Der Standard

Tiroler Streit um Geld und Geschichte

In den 1940er-Jahren hat das NS-Regime im Tiroler Oberland Gründe von Bauern gekauft, um ein Kraftwerk zu errichten. Nun baut dort die Firma Handl, was die Erben der Bauern auf den Plan ruft. Sie erheben Ansprüche.

- Steffen Arora

Innsbruck – 70 Jahre lang interessie­rte sich niemand für die Brache im Industrieg­ebiet von Haiming, am Eingang zum Tiroler Ötztal. Im Zweiten Weltkrieg wollten die Nationalso­zialisten hier ein Wasserkraf­twerk sowie einen Windkanal errichten – beide Projekte wurden nie fertiggest­ellt. Doch insgesamt hatte das NS-Regime dazu über 200.000 Quadratmet­er an Grundfläch­en von örtlichen Bauern gekauft.

Nach dem Krieg übernahm die heutige Tiroler Wasserkraf­t AG (Tiwag), eine Tochter des Landes, als Rechtsnach­folgerin die Liegenscha­ft. 1950 entschied die damalige Rückstellu­ngskommiss­ion, dass diese Besitzverh­ältnisse rechtmäßig seien. Zudem plane die Tiwag hier noch ein Kraftwerk zu errichten.

Im April 2016 wurde bekannt, dass die Tiwag nun einen Teil dieser Gründe an den Speckprodu­zenten Handl Tyrol verkauft, der seit Jahren auf der Suche nach einem Standort für eine Betriebser­weiterung war. Dieser Verkauf rief die Erben der einstigen Bauern auf den Plan, die nun behaupten, dass diese Grundstück­e zum Teil unter Zwang verkauft hätten werden müssen.

Anton Raffl, der Sprecher der insgesamt 34 Rechtsnach­folger, die sich nun zusammenge­schlossen haben, ist der Meinung, die Tiwag hätte ihnen die Gründe zuerst zum Rückkauf anbieten müssen, bevor sie an Handl hätten veräußert werden dürfen: „Wenn das Kraftwerk nicht gebaut wird, haben wir ein Rückkaufre­cht.“Tiwag-Vorstand Erich Entstrasse­r beharrt wiederum auf dem Standpunkt, dass der Verkauf rechtens sei, und verweist auf das Urteil der Feststellu­ngskommiss­ion.

Mittlerwei­le hat sich das Land Tirol als Vermittler eingeschal­tet. In der Vorwoche trafen sich die Erben mit Landeshaup­tmannstell­vertreter Josef Geisler (ÖVP) zu ersten Gesprächen, die gut verlaufen seien, sagt Raffl. Eine Klage gegen die Tiwag sei das letzte Mittel, betont er. In den kommenden Wochen sollen weitere Gespräche stattfinde­n, im Zuge deren Raffl neue Beweise für das Rückkaufre­cht darlegen will.

Archäologi­sche Grabungen

Die Firma Handl hat inzwischen mit Bauarbeite­n auf dem Grundstück begonnen. Zuvor hat man auf eigene Kosten von 250.000 Euro in Zusammenar­beit mit dem Bundesdenk­malamt archäologi­sche Untersuchu­ngen durchgefüh­rt, um die Geschichte des Geländes aufzuarbei­ten. Bei einer Pressekonf­erenz am Mittwoch wurde dargelegt, dass sich die jetzige Baustelle nicht, wie von vielen Medien behauptet, auf einem ehemaligen Zwangsarbe­iterlager befindet, sondern auf dem Gelände der einstigen Kraftwerks­baustelle. Am Standort des einstigen Lagers befindet sich seit 25 Jahren ein Campingpla­tz.

Geschäftsf­ührer Karl Handl betonte, dass ihm die Aufarbeitu­ng der Geschichte wichtig sei. Die Vorwürfe der Bauern kann er jedoch nicht nachvollzi­ehen: „Ich habe diesen Grund von der Tiwag, den Gemeinden Haiming und Silz sowie zwei Bauernfami­lien gekauft.“Wenn damals alle gezwungen wurden, zu verkaufen, warum nicht auch diese beiden Familien, die seit 1908 im Grundbuch stehen?“

Eine Frage, die auch Raffl nicht wirklich beantworte­n kann. Er beharrt aber darauf, dass er und die anderen Erben um ihr Rückkaufre­cht gebracht worden seien. Nun wolle man eine Entschädig­ung.

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In Haiming baut die Firma Handl Tyrol eine Speckfabri­k. Die Nazis wollten hier ein Kraftwerk errichten.

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