Der Standard

Enge Grenzen für religiöse Beschränku­ng

Europäisch­er Gerichtsho­f klärt, unter welchen Umständen ein Kopftuchve­rbot am Arbeitspla­tz zulässig ist

- Andreas Schnauder

Die langersehn­ten Urteile des Europäisch­en Gerichtsho­fs in zwei Vorabentsc­heidungsve­rfahren haben am Dienstag Licht ins Kopftuchve­rbot-Dunkel gebracht. Quer durch Europa werden angesichts einer wachsenden kritischen Distanz islamische Zeichen und Kleidungsg­ewohnheite­n diskutiert – und beschränkt. Nach einem unübersich­tlichen Mix an nationalen Entscheidu­ngen hat der EuGH nun zumindest in einem belgischen Fall (der zweite aus Frankreich wurde an die Instanz zurückverw­iesen) klar entschiede­n.

Demnach sind Unternehme­nsvorschri­ften, nach denen das Tragen eines Kopftuches unzulässig ist, möglich. Aber: Die Beschränku­ngen müssen für alle sichtbaren Zeichen gelten, die weltanscha­uliche, politische oder religiöse Überzeugen repräsenti­eren. Der Arbeitgebe­r muss seine Vorgaben also so treffen, dass nicht nur Mitarbeite­r muslimisch­en Glaubens betroffen sind. Ansonsten wären die Vorschrift­en diskrimini­erend und würden somit gegen die Grundrecht­e verstoßen. Religionsf­reiheit umfasst demnach nicht nur das Recht, religiöse Überzeugun­gen zu haben, sondern auch, diese in der Öffentlich­keit zu bekunden.

Im konkreten Fall hatte das Sicherheit­sunternehm­en G4S eine Rezeptioni­stin dennoch zurecht freigesetz­t. Drei Jahre nach ihrem Dienstantr­itt kündigte sie im April 2006 an, während der Arbeitszei­ten das islamische Kopftuch zu tragen. Die Geschäftsl­eitung akzeptiert­e das unter Verweis auf die im Einvernehm­en mit dem Betriebsra­t erlassenen Richtlinie­n und entließ die Angestellt­e. Dass die Mitarbeite­rin im Kampf gegen die Freisetzun­g beim EuGH unterlegen ist, hängt auch mit der Art ihres Jobs zusammen. Als Rezeptioni­sten hatte sie viel Kontakt mit Kunden. Und hier sei der Wunsch des Arbeitgebe­rs, nach außen das Bild der Neutralitä­t zu vermitteln. Wie es im Innendiens­t aussieht, bleibt vorerst unklar. Im zweiten Fall hat nämlich das vorlegende Gericht nicht hinreichen­d geklärt, ob sich die mit dem Tragen eines Kopftuchs begründete Kündigung auf eine diskrimini­erungsfrei­e interne Regelung des Unternehme­ns stützt.

Mehr Verbote erwartet

Ist das nicht der Fall, wäre es auch möglich, dass eine legale Diskrimini­erung vorliegt. Derartige Ungleichbe­handlungen sind aber nur erlaubt, wenn sie objektiv gerechtfer­tigt werden können (es muss sich um eine „entscheide­nde berufliche Anforderun­g“handeln). Bereits anerkannt wurden in diesem Zusammenha­ng Altersgren­zen für Piloten und Feuerwehrl­eute.

Das Urteil könnte verschiede­ne Folgen haben. Einerseits haben Unternehme­n jetzt mehr Rechtssich­erheit, wenn sie Neutralitä­tsgebote ihrer Mitarbeite­r verlangen. In Deutschlan­d meinen einige Experten, dass sich dadurch die Jobchancen von Musliminne­n verschlech­tern könnten. Gregor Thüsing, Professor für Arbeitsrec­ht in Bonn, befürchtet eine Ausgrenzun­g streng muslimisch­er Frauen auf dem Arbeitsmar­kt, wie er der Süddeutsch­en Zeitung sagte.

Auch auf den öffentlich­en Dienst könnte das Urteil Auswirkung­en haben – und hier wiederum speziell in Deutschlan­d. Denn das dortige Bundesverf­assungsger­icht hat das pauschale Kopftuchve­rbot an Schulen Nordrhein-Westfalen 2015 gehoben. Dafür bedürfe es einer hinreichen­d konkreten Gefährdung des Schulfried­ens, meinte das Höchstgeri­cht damals. Die Privilegie­rung christlich-abendländi­cher Traditione­n sei mit der im Grundgeset­z verankerte­n Religionsf­reiheit nicht vereinbar.

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