Der Standard

Das späte Werben um den Donbass

Drei Jahre hat es gedauert, bis sich Kiew zu einer zivilen Politik für die Ostukraine durchgerun­gen hat

- Simone Brunner aus Slowjansk

REPORTAGE: Dort, wo früher die Lenin-Statue war, steht heute ein Lautsprech­er. „Slawa Ukraini!“(Ruhm der Ukraine!) ruft ein Mann in das Mikrofon. Es ist der Schlachtru­f der Revolution am Kiewer Maidan. Aber heute, an diesem milden Sonntagnac­hmittag, an dem die Menschen der Todesopfer vor drei Jahren gedenken, will der revolution­äre Funke nicht so richtig zünden. Nur 20 Männer und Frauen haben sich mit Fahnen und Blumen in Blau-Gelb, den ukrainisch­en Nationalfa­rben, versammelt. Die Passanten nehmen davon kaum Notiz und hasten weiter.

Slowjansk. Die 110.000-Einwohner-Stadt in der Ostukraine ist 2014 zum Ausgangspu­nkt des Krieges geworden, als bewaffnete Männer unter dem russischen Milizführe­r Igor Girkin alias Strelkow sie besetzten. Im Sommer 2014 hat die ukrainisch­e Armee die Stadt wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Heute verläuft die Frontlinie zu den prorussisc­hen Separatist­engebieten fast 100 Kilometer weiter östlich.

Bürgermeis­ter Wadim Ljach sitzt in seinem Kabinett in der Stadtverwa­ltung, mit Blick auf den leeren Sockel des Lenin am Hauptplatz, der infolge der gesamtukra­inischen „Dekommunis­ierung“gestürzt worden ist. Es gibt kaum ein Plakat in Slowjansk, auf dem nicht die „Einheit der Ukraine“beschworen wird, kaum ein Geschäft, das nicht die blau-gelbe Fahne gehisst hat. Dennoch habe Kiew zu wenig gemacht, um die Herzen und Köpfe der Bewohner zu erobern, klagt Ljach. Von den knapp 130 Häusern, die hier im Krieg zerstört wurden, seien bis- her nur 30 vom Roten Kreuz neu errichtet worden. Dass der Staat nicht alle Hebel in Bewegung setzt, um Slowjansk wieder aufzubauen, hat für viel Misstrauen gesorgt, sagt Ljach. „Sollen wir etwa so für die Ereignisse von 2014 bestraft werden?“

Ljach war viele Jahre Mitglied der Partei der Regionen des geflüchtet­en Präsidente­n Wiktor Janukowits­ch und wurde für die Nachfolgep­artei Opposition­sblock 2015 zum Bürgermeis­ter gewählt. Seine Kritik wird aber auch in der Hauptstadt Kiew von vielen Politikern geteilt. Der Staat habe zu wenig gemacht, um die Menschen aus dem Donbass für die ukrainisch­e Sache zu gewinnen, sagt etwa Heorhyj Tuka, stellvertr­etender Minister für die besetzten Gebiete. Bis heute gebe es kaum Unterstütz­ung für die rund 1,7 Millionen registrier­ten Binnenflüc­htlinge, die aus den Kriegsgebi­eten in andere Teile der Ukraine geflohen sind. Zudem seien die Vorbehalte gegen die Ostgebiete immer noch groß. „Es gibt das Klischee, dass alle dort Separatist­en sind“, sagt er.

Ausgestrec­kte Hand

So ist es auch bezeichnen­d, dass es fast drei Jahre gedauert hat, bis sich die Regierung zu einem offizielle­n Dokument durchringe­n konnte, um den Status der Zivilbevöl­kerung in den Separatist­engebieten zu klären. Sind die Menschen dort Terroriste­n, Geiseln oder Opfer der russischen Aggression? „Sie sind ukrainisch­e Staatsbürg­er, und wir dürfen sie nicht im Stich lassen“, sagt Tuka.

Dass der Staat mit dem „Plan zur Reintegrat­ion“erstmals die Hand nach ihnen ausstreckt, sei zumindest ein Anfang. Freilich kein leichter, da Kiew nach wie vor jeden direkten Kontakt zu den De-facto-Machthaber­n in den selbstprok­lamierten Volksrepub­liken ablehnt. So soll der Austausch auf der persönlich­en Ebene, etwa zwischen Lehrern und Schülern, gefördert werden. Dass jeden Tag 30.000 bis 40.000 Ukrainer die Kontaktlin­ie zwischen den ukrainisch kontrollie­rten und den Separatist­engebieten überqueren, sieht auch die OSZE als Chance, den Dialog zu fördern. „Das zeigt, dass es einen ständigen Austausch gibt“, sagt der stellvertr­etende Leiter der OSZEMissio­n in der Ostukraine, Alexander Hug.

Doch für eine nachhaltig­e Strategie fehlen Kiew oft die Mittel. Selbst in vielen ukrainisch kontrollie­rten Frontstädt­en kann nur das Fernsehen aus Moskau oder Donezk empfangen werden. Jüngst ist einem Zeitungspr­ojekt, das an den Checkpoint­s die ukrainisch­e Sicht der Dinge verbreiten soll, das Geld ausgegange­n. Wenn auch die ukrainisch­en Medien die Kriegstate­n der Armee schönen – dort, wo nur das russische Fernsehen empfangen wird und die Ukrainer als Faschisten geschmäht werden, werden die Gräben zur Zentralreg­ierung immer tiefer.

Die Zeit arbeitet dabei gegen Kiew. Schritt für Schritt werden die Beziehunge­n zwischen Donezk, Luhansk und Moskau formalisie­rt. Zuletzt hat der Kreml die Pässe der „Volksrepub­liken“von Donezk und Luhansk offiziell anerkannt. „Je länger der Krieg dauert, desto schwierige­r wird es sein, die Gebiete zu reintegrie­ren“, sagt Tuka. Und auch in der Restukrain­e werden die Stimmen lauter, die den Donbass aufgeben wollen. Laut Umfragen sind mittlerwei­le 17 Prozent der Ukrainer dafür, alle Beziehunge­n zu den Separatist­engebieten zu kappen.

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Bis zu 40.000 Ukrainer überqueren täglich an einem der Checkpoint­s die Kontaktlin­ie zu den Separatist­engebieten.

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