolz