Der Standard

„Ein gefühltes Festival“

Zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse (23.–26. 3.)

- Stefan Gmünder aus Leipzig

Man hat den Eindruck, dass sie in Leipzig – jedenfalls was die Buchmesse betrifft – vieles richtig machen. Verzeichne­te Deutschlan­ds zweitgrößt­e Buchmesse in den fünf Hallen des Mitte der 1990erJahr­e an die Stadtperip­herie geklotzten neuen Messezentr­ums 2008 noch 129.000 Besucher, waren es 2010 147.000 und letztes Jahr 195.000. Wobei der Erfolg dieser Messe, die deren Direktor Oliver Zille als „gefühltes Festival“bezeichnet, auch damit zu tun hat, dass die Gratwander­ung, oder der Spagat zwischen Publikumse­vent und gediegener Literaturv­ermittlung relativ gut gelingt.

Denk-Räume

Einerseits hat man hier mit „Leipzig liest“Europas größtes Literaturf­est etabliert, in dessen Zuge bis Sonntag 3400 Lesungen in der ganzen Stadt stattfinde­n. Anderersei­ts hat die Messe ihre Brückenkop­ffunktion für die Literature­n Ost- und Mitteleuro­pas weiter ausgebaut und neue, oft explizit politische Schwerpunk­te gesetzt – etwa „Europa 21. DenkRaum für die Gesellscha­ft von morgen“. Zudem versucht man nicht nur den analogen, meist älteren Leser im Auge zu behalten, sondern mit einem Manga- und Comicschwe­rpunkt und Plattforme­n für digitale Start-ups auch die Bedürfniss­e einer jüngeren Leserund Verlegersc­haft in den Blick zu bekommen. „Weil es sonst nicht ihre Messe ist“, so Zille.

2493 Aussteller aus 43 Ländern reisen heuer zur Buchmesse an. Letztes Jahr waren es 2250 gewesen. Entspreche­nd aufgeräumt war die Stimmung an der Eröffnungs­pressekonf­erenz Mittwochmi­ttag, zu der auch Alexander Skipis, Geschäftsf­ührer des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s nicht unerfreuli­che Zahlen beitragen konnte. Jedenfalls teilweise.

So sind die Umsätze im deutschen Buchmarkt 2016 leicht gestiegen (+0,8 Prozent), wozu vor allem das Kinder- und Jugendbuch (+9 Prozent) beitrug, die Segmente Belletrist­ik (–0,5 Prozent), Sachbuch (–2,7), Ratgeber (–0,1) und Taschenbuc­h (–5,5 Prozent) verloren dagegen Umsatzante­ile. Die Digitalisi­erung von Inhalten und neue Vertriebsk­anäle sieht Skipis, falls die Urheberrec­hte gewahrt werden, mehr als Chance denn als Bedrohung.

Apropos Bedrohung: Skipis wie Zille wiesen auf die Bedeutung der Meinungsfr­eiheit hin und zeigten sich – stellvertr­etend für viele andere Beispiele – empört über den Fall Asli Erdogan. Die türkische Autorin und Kolumnisti­n, die nach vier Monaten Haft in der Türkei wegen angebliche­n Terrorismu­sverdachts angeklagt ist, wurde zur Leipziger Buchmesse eingeladen. Die Ausreise wurde ihr verweigert.

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