Frei im Denken, überall
Starke Frauen (II): Die selbstbewusste Louisa Matilda Fagan (1850–1931). Von ruf & ehn
Sie sei eben, der Bürgermeister von Hastings erhob sein Glas und grinste, sie sei eben eine „Frau mit sehr heftigen Ansichten, und man weiß nie, was denn ihr nächster Zug ist.“Das Protokoll des Eröffnungsdinners beim traditionellen Turnier von Hastings 1913 vermerkt danach: „anhaltendes Gelächter“.
Man mag sich Louisa Matilda Fagan während des Dinners vorstellen: Wohl wenig amüsiert, vielleicht milde lächelnd über die Blödsinnigkeit des Bürgermeisters. Sie war einiges gewohnt. Die Antwort erteilte die Angesprochene regelmäßig in Vorträgen und am Schachbrett. Louisa Fagan galt seit ihrer Jugend als stärkste Schachspielerin Englands, ihre Schachkompositionen wurden regelmäßig vom ehrwürdigen British Chess Magazine publiziert. Mit „den heftigen Ansichten“ist wohl gemeint, dass Fagan Mitglied der liberalen Fabian Society in London war und sich in der Women’s Emancipation Union engagierte.
Fagan war im Jänner 1850 als Tochter von William Robert Ballard, eines amerikanischen Zahnarztes, und Angelina De Deo in Neapel geboren worden und ist mit elf Jahren mit ihrer Familie nach London gekommen. Ihr um zwei Jahre älterer Bruder William Robert Ballard Jr. war ein bekannter Londoner Amateur, der auch Profis wie Henry Bird gefährlich werden konnte. Sie blieb ihm zeitlebens eng verbunden, bei der Publikation ihrer ersten Schachprobleme half er. Gefördert wurde Louisa Fagan von Johannes Hermann Zukertort, der stärkster Spieler in England war und bei der Weltmeisterschaft 1886 gegen Steinitz nach anfangs klarer Führung unterlag. Zukertort war von ihrem Talent überzeugt und trainierte mit ihr.
1883 trennte sich Fagan von ihrem Mann, einem irisch stämmigen Offizier, dem sie nach ihrer Heirat 1872 nach Indien gefolgt war. Danach lebte sie eine Zeitlang im Ladies Residential Club in der Upper Montague Street in Marylebone und unterrichtete am linksradikalen Pioneer Club und am feministischen Somerville Club. Im Gegensatz zu vielen Gentleman Clubs, die Frauen kategorisch ausschlossen, war Männern hier der Zutritt erlaubt, allerdings nur in Begleitung einer Frau. Sie zählte auch zu den Gründerinnen des populären, um die Jahrhundertwende rasch expandierenden La- dies Chess Club in London.
Der Grund für Louisa Fagans Engagement (und Empörung) könnte eine Erfahrung gewesen sein, die sie in Indien machen musste. 1882 nahm sie am Turnier im Bombay Sports Club teil. Die Regeln waren absurd. Fagan durfte zwar teilnehmen, aber musste in einem separaten Raum spielen. Sie gewann alle ihre zwölf Partien, wurde von den Kollegen als Siegerin akklamiert, von den Funktionären allerdings disqualifiziert, da die Clubmitgliedschaft Männern vorbehalten war. Erst nach einer Gerichtsklage Fagans wurde sie schließlich als Siegerin anerkannt. Sie hatte einiges erreicht. Hier ihre Partie gegen George William Richmond vom Londoner Turnier 1897: Fagan – Richmond London 1897
Die klassische Hauptvariante.
Der Aljechin-Chatard-Angriff, 17 Jahre bevor er von Aljechin erstmals angewendet wurde! Weiß opfert einen Bauern für starken Angriff.
Alles wohlüberlegt.
Am solidesten war 12... h6. Verlockend war 13.Lxh7!? b5 und dann erst 14.Dg5.
Kreatives Schach – unter Bauernopfer wird die Turmverdopplung auf der h-Linie vorbereitet.
Denn nach 14… Dxf2? 15.Tdh1 h5 schlägt schon der Blitz mit 16.Sxd5!! exd5 17.e6 ein. Getauscht wird natürlich nicht.
Auch nach 16... h5 17.Se2 Sc5 18.Kb1 ist alles offen. Ein mutiges Op- fer. Er wagt es nicht, trotzdem war 18... axb5 die bessere Alternative: Nach 19.Sxb5 Td8 20.Sd6+?! Txd6 wäre alles in Ordnung für Schwarz. Weiß muss daher mit 20.Tfh4 weiter auf taktische Chancen lauern. Entfernt eine wichtige Verteidigungsfigur.
Noch stärker war 21.Se2 nebst Sed4 und Sg5 mit überlegener Position. Schwarz gerät in Panik ob des drohenden Sg5, dabei konnte er sich mit 21... Sd7 22.Te1 Tb8 23.Sg5 h4! zäh verteidigen.
So hatte sich Richmond das gedacht, aber dabei einiges übersehen. Nach 24... Ta7 wäre vernichtend 25.Sxd5! exd5 26.Txd5 mit der Drohung e5-e6 gefolgt.
Gewinnt quasi im Vorbeigehen. Öffnet die Stellung, die Jagd auf den König beginnt. Oder 25... Sxf6 26.Sxe6+! Dxe6 27.Sxd5 Sxd5 28.Txd5 und der König kommt nicht mehr zur Ruhe. Noch schöner war 26.Txd5! exd5 27.Sxd5 De5 28.Se6+ Dxe6 29.Dc7 matt. Falls 26... Sc5, so 27.Dd6+ Ld7 28.Txd5 De7 29.Db6+ Ke8 30.Txc5. Und schon 1-0. Das hübsche Ende nach 27… Ld7 28.Sxe6+! Sxe6 29.Sxd5! Dxd4 30.Txe6 blieb leider hinter den Kulissen.