Der Standard

Knochenarb­eit für Wiener Archäologe­n

Am Österreich­ischen Archäologi­schen Institut wird ein eigenes Department für Bioarchäol­ogie errichtet. Zur Eröffnung findet eine Tagung in Wien statt. Experten werden über biologisch­e Überreste aus der Vorzeit referieren.

- Kurt de Swaaf

– Die Verwesung ist zum Glück nicht allmächtig. Möge das Fleisch oft schon nach Monaten restlos verfaulen, Knochen und andere Körperbest­andteile bieten dem Verfall bekanntlic­h viel länger die Stirn. Nicht selten überdauern sie Jahrhunder­te oder gar Millennia. Je härter das Material, aus dem die Überreste bestehen, desto langsamer meist die Zersetzung. Letztere wird übrigens zum größten Teil von Bakterien und Pilzen bewirkt. Ihnen dient Totes zur Speise. Die Erhaltung eines Kadavers oder eines Stückes Holz hängt deshalb auch von Umweltbedi­ngungen wie Feuchtigke­it und Sauerstoff­zufuhr ab. Ohne Wasser kann kein Mikroorgan­ismus gedeihen.

Für Michaela Binders Arbeit spielt all dies eine zentrale Rolle. Die Wissenscha­fterin ist am Österreich­ischen Archäologi­schen Institut (ÖAI) der Akademie der Wissenscha­ften tätig und forscht dort an Skeletten, aber auch an Mumien. Ihre Studien sollen neue Einblicke in das Leben der Menschen in früheren Gesellscha­ften ermögliche­n. Binder gehört somit zur wachsenden Zunft der Bioarchäol­ogen. „Wir untersuche­n biologisch­e Überreste mit naturwisse­nschaftlic­hen Methoden, um archäologi­sche, umwelt- und kulturwiss­enschaftli­che Fragen zu beantworte­n“, sagt die Exper- tin. Knochen liefern Hinweise auf Krankheite­n, der Inhalt von Latrinen auf die Essgewohnh­eiten, und mithilfe von Pollenkörn­ern lassen sich menschenge­machte Veränderun­gen in der Vegetation einer Landschaft nachvollzi­ehen. „Viele dieser Analysen sind nichts Neues“, sagt Binder. Man habe sie jedoch lange bei den Naturwisse­nschaften „ausgelager­t“. Eine unnötige Trennung.

Expertenko­nferenz

Damit soll nun Schluss sein. Das ÖAI feiert in dieser Woche die Einrichtun­g eines eigenen Department­s für Bioarchäol­ogie. Zur Eröffnung findet am Donnerstag, den 23. März, im Theatersaa­l der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften ein Symposium statt. Fachleute aus dem In- und Ausland stellen dabei ihre Projekte vor. So erforscht zum Beispiel Ferran Antolín von der Universitä­t Basel das archäobota­nische Material der Ausgrabung ZürichPark­haus Opéra. Am Nordufer des Zürichsees siedelten während des Neolithiku­ms Menschen in Pfahlbaute­n. Die Häuser standen im Flachwasse­r, an dessen Boden sich stetig Sedimente ablagerten. Dieser Schlamm beherbergt­e unter anderem allerlei Samen, Obstkerne und sogar verkohltes Fruchtflei­sch – Speiserest­e der früheren Bewohner.

Antolín und seine Kolleginne­n kategorisi­erten die insgesamt mehr als 80.000 pflanzlich­en Fundstücke aus einer gut 5100 Jahre alten Schicht. Den Untersuchu­ngsergebni­ssen nach nahmen Wildgewäch­se auf dem Menu der Ur-Zürcher eine durchaus wichtige Position ein. Am häufigsten vertreten waren Haselnüsse und wilde Äpfel beziehungs­weise Birnen (vgl.: Quaternary Internatio

