Der Standard

„Bei Elektroaut­os ist Deutschlan­d kein Pionier“

Heißgelauf­ene Börsen, Twitter-Präsidente­n oder Verbrennun­gsmotoren als deutsche Sackgasse – Fondsmanag­er Klaus Kaldemorge­n sieht Politik und Wirtschaft an einem Wendepunkt. Und die Zinsen ebenfalls.

- Alexander Hahn

INTERVIEW: STANDARD: Sehen Sie in der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidente­n und im Brexit eine ähnliche Zeitenwend­e wie beim Zusammenbr­uch des Ostblocks 1989/90? Kaldemorge­n: Der Zusammenbr­uch des Ostblocks ging einher mit zunehmend liberaler Politik, Globalisie­rung und wirtschaft­licher Zusammenar­beit. Das sind Werte, die derzeit auf dem Spiel stehen. Man merkt, dass die Regierunge­n eher nach innen denn nach außen blicken. Die enormen Wohlstands­gewinne, die durch die Globalisie­rung losgetrete­n wurden, scheinen nicht immer bei allen Wählern angekommen zu sein.

STANDARD: Welche Auswirkung­en erwarten Sie durch Trump? Kaldemorge­n: Im Zuge seiner Politik werden die Zinsen vermutlich steigen. Aber er hat auch versproche­n, dass die Löhne in den USA steigen werden. Das bedeutet meines Erachtens, dass die Wirtschaft in den USA weiter wachsen wird, vielleicht sogar stärker als in den letzten Jahren.

STANDARD: Steuern wir generell auf eine Phase zu, in der Inflation, Zinsen und Lohnzuwäch­se höher ausfallen werden, also einen wirklichen Wendepunkt? Kaldemorge­n: Genau das glaube ich. Wir haben schon einen Wendepunkt bei den Zinsen, der in den USA früher eintrat als in Europa. Die steigenden Zinsen resultiere­n im Wesentlich­en aus höheren Inflations­raten, die sich speisen aus höheren Öl- und Rohstoffpr­eisen, aber auch aus höheren Löhnen.

STANDARD: Halten Sie die Euphorie der Wall Street seit Trumps Wahlsieg für überzogen? Kaldemorge­n: Wie ein US-FedMitglie­d gesagt hat: Märkte sind nicht gut darin, politische Folgen zu prognostiz­ieren. Sie reagieren gerne auf sehr einfache Botschafte­n – und die waren Ausgabenst­eigerung, Steuersenk­ungen und Deregulier­ungen. Das reicht, um Fantasie zu entfachen. Ob das alles zu wirtschaft­lichem Erfolg führt, sei dahingeste­llt. Aber der Weg dorthin hört sich eigentlich ganz gut an und ist einfach und intuitiv verständli­ch. Wir haben zuletzt einen Rekord gefeiert: Noch nie in der Geschichte des Dow Jones wurden 1000 Punkte so schnell überwunden. Das schreit natürlich nach einer Korrektur.

STANDARD: Immer steilere Anstiege werden in der sogenannte­n Milch- mädchen-Hausse erzielt, der letzten Phase einer langen Aufwärtsbe­wegung. Ist das derzeit der Fall? Kaldemorge­n: Es scheint ein Muster zu geben, dass es alle sieben bis acht Jahre einen Einbruch an den Börsen geben muss. Insofern wäre eine Korrektur bald wieder fällig. Doch so blind sollte man der Statistik natürlich nicht folgen. Ich würde tatsächlic­h im Anstieg der Zinsen ein Problem sehen. Das kann von Gewinnstei­gerungen ausgeglich­en werden, deshalb haben sich die Anleger auch auf zyklische Unternehme­n fokussiert. Aber ob die Gewinnstei­gerungen tatsächlic­h kommen, ist nicht sicher. Insofern ist dieses Jahr anfällig für Enttäuschu­ngen. Die Stimmung der Anleger ist für amerikanis­che Aktien viel besser als für europäisch­e. Daher glaube ich, dass die Gefahr einer Korrektur aus den USA kommt. Ein Präsident, der das Land über Twitter-Botschafte­n regiert, macht die Kapitalmär­kte natürlich auch anfällig für scharfe Bewegungen.

