Der Standard

Ein Handy und ein Angeklagte­r als Häferl

Ein Konflikt um ein als Pfand in einem Handyshop gelassenes Mobiltelef­on endete mit Handgreifl­ichkeiten. Beim Prozess redete sich der Beschuldig­te vor der Richterin in einen wahren Wirbel.

- Michael Möseneder

Wien – Mitlesende­n Nichtöster­reichern sollte man vielleicht zunächst den Titel der Geschichte erklären. Bei einem Häferl handelt es sich nicht zwangsläuf­ig um eine Tasse, es kann sich auch um einen Menschen drehen, der sich leicht aufregt. Michel O. sitzt aus zweitem Grund vor Richterin Minou Aigner.

Dem 40-Jährigen wird vorgeworfe­n, vergangene­n September in einem Handyshop randaliert und fünf Angreifer mit dem Flaschenha­ls einer zerbrochen­en Flasche bedroht zu haben. Vorwürfe, mit denen er ganz und gar nicht einverstan­den ist.

Zum Leidwesen der Richterin gibt der Nigerianer diese Ansicht laut, gestikulie­rend und aufbrausen­d bekannt. Gelegentli­ch redet er sich so in Rage, dass er stottert. Dass Eigenartig­e daran: Es liegen recht plausible Beweise vor, dass die Anklage korrekt ist.

Aber der Reihe nach. Es geht um den Abend des 6. September und um ein als Pfand hinterlegt­es Mobiltelef­on. „Ich bin dort Stammkunde!“, beteuert der angeklagte Paketbote. Als es einmal finanziell eng wurde, wollte er sich Geld für Treibstoff ausborgen. „Ich habe gesagt, sie sollen mir 60 Euro geben, ich lasse mein Handy da, und gebe ihnen am nächsten Tag 80 zurück.“

Der Verkäufer lehnte das zunächst ab und bot 220 Euro an, wenn ihm O. das Handy verkaufe. Schließlic­h einigte man sich doch auf die Pfandvaria­nte und verfasste einen Vertrag mit den Bedingunge­n. Die der Angeklagte nicht einhielt. „Ich war am vereinbart­en Tag dort, aber der Mitarbeite­r war nicht da!“, empört dieser sich. Als er am nächsten Tag wiederkam, erfuhr er, dass das Gerät mittlerwei­le verkauft worden war.

„Haben Sie dem Opfer die Brille vom Kopf geschlagen, eine Handyattra­ppe aus der Halterung gerissen und sind damit vor die Tür gegangen?“, fragt Aigner ihn. „Nein, es war Notwehr“, sagt der Beschuldig­te zunächst und streitet die Handlungen dann überhaupt ab.

Die Verhandlun­g ist tatsächlic­h mühsam, Entscheidu­ngsfragen müssen zum Teil viermal gestellt werden, da O. ständig irgendwas erzählt. Er bietet auch eine dritte Option: „Ich habe das Handy herausgeri­ssen. Dann haben sie mich zu fünft angegriffe­n! Dabei ist vielleicht die Brille herunterge­fallen.“

Sein Problem ist die Existenz eines Überwachun­gsvideos – auf dem folgende Reihenfolg­e dokumentie­rt ist: Zunächst gestikulie­rt O. wild. Nach zwei Minuten reißt er dem Angestellt­en die Brille vom Kopf. Dann nimmt er die Handyattra­ppe an sich, und erst danach entsteht die Rangelei.

Der Angeklagte bleibt dabei und sieht sich als Opfer. „Ich wurde unterdrück­t!“, empört er sich. Ein Anwesender hätte ihn mit den Worten „Sklave, geh weg aus meinem Geschäft!“aufgeforde­rt, sich zu entfernen. „Sie haben mich wütend gemacht!“, brüllt er fast.

Gezackter Flaschenha­ls

Ein noch schwerwieg­enderer Vorwurf ist von der Kamera nicht mehr erfasst worden. O. soll vor dem Lokal eine Flasche zerbrochen, die andere Gruppe mit dem Umbringen bedroht und mit dem gezackten Flaschenha­ls in ihre Richtung gedeutet haben.

„Die lügen! Die Flasche ist bei dem Angriff im Geschäft zerbrochen!“, entgegnet der Angeklagte, der auch immer wieder betont, dass er Aussagen in dem von ihm unterschri­ebenen Polizeipro­to- koll nicht getätigt habe. Aus dem Bericht der Exekutive hält ihm die Richterin vor: „Die Beamten haben in einem Mistkübel vor dem Geschäft einen abgebroche­nen Flaschenha­ls entdeckt. Und auf dem Gehsteig sind Scherben gelegen. Wie sind die Sachen dorthin gekommen, wenn alles im Handyshop passiert ist?“Nun sagt er, er habe überhaupt keine Flasche wahrgenomm­en.

Irgendwann wird es Aigner zu bunt. „Schauen Sie, das ist alles auf Video! Wenn wir uns das anschauen müssen, müssen wir vertagen. Dann wissen wir aber vielleicht, dass Sie heute ordentlich gelogen haben. Mit einem Geständnis würden sie eine viel mildere Strafe bekommen“, beschwört sie den ohne Verteidige­r erschienen­en Angeklagte­n drei oder vier Mal.

Der bleibt stur. Er sei unschuldig. Die Folge: Vertagung auf 12. April.

 ??  ?? Ausrangier­te Handys sorgen selten für Aufruhr. Im gegenständ­lichen Verfahren geht es vielmehr um ein funktionst­üchtiges Gerät – und um das aufbrausen­de Verhalten seines Besitzers.
Ausrangier­te Handys sorgen selten für Aufruhr. Im gegenständ­lichen Verfahren geht es vielmehr um ein funktionst­üchtiges Gerät – und um das aufbrausen­de Verhalten seines Besitzers.

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