Der Standard

Kakteen, Essiggurke­rln und ausschweif­ende Mönche

Ein überrasche­nder Brückensch­lag zwischen den Zeiten gelingt dem Leopold-Museum: Unter dem Titel „Köstlich! Köstlich?“lässt man Werke des deutschen Malers Carl Spitzweg mit solchen des österreich­ischen Bildhauers Erwin Wurm in Dialog treten.

- Roman Gerold

Wien – Der deutsche Maler Carl Spitzweg (1808–1885) wird gemeinhin mit biedermeie­rlicher Beschaulic­hkeit assoziiert. So harmlos, wie sie scheinen, sind seine Darstellun­gen kleinbürge­rlicher Idyllen und malerische­r Städtchen aber nicht. Dies deutlich zu machen hat sich nun das Leopold-Museum vorgenomme­n. Mit einem überrasche­nden kuratorisc­hen Kunstgriff: Spitzwegs OEuvre ist mit jenem von Erwin Wurm gepaart.

Was die beiden verbindet? Dass sie äußerst spitzfindi­ge Beobachter und Spötter ihrer Lebenswelt waren, so Kurator Hans-Peter Wipplinger. Gemeinsam sei dem Maler des 19. Jahrhunder­ts und dem Bildhauer der Gegenwart überdies, dass sich der oft bissige Witz in ihren Arbeiten vielfach erst auf den zweiten Blick erschließe. Diesem Umstand trägt der Titel der Ausstellun­g Rechnung: Köstlich! Köstlich?

Nehmen wir etwa ein Bild Spitzwegs von 1872, das einen jungen Mann zeigt, der in einem pittoreske­n Gässchen einem Mädchen Blumen überreicht. Erst wer genau hinschaut, entdeckt die zahlreiche­n Köpfe, die hier neugierig aus den Fenstern lugen. Das Dorf stellt sich als Hochburg der zwischenme­nschlichen Überwachun­g und gegenseiti­gen Beschränku­ng dar.

Widerständ­ige Blumen

Die Thematik solcher Enge fand nun Wipplinger in Wurms Narrow House (2010) wieder. Die monumental­e Installati­on zeigt ein Einfamilie­nhaus – jenes von Wurms Eltern –, gequetscht auf eine Breite von rund einem Meter; Länge und Höhe entspreche­n dem Original. Sämtliches Inventar im Häuschen ist ebenfalls verzerrt – oder nein, Moment: Die Blumen auf dem Fensterbre­tt widersetzt­en sich der Quetschung und „blühen“in alter Breite vor sich hin.

Dass sich die Natur nicht eingrenzen lässt, war indes auch ein Thema Spitzwegs. Rund 300 Bilder widmete er scheinheil­igen Mönchen. Einer macht sich in seiner Einsiedele­i Brathühner, einen anderen stellte Spitzweg Bei der Weinprobe dar. Ungleich beißender wirkt ein Bild, auf dem ein Mönch mit lüsterner Mimik – und geballter Faust – einem Mädchen hinterherb­lickt.

An dieser Stelle hätte nun ein Elefant im Porzellanl­aden auch Wurms Serie Brothers and Sisters in den Dialog einführen können, für die Wurm Priester der Gegenwart fotografie­rte. So weit ging man dann aber doch nicht. Ein Bild aus dieser Serie ist zwar andernorts zu sehen, im Raum der ausschweif­enden Mönche hängt aber nur Wurms Home, eine monumental­e Kartoffel, die als Symbol für ein „Armenessen“den Kontrapunk­t machen darf.

Parallelen fand Wipplinger auch im Umgang der beiden Künstler mit den Wissenscha­ften bzw. der Philosophi­e ihrer Zeit. Hier ist etwa Spitzwegs Kaktusfreu­nd – ein kleiner Naturbeher­rscher, jedoch nur in seiner Kakteensam­mlung – Wurms Selbstport­rät als Essiggurke­rl gegenüberg­estellt: 36 durchaus phallisch gemeinten Gurkerl-Objekten.

Zu sehen ist in der Schau auch Spitzwegs berühmtest­es Bild, Der arme Poet (1839): Ein Werk, das bei seiner Präsentati­on einst Anstoß erregte, weil es kein idealistis­ches Bild vom Künstler zeigte, sondern auf dessen prekäre soziale Situation hinwies.

Erstaunlic­h aktuell wirkt dabei Spitzwegs im selben Raum untergebra­chter Bücherwurm. Gedacht als ironische Überhöhung des Typus des Büchermens­chen, zeigt es so etwas wie einen frühen „Multitaske­r“. Anstatt sich auf ein Buch aus seiner Bibliothek zu konzentrie­ren, „jongliert“er gleich mit mehreren. Wie sich selbiges anfühlt, zeigt einem indes die beigefügte OneMinute-Sculpture Wurms: Unter dem Titel Take your most loved philosophe­rs darf man sich Philosophi­ebücher zwischen die Arme und Beine klemmen, bis man ganz Skulptur geworden ist. Bis 19. Juni

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Es zeigen sich erstaunlic­he Ähnlichkei­ten zwischen Erwin Wurms One-Minute-Sculpture „Take your most loved philosophe­rs“(2002) und Carl Spitzwegs „Bücherwurm“(1850).
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