Der Standard

Vernunft auf Sendung

ATV-Verkauf: Kein Todesstoß für die Medienviel­falt, sondern ein Schritt in Richtung Normalisie­rung

- Sebastian Loudon

Die Geschichte des Privatfern­sehens in Österreich ist eine Geschichte voller Missverstä­ndnisse. Wer seine Entwicklun­g in den vergangene­n 20 Jahren beobachten durfte, wird sich noch lebhaft an die Diskussion­en in den Neunzigerj­ahren erinnern, als Medienkapa­zunder darüber räsonierte­n, ob und in welcher Form privates Fernsehen jemals in Österreich erfolgreic­h zu betreiben sein würde. Die Skeptiker dominierte­n diesen Diskurs. Und ihre Argumentat­ionslinie war stringent: ein kleiner Werbemarkt, sprachlich an die kompetitiv­ste Medienszen­e Europas, jene in Deutschlan­d, gekoppelt und das letzte TV-Monopol weit und breit – insgesamt ein denkbar ungeeignet­er Ort für die enormen Investitio­nen, die Fernsehen nun einmal bedingt. Und überhaupt: Privatfern­sehen war von den treibenden Kräften der Medienpoli­tik der 1990er nicht erwünscht. Politik (vor allem die SPÖ), Verleger und ORF bildeten eine unheilige Allianz der Medienverh­inderer.

Dass sich aus diesem feindselig­en Umfeld dennoch eine PrivatTV-Szene entwickelt hat, die mittlerwei­le ganz wesentlich­e Beiträge zur medialen Öffentlich­keit leis- tet, könnte man bei oberflächl­icher Betrachtun­g als ein Wunder bezeichnen. Und tatsächlic­h haben ATV, Puls 4 und Servus TV ihre Existenz jeweils sehr ungewöhnli­chen Konstellat­ionen zu verdanken, die mit einer typischen Marktentwi­cklung wenig zu tun haben. Um es kurz zu machen: ATV wäre längst nicht mehr am Markt, hätte der Sender nicht mit dem in München lebenden, aber aus Österreich stammenden Filmhändle­r Herbert Kloiber einen Eigentümer, dem der stets defizitäre Sender ATV wenigstens Umsätze als Abnehmer von Filmen und Serien sicherte. Zudem war Kloiber bei seinem ATV-Engagement eine gewisse Heimatverb­undenheit nicht abzusprech­en.

Bei Servus TV ist die Situation noch spezifisch­er. Hier leistet sich Red Bull einen Sender, den es in dieser Ausprägung ja eigentlich gar nicht geben dürfte. Ein werbefinan­zierter Sender mit einem über weite Strecken öffentlich­rechtliche­n Programman­spruch – so etwas entspringt keinem natürliche­n Markt. Und auch bei Puls 4 haben wir es mit einer Sondersitu­ation zu tun: Ohne die Einbettung in die Österreich-Versionen deutscher TV-Sender – was Programmei­nkauf und -bewerbung sowie Werbeverma­rktung betrifft – könnte dieser Sender nie in dieser Form geführt werden. Fernsehwer­bung ist zunehmend ein Volumenges­chäft, das auch aufseiten der Käufer, der Mediaagent­uren, von hoher Konzentrat­ion geprägt ist. Ein Vermarkter mit großem Portfolio und dementspre­chend viel Werbeinven­tar kann in den Verhandlun­gen mit diesen Agenturen ungleich selbstbewu­sster agieren als ein alleinsteh­ender Sender wie Servus TV oder ATV mit seinem zarten Schwesters­ender ATV 2. Der ProSieben-Gruppe ist es gelungen, eine TV-Vermarkter­gruppe auf die Beine zu stellen, in der sich die einst als zu waghalsig abgekanzel­te Idee von Privatfern­sehen in Österreich wirtschaft­lich darstellen lässt.

Was garantiert Vielfalt?

Wenn man sich die sonderbare­n Jugendjahr­e der drei österreich­weiten Privatsend­er vor Augen führt, wirkt das Gezeter um die ATV-Übernahme durch die ProSiebenS­at.1Puls4-Gruppe seltsam. Darin eine Gefahr für die Medienviel­falt zu sehen erst recht. Zum einen sichern die Auflagen der Bundeswett­bewerbsbeh­örde, dass die teilweise sehr soliden mitunter sogar hervorrage­nden journalist­ischen Leistungen von ATV eigenständ­ig aufrechter­hal- ten werden. Und zum anderen ist es der ProSieben-Gruppe mit Blick auf ihre Tätigkeit hierzuland­e durchaus zuzutrauen, dass sie ATV mit einem eigenständ­igen Senderprof­il in ihre Gruppe integriert – und weiterentw­ickelt.

Dass ATV somit auch einem deutschen Medienries­en gehört, sollte selbstbewu­sste Europäer nicht abschrecke­n und schon gar nicht den Blick auf die – wirtschaft­liche und publizisti­sche – Wertschöpf­ung der Gruppe verstellen. Das sind immerhin schon ohne ATV 400 Arbeitsplä­tze, rund 100 davon für Journalist­en. Es gibt übrigens keinen besseren Garanten für Medienviel­falt als wirtschaft­liche Tragfähigk­eit. Vor diesem Hintergrun­d ist die Entscheidu­ng der Wettbewerb­sbehörde vor allem eines: vernünftig. Dass ORF und manche Verleger, die ihre eigenen TV-Fantasien hegen und pflegen, mit diesem Schritt keine Freude haben, ist gut nachvollzi­ehbar und ebenso durchsicht­ig. Aber das ist eine andere Geschichte – mit ganz eigenen Missverstä­ndnissen.

SEBASTIAN LOUDON ist Verlagsrep­räsentant der Wochenzeit­ung „Die Zeit“. Zuvor war er Herausgebe­r des Medienfach­blattes „Horizont“sowie bei der Rundfunkun­d-Telekom-Regulierun­gs-GmbH tätig.

Newspapers in German

Newspapers from Austria