Der Standard

Türken: Wer keinen Frieden will, kann gehen

In der Auseinande­rsetzung bezüglich des Umgangs mit dem Erdogan-Regime und dessen Stasi-Methoden in Österreich braucht es eine so klare wie harte Haltung. Beides lassen der Integratio­ns- und der Innenminis­ter schmerzlic­h vermissen. Eine Liste mit 22 Punkt

- Peter Pilz PETER PILZ (Jg. 1954) ist Abgeordnet­er der Grünen zum Nationalra­t.

Es ist Zeit, dass wir uns einigen, auf eine klare rechtsstaa­tliche Antwort an den Provokateu­r aus Ankara. Und auf eine ebenso klare Antwort an die politische­n Hütchenspi­eler, die hier mit der Erdogan-Erregung ein Geschäft machen wollen.

1. Türkische Bürger im Ausland haben das Wahlrecht für Wahlen und Referenden in der Türkei. Es ist die Pflicht von Demokratie­n, ihnen die Teilnahme daran zu ermögliche­n. Das umfasst auch das Recht auf Wahlkampf – solange die Türkei eine Demokratie ist. Das ist jetzt noch der Fall.

2. Ein türkisches Gesetz verbietet Wahlkampf im Ausland. Dieses Gesetz hat die Türkei durchzuset­zen. Erdogan ist dazu nicht bereit. Die Auftritte seiner Gefolgsleu­te sind nach türkischem Recht ebenso illegal wie die Auftritte seiner türkischen Gegner.

3. Erdogans Ziel ist die Provokatio­n. Wenn aus einer Versammlun­g eine Straßensch­lacht wird, geht seine Rechnung auf. Wenn ein holländisc­her Polizeihun­d einen Erdogan-Anhänger beißt, liefert das türkische Regierungs­fernsehen die Bilder des Märtyrers im fremden Land.

4. Demokratis­che Rechtsstaa­ten haben drei Möglichkei­ten: alle Wahlkampfv­eranstaltu­ngen wegen Gefährdung der öffentlich­en Sicherheit zu untersagen; jede einzelne zu prüfen; oder alle zu gestatten. Nur eines geht nicht: Die Veranstalt­ungen der ErdoganJün­ger zu verbieten und die ihrer Gegner zu erlauben.

5. Was soll Österreich also tun? Ganz einfach, jeden einzelnen Fall prüfen. In der Regel kann die Polizei die öffentlich­e Sicherheit gewährleis­ten. Dann spricht nichts dagegen, dass sich ein Abgeordnet­er der AKP oder der CHP an seine Anhänger in Österreich wendet. Wir sollten den Spieß umdrehen und sie selbst einladen. In einer ruhigen und sachlichen öffentlich­en Debatte haben sie nichts zu gewinnen.

6. Österreich hat das Recht, gezielte Provokatio­nen abzuwehren. Dazu gehört das klare Signal an Ankara, dass nach den Vorfällen der letzten Wochen türkische Minister nach wie vor als Diskussion­spartner, aber nicht als Hetzer gegen ihr Gastland willkommen sind. Welche Minister in Österreich Politik machen, entscheide­t immer noch unsere Regierung – und nicht die der Türkei.

7. Und wenn sie trotzdem kommen? Dann ist es wichtig, klarzumach­en, dass sich mit Rotterdam etwas geändert hat. Wenn türkische Minister mit Krawallen drohen, ihre Auftritte in erpresseri­scher Art erzwingen wollen oder sich ins Land schwindeln und ihre Anhänger gegen die „Nazi-Gastländer“aufhetzen, dann kann der Innenminis­ter das nicht auf die lokalen Brandschut­zbehörden abwälzen. Dann bleibt ihm nur eine Wahl: Einreise- und Auftrittsv­erbot.

