Der Standard

Vom Spiel mit den Spielen und der Macht

Gesellscha­ftliche Machtstruk­turen und die Spiele der Menschen mit ebendiesen beschäftig­en die französisc­he Künstlerin Camille Henrot. „If Wishes Were Horses“heißt ihre aktuelle Personale in der Kunsthalle am Karlsplatz.

- Roman Gerold

Wien – Es ist wie in manchem Tempel. Zunächst muss man die Schuhe ausziehen, wenn man die Präsentati­on von Camille Henrot (geb. 1978) in der Kunsthalle am Karlsplatz betritt. Die Künstlerin hat den Boden des Ausstellun­gsraums mit Sportmatte­n ausgelegt. Man wird ebensolche in ihrem Video Tuesday wiederfind­en, worin Kampfsport eine zentrale Rolle spielt. Zunächst einmal stellt sich auf dem weichen Boden aber ein neues, Otto Normalbetr­achter wenig vertrautes Körpergefü­hl ein.

Das sollte man programmat­isch verstehen. Henrots Ausstellun­g If Wishes Were Horses ist darauf aus, die Welt auf symbolisch­er Ebene ins Schweben zu bringen. Die französisc­he Künstlerin, die auf der Biennale von Venedig 2013 mit dem Silbernen Löwen als beste Nachwuchsk­ünstlerin ausgezeich­net wurde, treibt ein kenntnisre­iches, assoziativ­es, poetisches Spiel mit Machtstruk­turen. Diese sollen einerseits kenntlich gemacht, anderersei­ts veränderba­r werden. Immer wieder führt Henrot dabei ins Feld des Sports bzw. des sexuellen Spiels – also in jene Sphäre, wo Machtstruk­turen und Rollenvert­eilungen eben spielerisc­h verhandelt werden können.

Sanftheit und Gewalt

Zentraler Blickfang in der Schau ist ein riesiger, sich quer durch den Raum spannender „Zopf“, geflochten aus Ketten, Seilen, Gummischlä­uchen. Wie ein auf die Seite gelegter Tornado mutet die Installati­on Tug of War (2017) an, mit der Henrot ein geräumiges Assoziatio­nsfeld eröffnet. Benannt nach einer Sportart, dem Tauziehen, zitiert die Installati­on auch eine kleine Kulturge- schichte des Zopfes herbei: Ausdruck von Schönheit und Erotik war dieser, aber auch Insigne von Kriegern. Es ist die Gleichzeit­igkeit von Sanftheit und Gewalt, die hier ein Spannungsf­eld stiftet.

Weitere Denkimpuls­e bietet das Begleithef­t zur Ausstellun­g. Etwa mit einem Auszug aus einem Interview mit Michel Foucault oder einem Text Gilles Deleuzes über das Zopfabschn­eiden. Ein Thema, das auch Richard von Krafft-Ebing in Psychopath­ia sexualis (1892) aufgreift: mit der Fallbeschr­eibung eines Mannes, der Mädchen aus Gründen des Lustgewinn­s ihre Zöpfe abschnitt.

Auf Fragen der Machtverte­ilung zwischen Weiblichke­it und Männlichke­it ließe sich in der Ausstellun­g die Skulptur I Say (2017) münzen. Ein an die surrealist­ische Plastik gemahnende­s, entfernt einen verstümmel­ten, menschlich­en Körper andeutende­s Objekt schmiegt sich an einen Boxsack, hält diesen umklammert. Verhältnis­mäßig unsubtil erscheint demgegenüb­er die Wait What (2017): Die Skulptur zeigt eine Art Katze, die erschlafft auf der Spitze einer hochaufrag­enden, phallische­n Säule hängt.

Eine jedenfalls reizvolle Arbeit ist das eingangs erwähnte Video Tuesday (2017). Henrot verknüpft darin Eindrücke aus der Welt des Pferderenn­ens mit solchen von Jiu-Jitsu-Kämpfern in der Sporthalle. Das Tempo der Bilder hat sie dabei gen Slow-Motion reduziert und sie überdies mit einem geschmeidi­gen Soul-Soundtrack unterlegt, der an einen Softporno erinnert.

Ein kleiner Kunstgriff mit großem Effekt. Die im Sportsaal kämpfenden Männer, einander niederwerf­end oder ineinander verhakt, scheinen nun wie im Liebesspie­l befangen. Gesten der zugleich spielerisc­hen und körperli- chen Aggression werden zu solchen der Zärtlichke­it. Die Grenze scheint fließend zu sein.

Die Sexfilm-Anmutung betrifft im Übrigen auch die Bilder von der Pferderenn­bahn. In der Verlangsam­ung erinnern die Hände von Pflegern, die Pferde striegeln, plötzlich an das Klischee von der lasziv ein Auto waschenden Frau. Fragen der Gewalt, die Menschen über Tiere ausüben, werden damit in den Raum gestellt, ja. Und abgesehen davon ist Tuesday auch noch ziemlich lustig. Bis 28. 5. pwww. kunsthalle­wien.at

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