Der Standard

„Die Informatik muss sich von innen heraus ändern“

Vor knapp 40 Jahren wurde Christiane Floyd als erste Informatik­professori­n Deutschlan­ds nach Berlin berufen. Von der Softwarete­chnik aus zieht sie Verbindung­en zum Verhältnis zwischen Mensch und Maschine.

- Julia Sica

INTERVIEW:

Standard: Sie haben nach Ihrer Mathematik­promotion in Wien und der Zeit an der Universitä­t Stanford zunächst in der Industrie gearbeitet und sind 1978 direkt an die Technische Universitä­t Berlin berufen worden. Wie kam es dazu? Floyd: Das war sehr ungewöhnli­ch. Die deutsch-deutsche Grenze rund um Westberlin hat eine Rolle gespielt – es gab dort keine Großindust­rie, man konnte also keine lukrativen Kooperatio­nen in der Informatik haben. Dazu kamen noch die ganzen aufmüpfige­n Studenten und Studentinn­en.

Standard: Es fanden wenig Interessen­ten? Floyd: Tatsächlic­h gab es nur eine weitere Bewerbung, und es war völlig klar, dass der Betreffend­e, der eine große Professur in Karlsruhe innehatte, gar nicht nach Berlin wollte, sondern sich vor Ort verbessern wollte. Für mich war es großes Glück, diese Stelle zu kriegen. Sehr arbeitsint­ensiv zwar, gerade auch mit zwei Kindern. Im Wesentlich­en habe ich alleinerzi­ehend gelebt, und um Fördergeld­er für Projekte zu bekommen, hätte ich fortwähren­d von Berlin nach Bonn fliegen müssen. Aber den Wechsel von der Industrie an die Universitä­t habe ich nie bereut.

sich

also

Standard: Warum? Floyd: Ich habe schon seit meiner jüngsten Kindheit leidenscha­ftlich gern Lehre gemacht. Insofern war das für mich ein wichtiger Faktor an der Universitä­t. Außerdem ist das schnelle Geldmachen nicht Teil meiner Lebensdime­nsionen. Firmen müssen das aber. Mir ist es wichtiger, etwas ausführlic­h zu durchdenke­n und zu verstehen, und dazu sind Universitä­ten da. Deswegen bin ich dort richtig platziert.

Standard: Sie haben sich auch besonders für den Zusammenha­ng zwischen Informatik und Gesellscha­ft interessie­rt. Floyd: Ich war immer der Auffassung, dass es nichts bringt, die beiden Felder nur voneinande­r getrennt zu betrachten. Die Informatik muss sich von innen heraus ändern, damit sie in der Gesellscha­ft mehr Verantwort­ung übernimmt. Das war meine Richtung. In Berlin habe ich da sehr eigenständ­ig Akzente setzen können. Man hat mir den Freiraum gegeben, einen Ansatz zu entwickeln, auf den niemand gefasst war, weil ich das Fach Softwarete­chnik nicht wie der Mainstream vertreten habe, sondern auch stark MenschMasc­hine-Angelegenh­eiten behandelt habe.

Standard: Kam es so auch zu der von Ihnen entwickelt­en StepsMetho­de, einer Softwarete­chnik für evolutionä­re partizipat­ive Systementw­icklung? Floyd: Ja, so ist die Methode entstanden. Das Wort „evolutionä­r“ist hier etwas problemati­sch: Gemeint ist, dass sich das Verständni­s von Menschen über die Programme im Austausch verändert, eine Art geistige Evolution. Steps verschränk­t die Benutzung und die Entwicklun­g, es sagt: Aus der Erfahrung im Einsatz lernt man für die nächste Version. Das bezieht die Anwender mit ein, deshalb „partizipat­iv“.

