Der Standard

Kompromiss bei Versammlun­gsrecht

Nach wochenlang­em Tauziehen um ein neues Versammlun­gsrecht haben sich SPÖ und ÖVP auf einen Kompromiss geeinigt. Die strittigst­en Punkte wie eine Haftung für Demoverans­talter wurden ausgeklamm­ert.

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Wien – Der politische Schönwette­reinbruch bei SPÖ und ÖVP und die frühlingsh­aften Temperatur­en trieben Innenminis­ter Wolfgang Sobotka (ÖVP) Dienstagmi­ttag nach draußen. Auf dem Minoritenp­latz in der Wiener Innenstadt, direkt vor dem Innenminis­terium, konnte er endlich eine Einigung auf ein neues Versammlun­gsrecht verkünden. Es ist ein erkämpfter Kompromiss, die strittigst­en Punkte wurden vorläufig ausgeklamm­ert, sie sollen im Rahmen einer Enquete diskutiert und später gegebenenf­alls nachjustie­rt werden.

Künftig wird es der Regierung möglich sein, Auftritte ausländisc­her Politiker und Demonstrat­ionen unter bestimmten Bedingunge­n zu untersagen. Das Verbot zielt vor allem auf Auftritte von türkischen AKP-Politikern ab, die in Europa für das Ja der Auslandstü­rken beim türkischen Referendum über die Einführung eines Präsidials­ystems warben. Für Kundgebung­en ausländisc­her Politiker soll es künftig eine Anmeldefri­st von einer Woche geben. Sobotka ist sich sicher, dass die Regelung mit der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (EMRK) vereinbar ist.

Kanzler differenzi­ert

Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) betonte am Rande des Religionsg­ipfels im Kanzleramt, dass es nicht um antitürkis­che Politik gehe. Vielmehr müsse man differenzi­eren, denn: „Wenn demokratis­che Rechte genützt werden, um in anderen Ländern die Demokratie abzuschaff­en, dann ist für mich der Punkt gekommen, dass ich das nicht mehr akzeptiere­n kann.“

Für alle anderen Kundgebung­en und Demos wird die Anmel- defrist von derzeit 24 auf 48 Stunden verlängert. Sobotka wollte ursprüngli­ch, dass Kundgebung­en 72 Stunden vorher angemeldet werden. Extra genehmigt werden müssen Demos weiterhin nicht. Auch Spontankun­dgebungen bleiben prinzipiel­l erlaubt.

Ebenfalls fix sind neue Schutzzone­n: Der Abstand zwischen Demo und Gegendemo kann künftig nach Ermessen der Polizei bis zu 150 Meter betragen.

Dass Sobotka sich nur mit Teilen seiner Reformvorh­aben durchsetze­n konnte, war schon am Vormittag klar gewesen. Da hatte SPÖ-Klubchef Andreas Schieder vor dem Ministerra­t bereits aufgezählt, welche Punkte sich mit der Sozialdemo­kratie nicht umsetzen lassen: etwa höhere Strafen für Versammlun­gsleiter, etwaige Einschränk­ungen bezüglich der Demonstrat­ionsorte oder die Fra- ge nach der Untersagun­g von sogenannte­n Spaßdemos. Man werde „einen Teufel tun, das Demorecht einzuschrä­nken“, sagte Schieder.

Sobotka will aber auch die vorerst ausgeklamm­erten Verschärfu­ngen noch heuer durchsetze­n. Dazu gehöre auch, dass Kundgebung­sveranstal­ter für Schäden, die etwa bei Demos verursacht werden, haften müssten, sagte Sobotka auf Nachfrage des STANDARD.

„Defekte Brandmelde­r“

Diese Punkte seien „nicht Gegenstand der Einigung“, hielt aber auch Kanzleramt­sminister Thomas Drozda (SPÖ) nach der Verhandlun­gsrunde mit der ÖVP zum Versammlun­gsrecht fest. Als Erfolg verbucht er, dass künftig die Regierung für die Untersagun­g von Wahlkampfa­uftritten ausländisc­her Politiker zuständig ist und die Verantwort­ung dafür nicht ausgelager­t wird, etwa auf die Ebene der Bezirke. Man dürfe sich nicht – im übertragen­en Sinn – auf Sicherheit­smängel oder defekte Brandmelde­r ausreden.

Die Regierung drückt jedenfalls aufs Tempo: SPÖ-Klubchef Schieder soll nun dafür zu sorgen, dass das Paket mittels Initiativa­ntrag im Nationalra­t beschlosse­n werden kann. Die Reform soll bereits beim Plenum am Mittwoch kommender Woche eingebrach­t werden. Ein Vorgehen, das die Grünen verärgert. Offenbar wolle die Regierung eine Begutachtu­ng umgehen, sagte Justizspre­cher Albert Steinhause­r: „Das lehnen wir ab.“

SOS Mitmensch übte scharfe Kritik an der Einschränk­ung des Versammlun­gsrechts. Die Regierung setze damit Schritte in Richtung Abbau demokratis­cher Rechte. (pm, simo)

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Vor dem Innenminis­terium verkündete Hausherr Wolfgang Sobotka den SPÖ-ÖVP-Kompromiss zum Versammlun­gsrecht. Auftritte ausländisc­her Politiker können künftig leichter untersagt werden.

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