Der Standard

Spielraum für Kopftuchve­rbote bleibt eingeschrä­nkt

Verbote religiöser Zeichen am Arbeitspla­tz sind trotz aktueller EuGH-Urteile heikel. Auch ein generelles Neutralitä­tsgebot kann in der Praxis Musliminne­n diskrimini­eren. Und Kundenwüns­che sind kein Rechtferti­gungsgrund.

- Andrea Potz

Wien – Die beiden Entscheidu­ngen des Europäisch­en Gerichtsho­fes zum Tragen von religiösen Kleidungss­tücken am Arbeitspla­tz (Rs Bougnaoui C-188/15 und Rs Achbita C-157/15) haben vergangene Woche erwartungs­gemäß große mediale Resonanz gefunden. In beiden Fällen übten Arbeitnehm­erinnen eine Tätigkeit mit Kundenkont­akt aus, beiden untersagte der Arbeitgebe­r, ein islamische­s Kopftuch zu tragen. Ihre Weigerung das Kopftuch abzulegen führte zur Beendigung des Arbeitsver­hältnisses.

Die in den Medien transporti­erte Botschaft war, dass ein Arbeitgebe­r das Kopftuch verbieten kann, sofern eine generelle Regelung im Unternehme­n das „sichtbare Tragen von politische­n, philosophi­schen, religiösen oder weltanscha­ulichen Zeichen“im Kundenkont­akt untersagt. Doch so eindeutig sind die Entscheidu­ngen nicht. Das liegt auch daran, dass sie sowohl zur bisherigen Rechtsprec­hung des EuGH als auch zueinander in einem gewissen Spannungsv­erhältnis stehen.

Im Verfahren Rs Achbita bestand im Unternehme­n bereits ein entspreche­ndes allgemeine­s Verbot. Der EuGH sieht in einer derart generellen Unternehme­nspolitik der „Neutralitä­t“im Auftritt gegenüber Kunden ein potenziell legitimes Ziel, das eine Benachteil­igung aufgrund der Religion bzw. Weltanscha­uung rechtferti­gen könnte. Damit schlägt der Gerichtsho­f neue Töne an, die geeignet sind, den Schutzmech­anismus der mittelbare­n Diskrimini­erung auszuhebel­n.

Bei mittelbare­r Diskrimini­erung reicht die bloße Eignung einer Maßnahme, eine Gruppe, die ein Diskrimini­erungsmerk­mal aufweist, zu benachteil­igen – unabhängig vom Motiv. Dieser Schutz wird durch die Möglichkei­t eine Maßnahme zu rechtferti­gen wieder eingeschrä­nkt. Bisher stand der EuGH rein wirtschaft­lichen Interessen als Rechtferti­gungsgrund für mittelbare Diskrimini­erungen kritisch gegenüber. Diese strikte Haltung scheint er nun aufzuweich­en. Er betont in der Causa Achbita die – grundrecht­lich abgesicher­te – unternehme­rische Freiheit und stellt diese bis zu einem gewissen Grad vor die – ebenfalls grundrecht­lich abgesicher­te – Freiheit der Religionsa­usübung. Die endgültige Entscheidu­ng, ob die Beendigung der Arbeitsver­hältnisse zulässig war, ist allerdings von den zuständige­n nationalen Gerichten zu treffen.

Doch der Spielraum für Unternehme­n, über eine Neutralitä­tspolitik das Tragen eines Kopftuches zu untersagen, ist eingeschrä­nkt. Denn eine solche Politik ist sowohl am Antidiskri­minierungs­recht als auch an den Grundrecht­en zu messen. Unternehme­rische Freiheit kann nicht als pauschale Legitimati­onsbasis für ein generelles Verbot dienen, wenn sie mit der Religionsa­usübungsfr­eiheit der Arbeitnehm­er und -innen kollidiert.

Darüber hinaus mag ein Neutralitä­tsgebot zwar allgemein formuliert sein, doch in der Praxis trifft es vor allem Frauen muslimisch­en Glaubens, da diese weitaus am häufigsten ein sichtbares religiöses Kleidungss­tück tragen. Das stellt eine klassische Diskrimini­erung – wegen der Religion und des Geschlecht­s – dar, die einer Rechtferti­gung bedarf.

Die wahrschein­lichste Rechtferti­gung aus Unternehme­nssicht ist der Wunsch von Kunden, nicht mit Kopftuchtr­ägerinnen konfron- tiert zu werden. Doch genau dem schiebt der EuGH in der Rechtssach­e Bougnaoui einen Riegel vor: Diskrimini­erende Kundenwüns­che sind kein zulässiges Argument für eine diskrimini­erende Unternehme­nspolitik. Die Sorge vor Kundenrück­gängen beim Einsatz von Kopftuchtr­ägerinnen ist daher wohl auch kein legitimer Grund für ein Kopftuchve­rbot.

Verbot für alle – oder nicht?

Doch hier enden noch nicht die Probleme, die sich aus der EuGHJudika­tur ergeben. Selbst wenn ein legitimes Interesse an der Unternehme­nsneutrali­tät im Kundenkont­akt vorliegt, muss das Verbot einschlägi­ger Zeichen in Hinblick auf dieses Ziel angemessen und erforderli­ch sein. Die Erforderli­chkeit ist nach Ansicht des EuGH dann gegeben, wenn sich das Verbot auf Personen mit Kundenkont­akt beschränkt. Daraus wäre der Schluss zu ziehen, dass bei Personen ohne Kundenkont­akt ein Verbot unzulässig ist. Doch das Kriterium der Angemessen­heit fordert eine kohärente und systematis­che Umsetzung einer Neutralitä­tspolitik im Unternehme­n. Wenn manche Mitarbeite­rinnen Kopftuch tragen dürfen und andere nicht, ist diese kaum gegeben.

Letztlich hat der EuGH in dieser brisanten Frage wenig geklärt. Unternehme­n sind gut beraten, hier vorsichtig heranzugeh­en. Die Entscheidu­ng, ob auf Basis eines generellen Neutralitä­tsgebots ein Kopftuchve­rbot zulässig ist oder nicht, wird vom Einzelfall abhängen.

MMAG. DR. ANDREA POTZ ist Rechtsanwä­ltin bei CMS Reich-Rohrwig Hainz. andrea.potz@cms-rrh.com

 ??  ?? Ein Unternehme­n mag alle religiösen und weltanscha­ulichen Zeichen am Arbeitspla­tz untersagen, aber betroffen sind davon fast nur Frauen muslimisch­en Glaubens, die ein Kopftuch tragen wollen.
Ein Unternehme­n mag alle religiösen und weltanscha­ulichen Zeichen am Arbeitspla­tz untersagen, aber betroffen sind davon fast nur Frauen muslimisch­en Glaubens, die ein Kopftuch tragen wollen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria