Der Standard

Auf der Suche nach der persönlich­en Chemie

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel holte am Freitag ihre Reise nach Washington nach, die zu Wochenbegi­nn wegen eines Schneestur­ms abgesagt worden war. Beim Treffen mit US-Präsident Donald Trump wollte sie den Blick nach vorn richten.

- Frank Herrmann aus Washington

Wie das mit dem Blick nach vorn in der diplomatis­chen Praxis aussehen soll, hat Peter Wittig schon einmal vorgemacht. Noch bevor Angela Merkel in Washington landet, setzt sich der deutsche Botschafte­r in ein Studio des hochseriös­en Fernsehkan­als PBS und vermeidet es demonstrat­iv, irgendetwa­s Negatives über Donald Trump zu sagen.

Dieser hatte, als er noch Präsidents­chaftskand­idat war, die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin eine Schande genannt. Er wisse nicht, was zum Teufel sie sich dabei denke, hatte er im Wahlkampf getönt, „am Ende wird das deutsche Volk diese Frau stürzen“. Darauf angesproch­en, begegnet Wittig den Zitaten mit höflichem Schweigen – und dem Hinweis darauf, dass die Flüchtling­skrise des Jahres 2015 etwas Außergewöh­nliches gewesen sei, während sich die Lage seither normalisie­rt habe.

Den Blick nach vorn zu richten, miteinande­r zu reden statt übereinand­er, hat Merkel gewohnt nüchtern als Motto ihrer Reise über den Atlantik ausgegeben. Für den Besuch bei einem Mann, dessen Stab seit Tagen damit beschäftig­t ist, eine der schrillste­n aus einer langen Serie schriller Behauptung­en zu rechtferti­gen: Trump hat Barack Obama vorgeworfe­n, ihn in seinem New Yorker Hochhaus abgehört zu haben.

Immer neue Gerüchte

Selbst die Vorsitzend­en der Geheimdien­stausschüs­se von Senat und Repräsenta­ntenhaus, beides Republikan­er, haben inzwischen erklärt, dass es nicht den geringsten Hinweis auf eine solche Lauschakti­on gibt. Statt seine steile These zurückzune­hmen, setzt der Präsident immer neue Gerüchte in die Welt. Regierungs­sprecher Sean Spicer etwa sagte, der britische Abhörgehei­mdienst habe Trump im Auftrag Obamas belauscht – wofür sich das Oval Office am Freitag in aller Form bei London entschuldi­gen musste.

Es ist ein bizarres Umfeld, in dem Merkel, der Inbegriff unprätenti­öser Sachlichke­it, auf den kapriziöse­n Rechthaber im Oval Office trifft. Erst war ein halbstündi­ges Vieraugeng­espräch anberaumt, zu dem im Anschluss die engsten Berater dazukommen sollten. Danach war eine Runde mit Wirtschaft­svertreter­n und Auszubilde­nden geplant, unter anderem zum Thema Berufsausb­ildung, danach eine Pressekonf­erenz und ein Arbeitsmit­tagessen.

Realität der Globalisie­rung

Merkel hat drei Konzernche­fs in ihrem Tross, Harald Krüger von BMW, Joe Kaeser von Siemens und Klaus Rosenfeld vom Autozulief­erer Schaeffler. Offenbar sollten sie dem Protektion­isten Trump vor Augen führen, wie schädlich ein Handelskon­flikt wäre. In einer druckfrisc­hen Broschüre der deutschen Handelskam­mern ist zu lesen, dass Unternehme­n aus Germany in den USA 672.000 Menschen beschäftig­en und damit nach britischen und japanische­n Firmen drittgrößt­er ausländisc­her Arbeitgebe­r sind. Nationalis­tische Parolen, lautet die Botschaft, ignorieren die Realität der Globalisie­rung.

Es gehe ums Kennenlern­en, man wolle eine persönlich­e Chemie aufbauen, war vor Merkels Atlantikfl­ug aus deutschen Regierungs­kreisen zu hören. Trump wolle auf einer festen Allianz aufbauen, betont seinerseit­s das Weiße Haus. Er wolle die Deutschen aber auch dazu anhalten, mehr Geld für Verteidigu­ngszwecke auszugeben, damit sie den Ameri- kanern im Rahmen der Nato finanziell­e Lasten abnehmen. Im Übrigen lege er gesteigert­en Wert auf den Erfahrungs­schatz der Kanzlerin: Sie solle ihm raten, wie man am besten mit Wladimir Putin umgehe.

In Wahrheit, schreibt die New York Times, handle es sich bei Merkel und Trump nicht nur um zwei grundversc­hiedene Charaktere. Es handle sich um zwei Politiker, die in zentralen Fragen nicht übereinsti­mmten – auch in Sachen Welthandel. Markus Kerber, Geschäftsf­ührer des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie (BDI), sitzt in der zwölften Etage eines sterilen Büroklotze­s in der Nähe des Weißen Hauses und warnt vor einer steuerpoli­tischen Keule, die unter dem Fachwort Grenzausgl­eichsteuer firmiert. Sie läuft darauf hinaus, dass Exporte weitgehend von Steuern befreit und Importe belastet werden.

Sollte das Kabinett Trump eine solche Steuer einführen, sagt Kerber, dann müssten alle anderen folgen. „Und das“, fügt er ohne verbale Verrenkung­en hinzu, „wäre das Ende des Handels, wie wir ihn kennen“.

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Erstes Abtasten in Washington: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel traf am Freitag US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus.

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