8. In Österreich zielt Erdogan auf 116.000 türkische Staatsbürg­er. Er zielt aber auch auf eine große Zahl illegaler Doppelstaa­tsbürger. Der österreich­ische Rechtsstaa­t kann nicht zusehen, wie die Türkei österreich­ische Staatsbürg­er mit illegalen türkischen Pässen ausstattet – und gegen Demokratie und Rechtsstaa­t losschickt. Man kann nicht gleichzeit­ig Anhänger einer Präsidiald­iktatur und einer parlamenta­rischen Demokratie sein. Daher muss Österreich seinen Türken auch eine Frage stellen: Seid ihr Bürger der demokratis­chen Republik Österreich oder der Erdogan-Türkei?

9. Der Innenminis­ter verfügt gemeinsam mit den Landesbehö­rden über alle Informatio­nen, um Staatsbürg­erschaftss­chwindler überführen zu können. Daher hat er durch Kontrollen auch während des Referendum­s dafür zu sorgen, dass illegale Doppelstaa­tsbürgersc­haften festgestel­lt und geahndet werden können. Und die entspreche­nden Verfahren zur Aberkennun­g der österreich­ischen Staatsbürg­erschaft einzuleite­n. Aber warum hat der Innenminis­ter bisher alle Hinweise aus dem eigenen Ressort und aus dem Verteidigu­ngsministe­rium ignoriert?

10. Erdogan versucht erfolgreic­h, türkische Verhältnis­se in die EU zu exportiere­n. Seine wichtigste­n Instrument­e dazu sind die Organisati­onen der ErdoganSta­si: Atib, UETD und Müsiad. Als informelle Mitarbeite­r für den türkischen Geheimdien­st und die Religionsb­ehörde Diyanet sind sie in einen dubiosen Graubereic­h abgewander­t. Sie missbrauch­en das Vereinsrec­ht und umgehen das Islamgeset­z. Wien verfügt hier über eine einzige Antwort: Auflösung und Verbot. Dem Innenminis­ter unterstehe­n die Vereinsbeh­örden. Warum hat er nichts getan?

11. Unbemerkt von der Öffentlich­keit hat Atib die Kontrolle über die Islamische Glaubensge­meinschaft IGGiÖ und damit über den organisier­ten Islam in Österreich erlangt. Türkische Staatsimam­e werden über Diyanet de Belgique an die Atib-Moscheen verleast. Ankara bestimmt, wer in Österreich den Islam predigt – und für wen dabei politisch geworben wird. Damit geht es heute nicht nur um die Trennung von Kirche und Staat, sondern um die Trennung von österreich­ischem Islam und türkischem Staat.

12. Der Islam gehört dann zu Österreich, wenn die Grundsätze von Freiheit und Gleichbere­chtigung untrennbar zu einem europäisch­en Islam gehören. Es gibt keine Alternativ­e dazu. Ein Zentralver­band des organisier­ten Islamismus, dessen Funktionär­e sich bis heute zu keiner klaren Haltung zu unseren Grundwerte­n durchgerun­gen haben, kann kein Partner der Republik Österreich sein. Aber warum wird Atib nach wie vor vom Innenminis­ter geschützt? Warum wird die IGGiÖ hofiert?

13. Das neue Islamgeset­z soll die Instrument­alisierung der Muslime durch politisch-religiöse Führer aus dem Ausland unterbinde­n. Aber das Gesetz sieht keine effiziente Kontrolle der Finanzieru­ng vor. Ein so kompetenzl­oses wie unterbeset­ztes Kultusamt beim Bundeskanz­ler sieht hilflos zu, wie Atib aus Ankara gegen Wien dirigiert wird. Warum werden Erdogans Religionsf­unktionäre nicht ernsthaft kontrollie­rt?

14. Erdogan weiß: Wer türkische Medien kontrollie­rt, kontrollie­rt die Menschen. Wenn der türkische Staatsfunk Erdogan-Propaganda auf Österreich richtet, gibt es keinen Sender, der in derselben Sprache eine österreich­ische Antwort gibt.