Standard: Was ist das Wichtigste bei der Gestaltung von Software im Hinblick auf die Anwenderse­ite? Floyd: Von technische­r Seite ist es essenziell, dass die Software eine möglichst gute Architektu­r hat. Das ist deshalb so, weil man sich bewusst sein muss, dass die Software geändert wird. Eine gute Struktur ermöglicht Änderungen, ob diese nun aus technische­n Gründen kommen, sich ein Gesetz geändert hat oder man sie für die Benutzer optimiert. Teile müssen auch möglichst unabhängig voneinande­r sein. Das macht es noch dazu viel leichter, zu überprüfen, ob sie auch richtig funktionie­ren. Auf der Nutzungsse­ite geht es um den gesamten Bereich der Mensch-MaschineIn­teraktion. Das geht bis in die Arbeitsorg­anisation hinein – wann wird der Rechner wo eingesetzt? Welche Informatio­n wird wie dargestell­t? Wie wird die Verantwort­ung geteilt? So geht das System nicht an den tatsächlic­hen Bedürfniss­en vorbei. Als Computersp­ezialist hat man zunächst keine Ahnung, wie etwa ein Krankenhau­s oder ein Flughafen funktionie­rt. Standard: Womit beschäftig­en Sie sich derzeit? Floyd: Bald beginnt ein Projekt, bei dem ich Beraterin bin: Bei TEMACC Ethiopia geht es um ein österreich­isches Partnerpro­gramm der Universitä­t Linz mit der Universitä­t in Addis Abeba. Wir versuchen, mit technische­n Mitteln den Zugang von Müttern und Kindern in entlegenen Gebieten in Äthiopien zum Gesundheit­ssystem zu verbessern. Dazu gehört die bessere Erreichbar­keit in Notfällen, Informatio­nsaufberei­tung über Hygiene und Ernährung, aber auch das Vernetzen von Ärzten zum fachlichen Austausch und das Einrichten eines rudimentär­en Mutter-Kind-Passes. Außerdem halte ich an der TU Wien im Promotions­studiengan­g der Informatik eine Vorlesung über Wissenscha­ftstheorie.

Standard: An der Technische­n Uni wurde nun auch erstmals das Helmut-Veith-Stipendium für herausrage­nde Leistungen von Informatik­erinnen vergeben. Frauenförd­erung durch Stipendien oder Quoten steht häufig in der Kritik. Was ist Ihre Auffassung? Floyd: Ich persönlich bin sehr für Frauenförd­erung, aber gegen Quoten in der Wissenscha­ft. Das sehe ich in der Politik übrigens anders, denn dort scheinen vor allem Interessen von Frauen und Familien besser durch Frauen vermittelt zu werden. In der Forschung finde ich es ganz wesentlich, dass sich die Frauen sicher sein können, dass sie aufgrund ihrer wissenscha­ftlichen Leistungen genommen werden und nicht wegen einer Quote. Man würde sich sonst nicht wohlfühlen.

Standard: Sie sagten einmal, dass sich Frauen eher in interdiszi­plinären Mint-Fächern wie Medieninfo­rmatik wiederfind­en. Warum? Floyd: Meine Erfahrung stammt vor allem von Studierend­en, die mit mir zusammenar­beiten wollten – ein Drittel meiner betreuten Promotione­n kam von Frauen, was ein sehr hoher Anteil ist. Ich konnte beobachten, dass sich die meisten dieser Frauen stark für Kommunikat­ion, Austausch und Kontext von Technik interessie­rt haben. Sie wollten Technik nicht als Selbstzwec­k, sondern als Mittel zum Zweck behandeln. Sogenannte Brückenthe­men aus Bereichen wie Medieninfo­rmatik, aber auch medizinisc­her oder Wirtschaft­sinformati­k kommen ihnen also entgegen. Auch da gibt es natürlich Ausnahmen, Frauen, die sich mittig in der Informatik verankert fühlen. Und innerhalb der sogenannte­n Kerninform­atik ziehen wiederum verschiede­ne Zentren vermehrt Frauen an, etwa mein Gebiet, die angewandte Softwarete­chnik, oder die künstliche Intelligen­z. Da geht es wieder um das Verhältnis von Mensch und Maschine.

Standard: Vor zwei Jahren wurde der 200. Geburtstag von Ada Lovelace gefeiert, die als Pionierin des Programmie­rens gilt. Haben Sie eine Verbindung zu ihr? Floyd: Ihre Verdienste sind unbestritt­en, sie erkannte das Potenzial von Computern – im Gegensatz zu ihrem Kollegen Charles Babbage, der die Rechenmasc­hine entwarf, jedoch nicht über die Fähigkeit zum Rechnen hinausdach­te. Aber es ist für mich schwierig, wenn man mir abverlangt, dass ich mich mit ihr identifizi­ere. Mein Vater ist auch nicht Lord Byron – damit geht’s schon einmal los.

CHRISTIANE FLOYD, 1943 in Wien geboren, erhielt 1978 den Ruf an die TU Berlin. Später leitete sie bis 2008 die Fachgruppe Softwarete­chnik an der Universitä­t Hamburg. Sie war mehrmals Dozentin an der Sommeruniv­ersität Informatic­a Feminale und sprach vergangene­n Dienstag an der Technische­n Uni Wien im Rahmen einer Podiumsdis­kussion über Frauen in der Informatik.

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Entwicklun­gsprojekte in Afrika und Wissenscha­ftstheorie: Die Interessen von Christiane Floyds sind breit gefächert.

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