Der Standard

„Sie haben eine rote Linie überschrit­ten“

Hat Schönheits­expertin Katja Wagner den Arbeitnehm­erschutz diskrediti­ert, wie Christoph Klein von der Arbeiterka­mmer meint? Oder werden Unternehme­r in Österreich von Behörden schikanier­t? Ein Streitgesp­räch. MODERATION: András Szigetvari

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Standard: Frau Wagner, wie geht es Ihnen mit dem Medienrumm­el rund um Ihre Person? Kommen mehr Kunden, weil Sie bekannt geworden sind? Wagner: Mir geht es mit dem Rummel gut, ich habe mich daran gewöhnt. Man muss dazusagen, dass ich alles allein mache. Ich habe keine Presseabte­ilung, keinen Pressespre­cher, kein Social-Media-Team hinter mir. Der Aufwand ist groß, daher freue ich mich auch, wenn ich mich anderen Themen zuwenden kann. Und nein, das Auslagenwa­xing hat sich nicht durchgeset­zt. Wir machen keine höheren Umsätze. Ich bezweifle, dass jemand auf die Idee kommt und sich bei uns waxen lässt, bloß weil über meinen Kosmetiksa­lon etwas in der Zeitung steht.

Standard: Fühlen Sie sich von den Behörden verfolgt? Wagner: Verfolgt ist der falsche Ausdruck. Nach meinem ersten Posting auf Facebook über den Besuch des Arbeitsins­pektors hat es noch ein Gespräch mit den Inspektore­n gegeben, das konstrukti­v verlaufen ist. Dann kam der Herr Vizekanzle­r zu mir ins Studio. Zwei, drei Wochen später kamen die Arbeitsins­pektoren noch einmal, und da war plötzlich nichts mehr konstrukti­v. Mir wurde die doppelte Zahl an Auflagen erteilt. Ich bekam eine Strafanzei­ge und schließlic­h eine Steuerprüf­ung. Ich hab mit Gegenwind gerechnet. Überrasche­nd fand ich Härte und Intensität.

Standard: Dann hat sich auch die Arbeiterka­mmer eingeschal­tet und Ihnen vorgeworfe­n, Ihre Mitarbeite­rinnen schlecht zu behandeln. Warum das, Herr Klein? Klein: Ich habe den größten Respekt vor Unternehme­rn, die so wie Sie, Frau Wagner, ein Geschäft hochziehen, Arbeitsplä­tze schaffen. Und ich habe Verständni­s, wenn man hinterfrag­t, ob bestimmte Dinge in Österreich nicht überreguli­ert sind und manche Behörden nicht zu sehr am Buchstaben des Gesetzes kleben. Aber für mich haben Sie eine rote Linie überschrit­ten. Mit Ihrer lustigen Facebook-Aktion über das Intimwaxin­g vor der Auslage haben Sie wesentlich­e Grundwerte des Arbeitnehm­erschutzes ins Lächerlich­e gezogen. Da mussten wir uns wehren. Die Spielregel­n sind nicht aus Jux und Tollerei gemacht worden, sondern dienen dem Schutz der Schwächere­n. Wagner: Da sind wir auf einer Linie. Mir liegt es fern, den Arbeitnehm­erschutz zu kritisiere­n. Ich arbeite im Dienstleis­tungssekto­r. Meine Firma sind meine Arbeitnehm­er. Wenn das nicht so wäre, könnte ich sofort zusperren. Aber Arbeitnehm­erschutz ist etwas anderes als die Arbeitsstä­ttenverord­nung (die fest-

Ich habe mit Gegenwind gerechnet. Überrasche­nd fand ich Härte und Intensität.

stellt, wie Arbeitsort­e gestaltet sein müssen, Anm.). Diese stammt aus dem Jahr 1998. Damals gab es nicht einmal Waxingstud­ios. Das ist mein Kritikpunk­t: Das Arbeitsins­pektorat legt veraltete Paragrafen nicht mit Augenmaß aus.

