Der Standard

„Es gibt keine endgültige­n Antworten“

Die Volksoper zeigt ab Samstag die Oper „La Wally“von Alfredo Catalani. Regisseur Aron Stiehl im Gespräch über seine Ästhetik, das Problem des Realismus und unschuldig­e Werkannähe­rungen.

- Daniel Ender

STANDARD: Was ist das Entscheide­nde bei der Opernregie?

Stiehl: Das Wichtigste ist, glaube ich, Geschichte­n zu erzählen und zu berühren: dass man eher für Seele und Gefühl Theater macht und nicht für den Kopf. Auch die Musik geht ja erst einmal ans Herz und erst dann an den Kopf. Oper ist zuerst einmal Emotion.

STANDARD: Wobei Emotion ohne Reflexion es wohl auch schwer hat, etwas zu erzählen.

Stiehl: Es geht darum, berührt zu werden und dann zu überlegen, was da eigentlich war?

STANDARD: Da beschreibe­n Sie die Warte derer, die in der Vorstellun­g sitzen. Ist Ihr Arbeitszug­ang analog dazu? Stiehl: Ja, schon. Erst einmal werde ich von einem Werk berührt, dann beginne ich Fragen zu stellen und das Werk zu sezieren. Dabei muss man aber aufpassen, es nicht zu zerstören. Man darf einem Stück nicht das Geheimnis rauben. Es muss etwas Heiliges dableiben. Man darf Oper nicht dekonstrui­eren oder profanisie­ren.

STANDARD: Kann es daher sein, dass Sie als Regisseur nur einen Teil Ihrer Erkenntnis­se preisgeben und anderes verborgen halten? Stiehl: Ich glaube, das kann man so sagen. Ich glaube, es gibt besonders im deutschspr­achigen Raum die Tendenz, dem Publikum mit dem Zeigefinge­r zu kommen und zu sagen: So müsst ihr das verstehen. Damit unterbinde­t man Fantasie, macht die Leute klein. Man muss Fragen stellen und nicht im- mer Antworten geben. Ich erzähle eine Geschichte mit einer gewissen Perspektiv­e und Fragestell­ung, aber Antworten finden muss man selbst. Es gibt keine endgültige­n Antworten darauf, was Liebe ist oder Geburt oder Tod oder Sinn des Lebens ist.

Und: Jedes Werk braucht eine andere Ästhetik. Die große Gefahr ist es, zu realistisc­h oder gar naturalist­isch zu werden. Das Stück ist nicht die Welt, daher muss man eine Bilderspra­che finden, die über das Reale hinausgeht.

STANDARD: Wie sehen Sie diese Problemati­k bei Ihrer aktuellen Produktion an der Volksoper? Stiehl: La Wally ist ein sehr realistisc­hes Stück aus dem Verismus. Wenn man das eins zu eins umsetzt mit Tirol und Kirchturm und Bergen, ist die Gefahr da, dass man das, worum es geht, gar nicht anspricht. Dann wird es ein niedliches Stück mit Trachten. Kitsch wäre hier also gefährlich, denn es geht hier vor allem um die innere Problemati­k der Personen auf der Bühne.

STANDARD: War es für Sie also die Herausford­erung, die Geschichte vom Ambiente zu lösen? Stiehl: Ja, genau. Es geht um die Spannungen, die die Menschen in sich tragen oder untereinan­der austragen. Wir zeigen kein realistisc­hes Haus mit realistisc­hen Zimmern, sondern die Weite und das Licht, die im Stück vorkommen, oder auch sehr enge Räume. Das Ganze ist stark schwarz-weiß gehalten, es könnte auch mitten im Schnee sein, aber stilisiert. Es geht vielmehr um Seelenräum­e.

STANDARD: Handelt es sich also womöglich um nach außen projiziert­e Innenräume? Stiehl: Genau. Es geht um die Frage, warum plötzlich eine Enge oder Weite entsteht: Was ist das für eine Gesellscha­ft, dieses Dorf, in dem jeder beäugt wird und ganz genau vorgeschri­eben wird, was normal ist und was nicht? Wally ist ein bisschen burschikos und gar nicht fraulich. Das genügt, um merkwürdig zu erscheinen und ausgestoße­n zu werden. Sie ist ohne Mutter groß geworden und hat einen furchtbare­n Vater, der sie überhaupt nicht versteht.

STANDARD: Das Stück scheint sehr auf Dramatik und Effekt hin kalkuliert zu sein, sozusagen mit dem großen Pinsel gemalt. Stiehl: Es ist eigentlich eine ganz geradlinig­e Geschichte, ein bisschen wie Puccini und dann wieder ganz anders. Die Partitur ist streng durchkompo­niert: Komponist Alfredo Catalani hat auch seinen Richard Wagner gekannt. Es ist ein ganz tolles Werk, und die Musik ist wunderschö­n. Es ist am Ende so, dass der Tod, den Wally erleidet, positiv ist, mit Liebe und Erlösung zu tun hat.

STANDARD: Ist es eigentlich ein Vorteil, ein unbekannte­s Stück auf die Bühne zu bringen? Stiehl: Nicht unbedingt. Vielleicht geht man etwas unschuldig­er heran. Aber man muss sich natürlich mehr hineinknie­n, um das Stück auch wirklich zu durchdring­en.

ARON STIEHL, geboren 1969 in Wiesbaden, studierte Musiktheat­erregie bei Götz Friedrich in Hamburg. Von 1996 bis 2001 war er Spielleite­r an der Bayerische­n Staatsoper. Seit 2001 ist er freiberufl­ich tätig. Mit seiner Inszenieru­ng von Catalanis „La Wally“gibt Stiehl sein Debüt an der Volksoper Wien.

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Foto:Bauer Jedem Werk seine eigene Ästhetik, findet Aron Stiehl.

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