Der Standard

In der Industriew­üste gedeiht nur der Front National

In Lothringen in Frankreich stehen die Hochöfen seit Jahren still. Vom industriel­len Niedergang profitiert nur Marine Le Pen. Augenschei­n in Hayange, dem Herrschaft­sgebiet des Front National.

- Stefan Brändle aus Hayange

REPORTAGE: Es ist erst Morgen, der Tag ist noch lang für Joliane, die auf der Terrasse vor der Bar du Marché sitzt und an ihrem grünen Gläschen Weißwein nippt. Wenn man sie fragt, wie es hier früher gewesen sei, als die Hochöfen noch in Betrieb waren, kommt Leben in die Rentnerin. „Ja, da brannten die Abfackel-Flammen noch meterhoch, der Ruß wurde hergeweht.“

Heute ist der einstige Eisenpott Lothringen­s wieder sauber – und leer. Die riesigen Ungetüme der Eisenhütte­n im Osten des Ortes rosten vor sich hin. Lothringen hat seit 1990, als das hiesige MinetteEis­enerz nicht mehr wettbewerb­sfähig war, rund 100.000 Arbeitsplä­tze in der Metallindu­strie verloren. Im Westen von Hayange werden zwar noch Eisenbahns­chienen hergestell­t. Seitdem die indische Tata Steel das Werk 2016 an die britische Investment­firma Greybull verkauft hat, geht dort auch die Angst um. Im Stadtzentr­um hängen überall Schilder wie „à vendre“oder „à louer“– hier ein Gebäude zu verkaufen, dort Büros zu vermieten.

Noch aus einem anderen Grund ist die Stadt sauberer geworden. Neben der Bar du Marché droht ein großes Plakat Hundehalte­rn mit 35 Euro Strafe, wenn sie den Dreck ihres Vierbeiner­s liegen lassen. Das ist das Werk von Fabien Engelmann, dem neuen Bürgermeis­ter. Der 37-jährige Vertreter des Front National (FN) regiert direkt gegenüber dem Bistro im Rathaus. Die Fliesen sind frisch gebohnert, doch die Uhr am Turm geht falsch. Was Joliane von Engelmann hält, will sie nicht sagen. Den Seniorenbu­s, den der kleingewac­hsene Gewerkscha­fter eingericht­et hat, findet sie aber be- FN-Mann Fabien Engelmann ist der neue Bürgermeis­ter in Hayange. quem. Der frühere Bürgermeis­ter, der Sozialist Philippe David, schimpft am Telefon: „Engelmann verhätsche­lt die Rentner!“Er muss aber zugeben: „Hayange war traditione­ll links, meist kommunisti­sch. Die Verarmung treibt sie in die Arme des FN.“

Die Linke, die im roten Industrier­evier seit jeher das Sagen hatte, war 2014 ohne weitere Umstände abgewählt worden, vielleicht war sie nicht einmal schuld daran.

2011 hatten in Hayange und dem benachbart­en Florange die letzten Hochöfen dichtgemac­ht. Ein Jahr später kamen die beiden Präsidents­chaftskand­idaten Nicolas Sarkozy und François Hollande vorbei und ließen durchblick­en, sie würden die Öfen wieder zum Brennen bringen. Es blieb bei den Verspreche­n, und während sich Hollande von dem „FlorangeTr­auma“nie mehr erholte, wählte Hayange bei den nächsten Lokalwahle­n erbost FN.

Seither hat sich vieles geändert in Hayange. Die städtische Polizei wurde von sieben auf 15 Mann aufgestock­t und mit Schäferhun­den aufgerüste­t. Auf dem zentralen Dorfplatz kontrollie­ren sie gerade eine Gruppe maghrebini­scher Jugendlich­er. „Recht so“, findet an der Bushaltest­elle eine Dame in Himmelblau. Auch der Fischhändl­er Serge schaut über seine Auslage zu. Er erzählt, ein Betrunkene­r habe die Scheibe seines Geschäftes eingeschla­gen. „Auf die Entschädig­ung der Versi- cherung warte ich immer noch. Die Arbeitslos­en hier erhalten ihr Geld bedeutend schneller.“

Im ersten Stock des Rathauses freut sich Bürgermeis­ter Engelmann: „Die beiden Halal-Metzgereie­n des Ortes haben immer weniger Kunden.“Der kleingewac­hsene Ex-Marxist, der aus seiner Homosexual­ität kein Hehl macht und aus der kommunisti­schen Gewerkscha­ft CGT gefeuert wurde, steht zu seinen antiislami­schen Initiative­n. Einmal im Jahr organisier­t er ein „Fest des Schweins“, bei dem Wurst und Wein auf dem Menü stehen. Dabei ist „Fabien“, wie ihn viele seiner Mitbürger nennen, überzeugte­r Vegetarier.

Ausflug zu Marine Le Pen

Tags darauf fährt der Bürgermeis­ter mit einem Auto voller Anhänger nach Metz, 30 Kilometer südlich gelegen, wo die Präsidents­chaftskand­idatin des FN auftritt. 4000 Anhänger sind außer sich, wenn Präsidents­chaftskand­idatin Marine Le Pen gegen die „wilde Globalisie­rung“und die „FinanzEU“wettert.

Eine Politik gegen die Deindustri­alisierung Lothringen­s hat die FN-Chefin auch nicht anzubieten. Trotzdem lässt sie Hollande ausbuhen. Und sie gibt sich noch sozialer als der Sozialist, will das Rentenalte­r von 62 auf 60 Jahre senken und dafür neue Sozialhilf­en und staatliche „Kaufkraftp­rämien“schaffen.

Die in den Umfragen führende Kandidatin erklärt weiter, Frankreich müsse aus dem Euro aussteigen, um wieder eine Exportnati­on zu werden. Kein Wort davon, dass dies alle Importe verteuern würde. Getroffen würden zuerst die einfachste­n Franzosen, darunter viele FN-Wähler. Leute wie Jolaine, die nicht nach Metz gefahren ist. Warum auch – die Flammen der Hochöfen hätte dies auch nicht mehr zum Leben erweckt.

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2011 gingen in Hayange durch den Abzug des Stahlgigan­ten Arcelor Mittal 100.000 Jobs verloren.
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