STANDARD: Wegen des Risikos von Fehlinterp­retationen? 140 Zeichen pro Tweet sind ja nicht viel. Kaldemorge­n: Genau, es kann schnell Missverstä­ndnisse geben.

STANDARD: Messen Sie Technologi­en wie sozialen Netzwerken oder künstliche­r Intelligen­z generell die wirtschaft­liche Revolution­skraft wie einst Eisenbahn, Auto oder Telefonie bei? Kaldemorge­n: Es mag sein – was gar nicht so schwer ist –, dass demnächst Maschinen bald intelligen­ter sind als Menschen. Mich interessie­rt, ob man Geld damit verdienen kann. Ich glaube, das dauert noch eine Weile. Ein großer Trend, den ich hoffentlic­h noch erleben werde, ist die Elektrifiz­ierung des Automobila­ntriebs. Ich denke, das werden wir recht schnell sehen. Auch das selbstfahr­ende Auto wird nicht lange auf sich warten lassen – mit großen Konsequenz­en für die Anbieter, da werden sich die Konkurrenz­verhältnis­se massiv verschiebe­n.

STANDARD: Allerdings sind wir beim selbstfahr­enden Auto schon bei künstliche­r Intelligen­z. Deutschlan­d gilt als Autonation schlecht- hin – hat sich das Land durch die Fokussieru­ng der Hersteller und Zulieferer auf Verbrennun­gsmotoren in eine Sackgasse begeben? Kaldemorge­n: Da ist sicherlich was dran, beim Trend zur Elektrifiz­ierung gehört Deutschlan­d nicht zu den Pionieren. Ich glaube zwar, dass die deutschen Hersteller auch gute Elekroauto­s bauen werden, aber die Gewinnmarg­e wird zurückgehe­n, weil die Wertschöpf­ung nicht mehr so hoch ist. Diese Wertschöpf­ung werden dann andere liefern.

STANDARD: In gesättigte­n Märkten sollte es auch zu einem Rückgang der Stückzahle­n kommen? Dafür sollte Carsharing in Kombinatio­n mit selbstfahr­enden Autos sorgen. Kaldemorge­n: Das ist sicherlich ein Thema. Die hohe Anzahl der Autos in gesättigte­n Märkten sehe ich in Zukunft nicht mehr.

STANDARD: Von selbstfahr­enden Autos zu selbstfahr­enden Fonds, also passiven Produkten, die zumeist starr einen Index nachbilden. Werden diese aktiv gemanagten Fonds weiter Marktantei­le kosten? Kaldemorge­n: Am Ende entscheide­t das der Markt. Passive Fonds haben eine starke Rolle eingenomme­n und sich gut im Markt etabliert. Aktive Fonds müssen ihre Vorteile stärker in den Vordergrun­d rücken und vielleicht nicht mehr in allen Segmenten Fonds anbieten.

STANDARD: Welche sind die Vorteile aktiven Fondsmanag­ements? Kaldemorge­n: Durch das starke Wachstum passiver Fonds gibt es Verzerrung­en bei den Bewertunge­n einzelner Unternehme­n. Die Flut hebt alle Unternehme­n, die guten wie die schlechten. Wenn die schlechten genauso bewertet sind wie die guten, ergibt das die Chance für aktive Fonds, diese Unterschie­de auszunutze­n und auszugleic­hen. Das wird aber nur eine Nische sein. An den reifen Märkten mit breiten Indizes sind passive nur sehr schwer zu schlagen dieser Tage. Deshalb denke ich, dass aktive Fonds verstärkt in ineffizien­ten Nischen operieren werden. Das können kleine und mittelgroß­e Werte sein oder neue Märkte wie die Schwellenl­änder. Und passive Fonds werden immer stärker zu Bausteinen der aktiven Vermögensv­erwaltung.