nal, Bd. 404, S. 56). Auch Eicheln kamen offenbar häufig auf den Tisch. Ersten Hochrechnu­ngen zufolge könnten gesammelte Nüsse und Wildfrücht­e bis zu 15 Prozent des Kalorienbe­darfs gedeckt haben. Eine solche Zahl wirft ein interessan­tes Licht auf die regionale Bedeutung der jungsteinz­eitlichen Landwirtsc­haft. Vielleicht spielte sie für die Ernährung der Pfahlbaute­nsiedler noch gar keine so dominante Rolle. Neben Viehzucht plus dem Anbau von Getreide und Hülsenfrüc­hten blieben Jagen und Sammeln wichtige Tätigkeite­n. Daten von anderen Schweizer Fundstätte­n weisen in dieselbe Richtung (vgl.: The Holo

cene, Bd. 26, S. 1858). Michaela Binder indes richtet ihr Augenmerk auf medizinisc­h relevante Themen. Aktuell befasst sie sich vornehmlic­h mit Malaria. Die Seuche hat in Europa und dem mediterran­en Raum eine lange Geschichte. Schon Hippokrate­s beschrieb um 400 vor Christus ihre typischen Symptome. Malaria ist allerdings nicht gleich Malaria. Die Krankheit wird von meh- reren unterschie­dlichen Einzeller-Spezies verursacht – mit unterschie­dlichen Folgen. Während Plasmodium vivax und P.

malariae chronisch schwere, normalerwe­ise nicht lebensbedr­ohliche Fieberschü­be auslösen, fordert Plasmodium falciparum Todesopfer. Vor allem bei Kindern verlaufen die Infektione­n fatal.

Eine Frage, die die Wissenscha­ft seit längerem umtreibt, lautet: Wann erreichte P. falciparum das Mittelmeer? Der Erreger stammt ursprüngli­ch von einem Schimpanse­n-Parasiten, Plasmo

dium reichenowi, ab. Von den Affen scheint er erst vor relativ kurzer Zeit auf den Menschen übergespru­ngen zu sein. Damit würde sich auch seine Gefährlich­keit erklären, denn ein angepasste­r Schmarotze­r bringt seinen Wirt nicht um. Die Evolution begünstigt auf Dauer die Schonenden.

Gefährlich­er Erreger

Nach Ansicht einiger Fachleute wären die antiken Zivilisati­onen gar nicht entstanden, wenn die tödliche Malaria-Variante damals schon mediterran­e Gefilde heimgesuch­t hätte. Manche glauben sogar, dass P. falciparum das Römische Reich auf dem Gewissen hat – eine umstritten­e These. Die Krankheit mag beim Zerfall des Imperiums eine Rolle gespielt haben, meint Michaela Binder. „Doch Malaria war bestimmt nicht die einzige Ursache.“

Um die historisch­e Ausbreitun­g der Seuche genauer nachvollzi­ehen zu können, suchen Binder und Forscher der Medizinisc­hen Universitä­t Wien gemeinsam nach Spuren von P. falciparum- Infektione­n. Knochen und Zähne liefern das Probemater­ial. Die Skelette sind 3300 bis 400 Jahre alt und kommen von Friedhöfen auf Zypern, aus dem Sudan und der Türkei sowie aus Podersdorf am Neusiedler See. Unter den dort zwischen 700 und 800 AD bestattete­n Menschen finden sich auffallend viele Jugendlich­e und Kinder ab fünf, erklärt Michaela Binder. Das deutet womöglich auf tödliche Malaria hin.

Zur Analyse nutzen die Wiener Wissenscha­fter modernste Methoden und passen sie ihren eigenen Anforderun­gen an. Einerseits will man mithilfe molekularg­enetischer Verfahren die DNA von P.

falciparum nachweisen. Das Parasiten-Erbgut ist hoffentlic­h in den Knochen erhalten geblieben. Ein weiterer Ansatz basiert auf einem speziellen, vom Erreger produziert­en Protein mit der Bezeichnun­g Pf HRP-2.

Es stellt praktisch den biochemisc­hen Fingerabdr­uck des Parasiten dar. Solche Fremdmolek­üle lassen sich immunologi­sch aufspüren. Die ersten Proben sind gerade in Bearbeitun­g, berichtet Binder. Mit konkreten Ergebnisse­n kann in zwei, drei Monaten gerechnet werden.

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Skelette aus dem Hamam vom Ayasuluk in Selçuk in der Türkei: Biologisch­e Funde können bei vielen Studien über das Leben und Leiden der Menschen helfen.

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