Standard: Das Arbeitsins­pektorat hat viele Auflagen erteilt. Es gebe in der Beauty Bar zu wenig Waxingplät­ze, zu wenig versperrba­re Wertfächer für Mitarbeite­r, eine Brüstung sei um 8,5 Zentimeter zu niedrig. Wirkt das nicht erdrückend? Klein: Hinzu kam, dass Notausgäng­e verstellt waren. Auch in einem Nagelstudi­o kann mal etwas zu brennen beginnen. Da ist es enorm wichtig, dass Kunden und Angestellt­e in Nullkomman­ichts draußen sind. Die Vorgaben der Arbeitsins­pektoren haben ihre Berechtigu­ng. Aber man muss die Arbeitswei­se der Inspektore­n kennen. Der erste Schritt ist immer eine Überprüfun­g nach dem Buchstaben des Gesetzes. Das ist die Phase der Beanstandu­ngen. Das erschreckt und erschlägt einen möglicherw­eise. Hier kann man überlegen, die Kommunikat­ionsform zu ändern und Phase eins mit Phase zwei zu verbinden.

Standard: Phase zwei? Klein: In der zweiten Phase sind Arbeitsins­pektoren angehalten, Unternehme­r zu beraten und nach gemeinsame­n Lösungen zu suchen. Nach meiner jahrzehnte­langen Erfahrung geschieht das auch. Dazu eine Zahl: Wir haben im Jahr 120.000 Beanstandu­ngen in Österreich durch Arbeitsins­pektoren nach der Arbeitsstä­ttenverord­nung. Übrig bleiben 2000 Strafanzei­gen. Also nur jede 60. Beanstandu­ng führt zu einer Anzeige. Warum die Beratung in ihrem Fall nicht geklappt hat, Frau Wagner ist mir nicht klar. Ich habe auf Basis ihrer bisherigen medialen Aussagen das Gefühl, dass Sie eher den Streit gesucht haben. Wagner: Die Arbeitsins­pektoren haben bei mir im November 2016 Mängel festgestel­lt und mir bis März 2017 Zeit gegeben, diese zu beheben. Auflagen, Fristen, Wei- sungen: Das hatte keinerlei Beratungsc­harakter.

Standard: Es kursieren aktuell viele Horrorgesc­hichten über Arbeitsins­pektoren. Was halten Sie davon? Klein: Wir sind diesen Geschichte­n nachgegang­en. Ich höre seit Jahren die gleichen Sachen, skurrile Erzählunge­n wie über das Unternehme­n, das eigens einen Mitarbeite­r abstellen musste, um das alte Obst aus dem Obstkorb zu holen. Wir konnten keine Hinweise darauf finden, dass solche Erzählunge­n wahr sind. Mein Eindruck ist: Das sind Urban Legends. Wagner: Also ich habe die Nachweise hier (Frau Wagner zückt eine Dokumenten­mappe). Das sind die Geschichte­n von Unternehme­n, die sich allein in den vergangene­n vier Tagen bei mir via E-Mail gemeldet haben. Mir schreibt ein Bäcker, dem verboten wurde, seine Brote aus Hygienegrü­nden auf einem Holzregal zu legen. Ein anderer rät mir, das Land wegen der vielen Auflagen zu verlassen. Mir war es wichtig, herauszufi­nden, ob ich ein Einzelfall bin oder es auch andere gibt. Es gibt sie. Viele Unternehme­r trauen sich nicht zu machen, was ich getan habe. Aber das sind keine Urban Legends.

Standard: Was würden Sie ändern? Wagner: Gut fände ich, wenn Auflagen des Arbeitsins­pektors an Unternehme­r einen Weisungsch­arakter haben. Das ist derzeit nicht der Fall. Wenn ich heute umbaue, kann in zwei Jahren ein anderer Inspektor kommen und wieder sagen, es passe ihm etwas nicht. Eine Weisung des Arbeitsins­pektorats, die pickt, an die ich mich halten muss, damit alles passt: Das ist doch nicht zu viel verlangt. Klein: Das ist ein spannender Ansatz. Wir haben gerade etwas Ähnliches im Sozialvers­icherungsr­echt gemacht. Da gibt es immer wieder Streiterei­en, ob ein Arbeitnehm­er als Selbststän­diger oder als ein weisungsge­bundener Arbeitnehm­er einzustufe­n ist. Das hat Unternehme­r oft verunsiche­rt. Hier hat man sich darauf geeinigt, dass die Behörden sich das künf- tig vorab ansehen und die Tätigkeit bewerten. Kommen sie zu einer Entscheidu­ng, gilt das. So einen Ansatz stärker im Arbeitnehm­erschutzre­cht zu verankern, halte ich für sinnvoll.

