Der Standard

Über die Grenzlinie

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Der neue deutsche Bundespräs­ident und frühere Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier appelliert­e in seiner Antrittsre­de an den türkischen Präsidente­n Tayyip Erdogan: „Beenden Sie diese unsägliche­n Nazi-Vergleiche!“

Macht er ja. Erdogan sagte lediglich an die Adresse der Europäer: „Wenn Sie sich weiterhin so verhalten, dann wird morgen weltweit kein Europäer, kein Bürger des Westens in Sicherheit und Frieden die Straßen betreten können.“

Das kann man nur noch als unverhohle­ne Drohung mit Gewalt durch die Auslandstü­rken verstehen. Wenn die europäisch­e Politik oder die öffentlich­e Meinung weiter Erdogans Marsch in die Diktatur kritisiert, dann wird kein Europäer, kein Bürger des Westens auf den – eigenen – Straßen sicher sein.

Es gibt eine Denkschule, die argumentie­rt, Erdogan mache das nur, um das wacklige Ja der Türken beim Referendum über seine Machtbefug­nisse abzusicher­n. Das sei nur Rhetorik. Man wird sich aber an den Gedanken gewöhnen müssen, dass das vollkommen ernst gemeint ist. Ebenso wie die Aufforderu­ng an die Auslandstü­rken, fünf statt drei Kinder zu machen (Reality-Check: Die Geburtenra­te unter türkischst­ämmigen Frauen in Österreich sinkt).

Die Psyche des Autokraten verträgt keinen Widerspruc­h. Der Gedanke, dass er verlieren könnte, treibt ihn über die Grenzlinie der Rationalit­ät.

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