Hunnen brachten einen neuen Lebensstil
Der Einfall der Hunnen in der Spätantike ließ das Römische Reich erzittern. Ihre Begegnung mit der Bevölkerung an der Peripherie des Imperiums war aber nicht nur von Gewalt geprägt, wie nun Ausgrabungen zeigen.
Cambridge/Wien – Die Hunnen genießen in der Geschichtsschreibung nicht unbedingt den besten Ruf – vermutlich auch nicht ganz zu Unrecht. Die hunnischen Reiterscharen aus Zentralasien, eine uneinheitliche Mischung nomadischer und halbnomadischer Stämme, drangen im vierten und fünften Jahrhundert plündernd und brandschatzend in das spätrömische Reich ein.
Der Völkersturm löste in Europa nicht nur eine Kettenreaktion an Wanderbewegungen aus, sondern erschütterte letztlich auch die Grundfesten des Weströmischen Imperiums. Will man römischen Chronisten Glauben schenken, dann trugen die Hunnen ausschließlich Schrecken und Gewalt in die eroberten Gebiete.
Aktuelle britische Ausgrabungen zeichnen dagegen ein etwas differenzierteres Bild vom Einfluss dieser Völker aus dem Osten: Gebeine aus Gräbern in Ungarn, der damaligen Grenzprovinz Pannonien, vermitteln erstmals einen detaillierten Eindruck davon, wie die Begegnung zwischen der Bevölkerung der römischen Peripherie und den Hunnen im fünften Jahrhundert ausgesehen haben könnte. Das Aufeinandertreffen war demnach offenbar nicht unbedingt ausschließlich gewalttätiger Natur – im Gegenteil. Ein Archäologenteam um Susanne Hakenbeck von der University of Cambridge konnte auf Basis biochemischer Analysen von Zähnen und Knochen nachweisen, dass zumindest einige Bauern aus den Grenzregionen ihre Farmen verließen, um sich den Hunnen anzuschließen. Im Gegenzug gaben viele Hunnen ihr Nomadenleben auf, siedelten sich an und erfreuten sich an den kulinarischen Segnungen der Landwirtschaft.
„Die Hunnen dürften einen Lebensstil mitgebracht haben, der so manchem Bauern aus Gegenden am Rande des Reiches zusagte. Gleichzeitig fanden sie selbst Gefallen an der Sesshaftigkeit“, meint Hakenbeck. „Es war eine turbulente Epoche, in der Abkommen zwischen den Römern und verschiedenen Stämmen geschlossen und wieder gebrochen wurden. Diese fortdauernde Unsicherheit könnte sich im Lebensstilwechsel widerspiegeln.“
Wahlfreiheit als Chance
Dies ging sogar so weit, dass Angehörige der lokalen Bevölkerung hunnische Bräuche aufgriffen. Wie die Forscher im Fachjournal Plos One berichten, besaßen einige pannonische Bauern einen künstlich verlängerten Schädelknochen, eine Praxis, die unter zentralasiatischen Reiterstämmen weit verbreitet war.
„Während römische Schriften fast ausschließlich Konfrontationen mit den Hunnen schildern, zeigen unsere Funde, dass es in Grenzgebieten offenbar bis zu einem gewissen Grad auch zur Koexistenz und Kooperation gekommen sein muss“, so Hakenbeck. In den dunklen Zeiten am Rande des Untergangs dürften viele Menschen die plötzliche Wahlfreiheit zwischen zwei Lebensstilen als neue Chance angesehen haben.