Der Standard

Autoritäre­r Zugang

Die heikle Änderung des Versammlun­gsrechts soll ohne Begutachtu­ng erfolgen

- Michael Völker

Es ist eine Anlassgese­tzgebung, der der Anlass abhandenge­kommen ist: Auftritte von türkischen Politikern, die für das umstritten­e Verfassung­sreferendu­m von Präsident Recep Tayyip Erdogan am 16. April Werbung machen wollten, sind nicht mehr zu erwarten. Abgesehen davon käme das Gesetz ohnedies zu spät – es würde nach Ablauf der Fristen erst nach dem türkischen Referendum in Kraft treten.

Einen Grund zur Eile gibt es also nicht. Umso verwunderl­icher ist es, dass die Koalition nach wochenlang­en Streiterei­en ihren hastig gefundenen Kompromiss für eine Reform des Versammlun­gsrechts jetzt per Initiativa­ntrag im Eiltempo durch das Parlament peitschen will. Die Regierung verzichtet dabei bewusst auf das sonst bei Gesetzesvo­rhaben übliche Begutachtu­ngsverfahr­en, im Zuge dessen Experten, Parteien, Universitä­ten, Bundesländ­er oder NGOs ihre Kommentare abgeben können.

Offenbar fürchtet die Regierung die Kritik und will sie gar nicht erst hören. Das ist bei einer derart sensiblen Materie wie dem Demonstrat­ionsrecht umso problemati­scher. Und Kritik gibt es im Vorfeld von vielen Seiten schon genug. Denn das neue Versammlun­gsrecht beinhaltet durchaus schwerwieg­ende Eingriffe, die das Recht auf die freie Meinungsäu­ßerung auf der Straße beeinträch­tigen können. ie Regierung argumentie­rt ihre Eile damit, dass endlich gehandelt werden müsse und dass auch die Bevölkerun­g das erwarte. Wenn es denn so wäre, dann hätte die Regierung auch die Meinungen von Fachleuten nicht zu fürchten. Offenbar ist dem aber nicht so.

Hier kommt es zu einem bedenklich­en Demokratie­abbau. Durch die Verlängeru­ng der Anmeldefri­st für Demonstrat­ionen auf 48 Stunden werden alle halbwegs spontanen Protestkun­dgebungen auf der Straße unterbunde­n. Auch die Ausweitung der Schutzzone­n bei Versammlun­gen stellt einen Eingriff in das Demonstrat­ionsrecht dar. Schutzzone­n mögen in vielen Fällen sinnvoll sein, können aber auch dazu missbrauch­t werden, Gegendemon­strationen abzuwürgen.

Der heikelste Punkt ist aber die „Lex Erdogan“. Der Regierung wird es damit künftig möglich sein, Auftritte ausländisc­her Politiker und Demonstrat­ionen unter bestimmten Bedingunge­n abzu-

Dsagen. Jetzt sind sich zwar so gut wie alle darüber einig, dass Österreich keine Propaganda­auftritte türkischer Politiker dulden kann, aber das Gesetz kann sich durchaus auch gegen andere richten: Dürfen kurdische Politiker und Opposition­elle aus anderen Staaten dann noch für ihre Rechte demonstrie­ren? Es ist nicht klar, wen dieses Gesetz sonst noch betreffen könnte.

Die Materie ist also durchaus sensibel. Deshalb ist es gänzlich unverständ­lich, dass auch die Sozialdemo­kraten, die bis vor wenigen Tagen noch darauf verwiesen haben, das Demonstrat­ionsrecht mit dem Blut ihrer Vorfahren erkämpft zu haben, plötzlich ganz auf der Linie von Innenminis­ter Wolfgang Sobotka (ÖVP) sind und es nicht eilig genug haben können, das Gesetz ohne Begutachtu­ng durchzubri­ngen.

Die SPÖ scheint darauf zu vergessen, was andere Regierunge­n nach ihr, die einen prinzipiel­l restriktiv­eren Zugang zum Demonstrat­ionsrecht haben könnten, mit diesem Gesetz anstellen können. Es ist schlicht ein undemokrat­ischer, nahezu autoritäre­r Zugang, diese Gesetzesma­terie ohne Anhörung von Experten und Opposition durchbring­en zu wollen.

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