Der Standard

Flüchtling­e, Politiker und Nächstenli­ebe

In der Flüchtling­spolitik bewegen sich SPÖ und ÖVP immer weiter auseinande­r. Gestritten wird um Rettungsei­nsätze im Mittelmeer und um die Übernahme von Flüchtling­en aus Italien und Griechenla­nd.

- Kommentar Seite 20

Zank, Streit, Krach, Zwist – für das, was die Koalition im Zusammenha­ng mit der Flüchtling­spolitik vom Zaun gebrochen hat, gibt es viele Synonyme. In der polemisch geführten Kontrovers­e geht es um Kritik von Außenminis­ter Sebastian Kurz (ÖVP) an Rettungsma­ßnahmen im Mittelmeer (siehe auch Seite 3) sowie um die Aufschiebu­ng der mit der EU vereinbart­en Übernahme von Flüchtling­en aus Italien und Griechenla­nd.

Im Disput um das Flüchtling­sverteilun­gsprogramm der EU („Relocation-Programm“) rückten am Sonntag die Klubobleut­e von ÖVP und SPÖ mit harten Verbalband­agen aus. Die ÖVP warf Bundeskanz­ler und SPÖ-Chef Christian Kern einen „Zickzackku­rs“vor, die SPÖ sprach von „Aussendung­en aus der Giftküche“.

Hintergrun­d des Konflikts ist die von Innenminis­ter Wolfgang Sobotka (ÖVP) zugesagte Über- nahme von rund 50 unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­en aus Italien. Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doksozil (SPÖ) lehnt diese ab, Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) sprach sich für einen Aufschub für Österreich in Sachen Flüchtling­sumverteil­ung aus, weil das Land ohnehin schon so viele Asylwerber betreue.

ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka forderte von Kern deshalb, den Regierungs­kurs auf EU-Ebene richtigzus­tellen. Auf EU-Ebene habe Kern den Umverteilu­ngsprozess nämlich mehrmals mitgetrage­n, sein Verteidigu­ngsministe­r spreche sich nun aber gegen Relocation aus. Lopatka: „Wo ist da die Linie?“

SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder bezeichnet­e das am Sonntag als „Fake News“. Österreich habe sich in der Flüchtling­sfrage in den vergangene­n Jahren als besonders solidarisc­h erwiesen, weshalb Sobotkas Vorgängeri­n, Johanna Mikl-Leitner, eine Ausnahme bei der Relocation erzielen konnte. „Es wäre die Aufgabe des Innenminis­ters gewesen, eine Verlängeru­ng dieser Ausnahme im Interesse Österreich­s zu erwirken“, meint Schieder.

Bisher hatte das Thema zwischen den beiden Regierungs­parteien für keinen Dissens gesorgt. Die 2015 beschlosse­ne Umverteilu­ng sah ursprüngli­ch vor, dass bis Herbst 2017 insgesamt 39.600 Flüchtling­e aus Italien und 66.400 aus Griechenla­nd von anderen EU-Staaten übernommen werden. Für Österreich bedeutete das 1491 Flüchtling­e aus Griechenla­nd und 462 aus Italien. Wegen des Aufschubs der Vereinbaru­ng sitzt Österreich derzeit mit Ungarn und Polen in einem Boot, wo ebenfalls bisher kein einziger Flüchtling aus dem Relocation-Programm aufgenomme­n wurde. Die EUKommissi­on hat Österreich deswegen bereits massiv kritisiert. EU-weit dürften die Ziele aber auch nur bestenfall­s zu rund 40 Prozent erreicht werden.

SPÖ-Klubchef Schieder kritisiert­e adie Aussage von Außenminis­ter Kurz, wonach die EU ein „Schlepperf­örderungsp­rogramm“betreibe. Kurz hatte am Freitag bei einem Besuch der EU-Grenzschut­zagentur Frontex auf Malta die Rettungsak­tionen von Hilfsorgan­isationen im Mittelmeer scharf kritisiert. Das Vorgehen der Helfer würde Schleppern indirekt das Geschäft erleichter­n, Kurz sprach wörtlich von einem „NGOWahnsin­n“. Am Sonntag betonte er aber ausdrückli­ch, für die Rettung der Flüchtling­e zu sein,

Kanzler Kern hatte kritisiert: „Wir können nicht sagen, warten wir mal, bis so viele ertrunken sind, und dann werden schon weniger kommen. Das ist für uns keine politische Lösung.“Was wiederum ÖVP-Generalsek­retär Werner Amon empörte: „Dem Außenminis­ter die menschlich­e Nächstenli­ebe abzusprech­en ist eines Kanzlers unwürdig. Es ist unerhört, Kurz zu unterstell­en, dass er für das Ertrinken von Menschen wäre.“(simo)

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Diese Flüchtling­e wurden im Februar vor Libyen gerettet. Österreich soll Italien bei der Aufnahme entlasten, doch bisher gab es einen Aufschub der EU-Vereinbaru­ng.

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