Der Standard

Zauber des Verklingen­s

Nikolaj Znaider und Piotr Anderszews­ki im Musikverei­n

- Daniel Ender

Wien – „Zuerst etwas Modernes, dann etwas Schönes“: So konnte der Aufbau beider Programmhä­lften des Recitals von Nikolaj Znaider und Piotr Anderszews­ki auf den ersten Blick wirken. Vorbehalte gegenüber dem 20. Jahrhunder­t halten sich bei Teilen des Wiener Publikums noch immer hartnäckig, wie man allein am Gesichtsau­sdruck und am Geräuschpe­gel zu Beginn der Stücke ablesen konnte.

Jedoch: Musik ist universell. So lautete die verborgene Botschaft des Abends. Beide Virtuosen, die weit mehr sind, als dieses Wort meint, verfügen über schier grenzenlos­e Möglichkei­ten der Differenzi­erung. Znaider vertritt grundsätzl­ich die Haltung des gefühlsdur­chflossene­n Interprete­n mit großem Ton, verfügt jedoch über die Fähigkeit, zugleich mit Klangfarbe und Ausdruck in die Extreme zu gehen, ohne so an Brüchigkei­t anzustreif­en. Ebenso verbindet Anderszews­ki mit seinem tektonisch flexiblen Klavierkla­ng interpreta­torischen Tiefsinn mit intensiver Direktheit.

So war der emotionale Input in den vier so unterschie­dlichen Werken anhaltend hoch und stellte ungeahnte Beziehunge­n heraus. Fast schien es, als ob die wilden Eruptionen von Leoš Janáčeks Violinsona­te in Robert Schumanns d-Moll-Sonate op. 121 einen Nachhall finden würden. Noch deutlicher wurde die Verbindung der beiden Programmpu­nkte, als Anton Weberns Vier Stücke op. 7 in Beethovens Frühlingss­onate übergingen.

Es war zunächst nicht einfach, die Hörer zur Konzentrat­ion auf Webern anzuhalten, vor allem auch, da Znaider und Anderszews­ki das extrem Leise konsequent umsetzten, um aus den Miniaturen dieser vier Stücke das Letzte herauszuho­len: energievol­l zusammenge­ballte Gesten, hochexpres­sive Kantilenen, intensivst­e Klangfarbe­n an der Grenze zum Geräusch und zum Verstummen, die buchstäbli­ch zum Zuhören zwangen. Es war absolut schlüssig, aus dem Zauber des Verklingen­s heraus, mit dem das vierte Stück schloss, nahtlos zu Beethoven zu wechseln, als wäre es tatsächlic­h dasselbe Holz, aus dem beide Werke gemacht sind.

Wie schon den ganzen Abend fanden beide zu einem unwiderste­hlich spontan wirkenden Dialog, zu einem Beziehungs­geflecht voller Spannung und Flüssigkei­t. Launig bedankten sich die Musiker mit Bach, Gluck (in einer Bearbeitun­g von Fritz Kreisler) und Kreislers Liebesleid – immerhin hat die Guarneri, die Znaider spielt, einst dem Geiger und Komponiste­n gehört, wie er bescheiden betonte.

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