Vernunft auf Sendung
ATV-Verkauf: Kein Todesstoß für die Medienvielfalt, sondern ein Schritt in Richtung Normalisierung
Die Geschichte des Privatfernsehens in Österreich ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Wer seine Entwicklung in den vergangenen 20 Jahren beobachten durfte, wird sich noch lebhaft an die Diskussionen in den Neunzigerjahren erinnern, als Medienkapazunder darüber räsonierten, ob und in welcher Form privates Fernsehen jemals in Österreich erfolgreich zu betreiben sein würde. Die Skeptiker dominierten diesen Diskurs. Und ihre Argumentationslinie war stringent: ein kleiner Werbemarkt, sprachlich an die kompetitivste Medienszene Europas, jene in Deutschland, gekoppelt und das letzte TV-Monopol weit und breit – insgesamt ein denkbar ungeeigneter Ort für die enormen Investitionen, die Fernsehen nun einmal bedingt. Und überhaupt: Privatfernsehen war von den treibenden Kräften der Medienpolitik der 1990er nicht erwünscht. Politik (vor allem die SPÖ), Verleger und ORF bildeten eine unheilige Allianz der Medienverhinderer.
Dass sich aus diesem feindseligen Umfeld dennoch eine PrivatTV-Szene entwickelt hat, die mittlerweile ganz wesentliche Beiträge zur medialen Öffentlichkeit leis- tet, könnte man bei oberflächlicher Betrachtung als ein Wunder bezeichnen. Und tatsächlich haben ATV, Puls 4 und Servus TV ihre Existenz jeweils sehr ungewöhnlichen Konstellationen zu verdanken, die mit einer typischen Marktentwicklung wenig zu tun haben. Um es kurz zu machen: ATV wäre längst nicht mehr am Markt, hätte der Sender nicht mit dem in München lebenden, aber aus Österreich stammenden Filmhändler Herbert Kloiber einen Eigentümer, dem der stets defizitäre Sender ATV wenigstens Umsätze als Abnehmer von Filmen und Serien sicherte. Zudem war Kloiber bei seinem ATV-Engagement eine gewisse Heimatverbundenheit nicht abzusprechen.
Bei Servus TV ist die Situation noch spezifischer. Hier leistet sich Red Bull einen Sender, den es in dieser Ausprägung ja eigentlich gar nicht geben dürfte. Ein werbefinanzierter Sender mit einem über weite Strecken öffentlichrechtlichen Programmanspruch – so etwas entspringt keinem natürlichen Markt. Und auch bei Puls 4 haben wir es mit einer Sondersituation zu tun: Ohne die Einbettung in die Österreich-Versionen deutscher TV-Sender – was Programmeinkauf und -bewerbung sowie Werbevermarktung betrifft – könnte dieser Sender nie in dieser Form geführt werden. Fernsehwerbung ist zunehmend ein Volumengeschäft, das auch aufseiten der Käufer, der Mediaagenturen, von hoher Konzentration geprägt ist. Ein Vermarkter mit großem Portfolio und dementsprechend viel Werbeinventar kann in den Verhandlungen mit diesen Agenturen ungleich selbstbewusster agieren als ein alleinstehender Sender wie Servus TV oder ATV mit seinem zarten Schwestersender ATV 2. Der ProSieben-Gruppe ist es gelungen, eine TV-Vermarktergruppe auf die Beine zu stellen, in der sich die einst als zu waghalsig abgekanzelte Idee von Privatfernsehen in Österreich wirtschaftlich darstellen lässt.
Was garantiert Vielfalt?
Wenn man sich die sonderbaren Jugendjahre der drei österreichweiten Privatsender vor Augen führt, wirkt das Gezeter um die ATV-Übernahme durch die ProSiebenSat.1Puls4-Gruppe seltsam. Darin eine Gefahr für die Medienvielfalt zu sehen erst recht. Zum einen sichern die Auflagen der Bundeswettbewerbsbehörde, dass die teilweise sehr soliden mitunter sogar hervorragenden journalistischen Leistungen von ATV eigenständig aufrechterhal- ten werden. Und zum anderen ist es der ProSieben-Gruppe mit Blick auf ihre Tätigkeit hierzulande durchaus zuzutrauen, dass sie ATV mit einem eigenständigen Senderprofil in ihre Gruppe integriert – und weiterentwickelt.
Dass ATV somit auch einem deutschen Medienriesen gehört, sollte selbstbewusste Europäer nicht abschrecken und schon gar nicht den Blick auf die – wirtschaftliche und publizistische – Wertschöpfung der Gruppe verstellen. Das sind immerhin schon ohne ATV 400 Arbeitsplätze, rund 100 davon für Journalisten. Es gibt übrigens keinen besseren Garanten für Medienvielfalt als wirtschaftliche Tragfähigkeit. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der Wettbewerbsbehörde vor allem eines: vernünftig. Dass ORF und manche Verleger, die ihre eigenen TV-Fantasien hegen und pflegen, mit diesem Schritt keine Freude haben, ist gut nachvollziehbar und ebenso durchsichtig. Aber das ist eine andere Geschichte – mit ganz eigenen Missverständnissen.
SEBASTIAN LOUDON ist Verlagsrepräsentant der Wochenzeitung „Die Zeit“. Zuvor war er Herausgeber des Medienfachblattes „Horizont“sowie bei der Rundfunkund-Telekom-Regulierungs-GmbH tätig.