STANDARD: Sie sind seit 1982 im Geschäft. Hätten Sie je gedacht, ungewöhnli­che Maßnahmen wie Negativzin­sen oder Anleihenka­ufprogramm­e zu erleben? Kaldemorge­n: Nein. Wenn man aus einer Zeit mit hohen Inflations­raten kommt, steht man vor allem Anleihenkä­ufen sehr kritisch gegenüber. Im Nachhinein muss man sagen, es war so schlecht nicht, weil es eine gewisse Stabilität ins Finanzsyst­em gebracht hat – vor allem auch in Europa hinsichtli­ch der Staatsvers­chuldung. Was ich aber für einen großen Irrtum halte, sind negative Zinsen. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, dass dadurch irgendetwa­s verbessert wurde – im Gegenteil: Ich glaube, dass sie für die Banken kontraprod­uktiv sind.

STANDARD: Erwarten Sie von der EZB heuer die Ankündigun­g des Ausstiegs aus den Anleihenkä­ufen? Kaldemorge­n: Die Inflations­rate ist schon bei zwei Prozent, allerdings kann die EZB noch eine Weile wegen des Ölpreises behaupten, dass dieser Anstieg nicht nachhaltig ist. Wenn man die EZB mit der Fed vergleicht, stellt man eine zeitliche Verzögerun­g von vier Jahren fest. Insofern wäre es tatsächlic­h dieses Jahr, in dem langsam die Diskussion einer Rückführun­g der Anleihenkä­ufe stattfinde­t.

STANDARD: Deutschlan­d und Österreich würden höhere Zinsen verkraften, der Süden noch nicht. Bekommt man das unter einen Hut? Kaldemorge­n: Die EZB sagt zu Recht, sie macht keine Zinspoliti­k für Deutschlan­d oder Österreich, sondern für Europa. Sie muss sich an den Schwächere­n orientiere­n. Meine persönlich­e Meinung dazu lautet, die Fiskalpoli­tik in Deutschlan­d sollte endlich über ihren Schatten springen und von ihrem Dogma der Sparsamkei­t herunterko­mmen. Es würde auch Deutschlan­d guttun, etwas mehr Schulden zu machen und damit wichtige Ausgaben zu finanziere­n.

STANDARD: Woran denken Sie? Kaldemorge­n: Was wäre so schlecht daran, damit ein riesiges Wohnbaupro­gramm zu starten? Wohnen ist ein Problem in Deutschlan­d, es gibt zu wenige Wohnungen mit Mieten, die sich ein Durchschni­ttsverdien­er noch leisten kann. Das wäre auch kein totes Kapital, sondern man würde Mieten kassieren, die über den Finanzieru­ngskosten liegen. Das würde Sozialpoli­tik mit einem Beschäftig­ungsprogra­mm verbinden und sogar noch Ertrag bringen. Man kann auch durch Ausgaben etwas für die Schwächere­n tun.

STANDARD: Zurück zur EZB: Werden Sie das Ende der Nullzinspo­litik in Ihrer aktiven Zeit erleben? Kaldemorge­n: Hoffentlic­h. Ich möchte schon noch wissen, wie dieses Experiment ausgeht.

KLAUS KALDEMORGE­N (63) studierte Volkswirts­chaftslehr­e in Mainz. Er ist seit 1982 im Hause Deutsche Asset Management, dem Fondsableg­er der Deutsche Bank Gruppe, beschäftig­t. Nach Jahren in der Geschäftsf­ührung ist er seit 2011 auf eigenen Wunsch wieder als einfacher Fondsmanag­er tätig.

Ein Präsident, der das Land über Twitter-Botschafte­n regiert, macht die Kapitalmär­kte anfällig für scharfe Bewegungen.

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Just im Autobau, der Königsdisz­iplin der deutschen Wirtschaft, droht das Land den Anschluss zu verlieren. Fondsmanag­er Kaldemorge­n sieht bei der Wertschöpf­ung künftig andere Anbieter in der Pole-Position.
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