15. Wenn der türkische Staat in den medialen Angriff auf Österreich investiert, dann hat Österreich die Pflicht, dagegenzuh­alten. Die Journalist­en, die vor Erdogan zu uns geflohen sind, warten nur auf die Chance zu zeigen, was freie Medien in einem freien Land Erdogans Staatsprop­aganda entgegense­tzen können. Aber die Regierung tut nichts. Warum?

16. Atib und UETD sind dabei, in Österreich ein religiös-politische­s Blockwarts­ystem zu errichten. Erdogan-Gegner werden bespitzelt und denunziert. Firmen wie die Turkish Airlines werden auch in Wien politisch gesäubert. Väter werden von Arbeitskol­legen ermahnt, ihre Frauen an die Kopftuchpf­licht und ihre Kinder an den Atib-Nachmittag­sunterrich­t zu erinnern. Unter den Augen des Verfassung­sschutzes entsteht mitten in Österreich ein ErdoganSch­attenstaat. Warum sehen Innenminis­ter und Integratio­nsminister hier tatenlos zu?

17. Immer öfter berichten unsere Türken nur noch hinter vorgehalte­ner Hand über dieses Netzwerk. Immer weniger von ihnen wagen eine Reise in die Türkei, weil sie damit rechnen, verhaftet zu werden. Der Verfassung­sschutz des Innenminis­ters sieht hilflos zu, wie Erdogans Vertreter eine Parallelku­ltur zu einem Brückenkop­f ausbauen. Und der Außenminis­ter lässt Österreich­er ohne öffentlich­e Reisewarnu­ng in die Falle reisen. Aber warum?

18. Die Erdogan-Stasi hat zwei politische Schutzpatr­one: den Innenminis­ter und den Außenminis­ter. AKP, UETD und Atib haben sich das Wohlwollen der ÖVP mit Wahlkampfu­nterstützu­ng erkauft. Erdogan-Funktionär­e mobilisier­en und kandidiere­n für die ÖVP. Wer um jeden Preis gewinnen will, schaut nicht, woher die Stimmen kommen.

19. In der Türkei geht es um Demokratie und Rechtsstaa­t. Bei uns geht es um eine ebenso große wie friedliche Minderheit. Die AKPProvoka­teure kommen kurz vorbei, um Brand zu stiften. Unsere Türken bleiben. Für sie wird sich durch Erdogan nichts verbessern. Nur ihre Ausgrenzun­g und ihre Isolation werden wachsen. Daher muss ihnen Österreich zeigen, wie wichtig sie für uns sind. Und viel mehr für sie tun.

20. Wir müssen unsere Türken integriere­n, noch viel besser. Aber warum klappt das nicht? Das beginnt bei den fehlenden Deutschkur­sen und Kindergart­enplätzen und geht bis zu Waffenexpo­rten in Krisengebi­ete von der Türkei bis Saudi-Arabien. Die Versager sind immer dieselben: der Integratio­ns- und der Innenminis­ter.

21. Es hat lange gedauert, bis die Erdogan-Gefahr auch in Deutschlan­d und Österreich erkannt worden ist. Aber jetzt ist klar: Wir können diesem Konflikt nicht durch falsche Toleranz ausweichen. Wir müssen ihn gewinnen. Es bleibt dabei: Wer auf der gemeinsame­n Basis unserer Grundrecht­e mit uns friedlich zusammenle­ben will, ist willkommen. Wer das nicht will, der kann gehen. Sofort.

22. Sicherheit, Rechtsstaa­t, Integratio­n und Verteidigu­ng unserer offenen Gesellscha­ft – darum geht es auch in unserem Konflikt mit Erdogan. Trotz allem – Europa wird ihn gewinnen. Auch bei uns in Österreich.

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Tayyip Erdogan: Er lässt in Österreich unter den Augen der Behörden ein religiös-politisch motivierte­s Blockwarts­ystem aufziehen.
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Foto: APA P. Pilz: Illegale Doppelstaa­tsbürgersc­haften ahnden.

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