In der Industriewüste gedeiht nur der Front National
In Lothringen in Frankreich stehen die Hochöfen seit Jahren still. Vom industriellen Niedergang profitiert nur Marine Le Pen. Augenschein in Hayange, dem Herrschaftsgebiet des Front National.
REPORTAGE: Es ist erst Morgen, der Tag ist noch lang für Joliane, die auf der Terrasse vor der Bar du Marché sitzt und an ihrem grünen Gläschen Weißwein nippt. Wenn man sie fragt, wie es hier früher gewesen sei, als die Hochöfen noch in Betrieb waren, kommt Leben in die Rentnerin. „Ja, da brannten die Abfackel-Flammen noch meterhoch, der Ruß wurde hergeweht.“
Heute ist der einstige Eisenpott Lothringens wieder sauber – und leer. Die riesigen Ungetüme der Eisenhütten im Osten des Ortes rosten vor sich hin. Lothringen hat seit 1990, als das hiesige MinetteEisenerz nicht mehr wettbewerbsfähig war, rund 100.000 Arbeitsplätze in der Metallindustrie verloren. Im Westen von Hayange werden zwar noch Eisenbahnschienen hergestellt. Seitdem die indische Tata Steel das Werk 2016 an die britische Investmentfirma Greybull verkauft hat, geht dort auch die Angst um. Im Stadtzentrum hängen überall Schilder wie „à vendre“oder „à louer“– hier ein Gebäude zu verkaufen, dort Büros zu vermieten.
Noch aus einem anderen Grund ist die Stadt sauberer geworden. Neben der Bar du Marché droht ein großes Plakat Hundehaltern mit 35 Euro Strafe, wenn sie den Dreck ihres Vierbeiners liegen lassen. Das ist das Werk von Fabien Engelmann, dem neuen Bürgermeister. Der 37-jährige Vertreter des Front National (FN) regiert direkt gegenüber dem Bistro im Rathaus. Die Fliesen sind frisch gebohnert, doch die Uhr am Turm geht falsch. Was Joliane von Engelmann hält, will sie nicht sagen. Den Seniorenbus, den der kleingewachsene Gewerkschafter eingerichtet hat, findet sie aber be- FN-Mann Fabien Engelmann ist der neue Bürgermeister in Hayange. quem. Der frühere Bürgermeister, der Sozialist Philippe David, schimpft am Telefon: „Engelmann verhätschelt die Rentner!“Er muss aber zugeben: „Hayange war traditionell links, meist kommunistisch. Die Verarmung treibt sie in die Arme des FN.“
Die Linke, die im roten Industrierevier seit jeher das Sagen hatte, war 2014 ohne weitere Umstände abgewählt worden, vielleicht war sie nicht einmal schuld daran.
2011 hatten in Hayange und dem benachbarten Florange die letzten Hochöfen dichtgemacht. Ein Jahr später kamen die beiden Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy und François Hollande vorbei und ließen durchblicken, sie würden die Öfen wieder zum Brennen bringen. Es blieb bei den Versprechen, und während sich Hollande von dem „FlorangeTrauma“nie mehr erholte, wählte Hayange bei den nächsten Lokalwahlen erbost FN.
Seither hat sich vieles geändert in Hayange. Die städtische Polizei wurde von sieben auf 15 Mann aufgestockt und mit Schäferhunden aufgerüstet. Auf dem zentralen Dorfplatz kontrollieren sie gerade eine Gruppe maghrebinischer Jugendlicher. „Recht so“, findet an der Bushaltestelle eine Dame in Himmelblau. Auch der Fischhändler Serge schaut über seine Auslage zu. Er erzählt, ein Betrunkener habe die Scheibe seines Geschäftes eingeschlagen. „Auf die Entschädigung der Versi- cherung warte ich immer noch. Die Arbeitslosen hier erhalten ihr Geld bedeutend schneller.“
Im ersten Stock des Rathauses freut sich Bürgermeister Engelmann: „Die beiden Halal-Metzgereien des Ortes haben immer weniger Kunden.“Der kleingewachsene Ex-Marxist, der aus seiner Homosexualität kein Hehl macht und aus der kommunistischen Gewerkschaft CGT gefeuert wurde, steht zu seinen antiislamischen Initiativen. Einmal im Jahr organisiert er ein „Fest des Schweins“, bei dem Wurst und Wein auf dem Menü stehen. Dabei ist „Fabien“, wie ihn viele seiner Mitbürger nennen, überzeugter Vegetarier.
Ausflug zu Marine Le Pen
Tags darauf fährt der Bürgermeister mit einem Auto voller Anhänger nach Metz, 30 Kilometer südlich gelegen, wo die Präsidentschaftskandidatin des FN auftritt. 4000 Anhänger sind außer sich, wenn Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen gegen die „wilde Globalisierung“und die „FinanzEU“wettert.
Eine Politik gegen die Deindustrialisierung Lothringens hat die FN-Chefin auch nicht anzubieten. Trotzdem lässt sie Hollande ausbuhen. Und sie gibt sich noch sozialer als der Sozialist, will das Rentenalter von 62 auf 60 Jahre senken und dafür neue Sozialhilfen und staatliche „Kaufkraftprämien“schaffen.
Die in den Umfragen führende Kandidatin erklärt weiter, Frankreich müsse aus dem Euro aussteigen, um wieder eine Exportnation zu werden. Kein Wort davon, dass dies alle Importe verteuern würde. Getroffen würden zuerst die einfachsten Franzosen, darunter viele FN-Wähler. Leute wie Jolaine, die nicht nach Metz gefahren ist. Warum auch – die Flammen der Hochöfen hätte dies auch nicht mehr zum Leben erweckt.