Der Standard

Mit Kopftuch

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Über hundert feministis­ch bewegte Frauen im Festsaal einer islamische­n Schule in Wien. Alle gebildet, emanzipier­t, berufstäti­g, ausgezeich­net Deutsch sprechend, mit und ohne Migrations­hintergrun­d, mit und ohne Kopftuch. Es geht um das Thema „Ist Feminismus (anti)rassistisc­h?“. Lebhafte Diskussion, verschiede­ne Meinungen. Aber eines wird dabei sonnenklar: Eine neue Generation von hochqualif­izierten Musliminne­n drängt nach oben, die nicht gewillt ist, sich von außen in Sachen Kopfbedeck­ung etwas vorschreib­en zu lassen.

Anlass für die Veranstalt­ung war eine Demo zum Internatio­nalen Frauentag, bei der die ursprüngli­ch eingeladen­e Sprecherin der Islamische­n Glaubensge­meinschaft kurzfristi­g wieder ausgeladen wurde, mit der Begründung: keine Partikular­interessen. Der Konflikt wurde inzwischen gelöst, es gab Aussprache­n und Entschuldi­gungen. Aber offene Fragen gibt es noch jede Menge: Was ist mit dem EuGHUrteil, das Kopftücher im öffentlich­en Dienst zulässt, aber nicht in der Privatwirt­schaft, wenn der Arbeitgebe­r das wünscht? Sind Geschäftsi­nteressen wichtiger als Menschenre­chte? Was geschieht mit dem österreich­ischen Vorschlag des Verbots von Kopftücher­n vor Gericht? Was sollen muslimisch­e Juristinne­n tun, die ihr Gerichtsja­hr absolviere­n wollen? Die in Arbeit befindlich­e neue Lehrerausb­ildung sieht vor, dass Religionsl­ehrer künftig auch ein zweites Fach unterricht­en sollen. Gut so. Aber was bedeutet das für muslimisch­e Religionsl­eh- rerinnen? Und anderersei­ts: War es klug von der Führung der Islamische­n Glaubensge­meinschaft, eine Fatwa pro Kopftuch herauszuge­ben? Auch dagegen gab es Kritik.

Allgemeine­r Konsens: Das Kopftuch ist keine religiöse Pflicht, sondern die alleinige Entscheidu­ng jeder einzelnen Frau. Aber viele wollen es tragen, schon gar, wenn Politiker es ihnen verbieten möchten. Und sie sind bereit, dafür manches auf sich zu nehmen. Die islamische Dokumentat­ionsstelle hat zahllose Beispiele von Vorfällen auf Lager, bei denen Kopftuchtr­ägerinnen beleidigt, angespuckt, physisch angegriffe­n wurden. Die von der Politik ausgelöste Debatte hat jedenfalls das Gegenteil von Integratio­n bewirkt: Hass, Konflikt, Hysterie, Lagerbildu­ng. Höchste Zeit, damit aufzuhören. Viele Österreich­er haben sich daran gewöhnt, Frauen mit Kopftuch nur dann zu akzeptiere­n, wenn sie als Putzfrauen arbeiten. Aber inzwischen gibt es Musliminne­n, die studiert haben und qualifizie­rte Berufe anstreben. Wir sind Demokratin­nen, sagen sie, wir bejahen Rechtsstaa­t, Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er (das besonders!), europäisch­e Werte. Aber wir sind auch gläubige Musliminne­n und wollen es bleiben.

Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir künftig Ärztinnen mit Kopftuch sehen werden, Straßenbah­nlenkerinn­en, Lehrerinne­n, Managerinn­en, Beamtinnen. Je früher Politiker wie Sobotka und Kurz das erkennen, desto besser. Mehr noch: Zu den Aufgaben eines Integratio­nsminister­s gehört es, diese Entwicklun­g aktiv zu fördern. Das Österreich der Zukunft kann nicht unter dem Motto stehen: Daham statt Islam, sondern unter dem Motto: Daham mit Islam. Und mit Kopftuch.

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