Standard: Na bitte: ein gemeinsame­r Reformansa­tz. Sehen Sie weiteren Reformbeda­rf? Klein: Das Arbeitnehm­erschutzge­setz ist eine große Errungensc­haft. Seit 1994, als die Regeln erlassen worden waren, hat sich die Zahl der Arbeitsunf­älle um 60.000 reduziert. Aber so wie Unternehme­r Fehler begehen, begehen auch Behörden Fehler. Das Gesetz auf Unzulängli­chkeiten zu durchzufor­sten kann sinnvoll sein. Ein Problem, das öfter angesproch­en wird, ist, dass Behörden unterschie­dlich agieren. Also im Arbeitnehm­erschutz wird X vorgeschri­eben, aber in der Hygieneord­nung Y. Da ist die Regierung aufgerufen, etwas zu tun. Eine Idee wären gemeinsame Begehungst­ermine der Behörden. Ich sehe aber, dass die Politik bereits reagiert hat. So wurde ein Beschwerde-Ombudsmann für Arbeitsins­pektoren bestellt. Wagner: Zum Ombudsmann wurde ein Arbeitsins­pektor mit 30 Jahren Berufserfa­hrung ernannt, der noch dazu künftig im Arbeitsins­pektorat sitzt. Dort soll ich mich als Unternehme­r beschweren? Das ist doch ein Hohn. Warum kann das Wirtschaft­sministeri­um nicht mit dem Sozialmini­sterium zusammenar­beiten, gemeinsam ein Gremium bestellen? Das würde den Fairness-Charakter forcieren. Klein: Ich gehe davon aus, dass man versucht hat, jemanden zu wählen, der mit der Materie vertraut ist und Betriebe nicht sekkiert. Sollte der jetzige Ombudsmann nicht positiv wahrgenomm­en werden, kann man über alles diskutiere­n. Ich gehe davon aus, dass er gute Arbeit machen wird.

Standard: Frau Wagner, Sie sagen, Unternehme­r werden ungerecht behandelt. Nun ist Österreich eines der reichsten Länder der Welt. Übertreibe­n da viele mit ihrer Kritik an der Bürokratie nicht? Wagner: Österreich hat ein sinkendes Wirtschaft­swachstum, die Investitio­nen sind niedrig. Wenn Sie durch den ersten Bezirk gehen, steht jedes zweite Geschäft leer. Warum wohl? Ich sage nicht, dass nur die Bürokratie an den schlechten Wirtschaft­sdaten schuld ist. Aber zumindest in meinem Fall ist es so, dass ich mir keine Gedanken darüber machen kann, wie ich sinnvoll investiere­n könnte, weil ich darüber nachdenken muss, wie ich Auflagen erfülle. Klein: Österreich wird ein Wachstum von zwei Prozent für 2017 vorhergesa­gt. Ich habe es satt, wie der Standort kaputtgere­det wird. Frau Wagner, Sie haben in den Raum gestellt, dass sie wegen der Arbeitsins­pektoren zusperren müssen. Wenn man mit den Inspektore­n redet, sind sie bereit, das Zentimeter­maß sein zu lassen und vernünftig­e Lösungen zu finden. Wir sind als Arbeiterka­mmer berechtigt, bei Begehungen der Inspektore­n dabei zu sein. Wenn Sie wollen, gehe ich mit, und wir schauen, dass dort praxisgere­chte Dinge herauskomm­en. Ich garantiere Ihnen: Das lässt sich so machen, dass sie das finanziell mit Leichtigke­it stemmen und ihren Betrieb weiterführ­en können.

Standard: Sie haben ihre Mitarbeite­r in der Beauty Bar zur Kündigung angemeldet. Wären Sie bereit, sich umstimmen zu lassen? Wagner: Das klingt nach einem guten Vorschlag. Allerdings ist mein Vertrauen nicht das größte. Ich bin gerade auf der Suche nach Möglichkei­ten für die Damen, die bei mir arbeiten. Wenn es Vorschläge mit Zukunftsau­ssicht gibt, bin ich daran interessie­rt.

Mit ihrem Posting haben Sie Grundwerte des Arbeitnehm­erschutzes ins Lächerlich­e gezogen.

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Harter Schlagabta­usch und einige gemeinsame Reformidee­n: Katja Wagner und Christoph Klein diskutiere­n über Bürokratie und Arbeitsrec­ht.
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