Der Standard

„Für uns ist der Kalte Krieg nicht vorbei“

Seouls Bürgermeis­ter Park Won-soon gilt als Kritiker der abgesetzte­n Präsidenti­n Park Geun-hye. Weil die Proteste friedlich blieben, ist er stolz auf die Menschen, die für ihren Rücktritt demonstrie­rten.

- Manuel Escher

INTERVIEW: STANDARD: In Seoul haben riesige Proteste für die Absetzung der Präsidenti­n Park Geun-hye stattgefun­den. Auch Sie haben zu ihrem Rücktritt aufgerufen. Wie war es für Sie, diese Rolle von jener als Bürgermeis­ter zu trennen? Park: In Seoul hatten wir bis zu 1,6 Millionen Demonstran­ten. Es war unsere Verantwort­ung, ihnen Notwendige­s zur Verfügung zu stellen. Sicherzust­ellen, dass Toiletten vorhanden waren, dass der öffentlich­e Verkehr funktionie­rte. Ich bin unglaublic­h stolz darauf, dass wir nicht eine einzige gewalttäti­ge Auseinande­rsetzung vor der Absetzung hatten. Es war eine Bürgerrevo­lution, die des Friedensno­belpreises würdig wäre.

STANDARD: In einigen Wochen wird es nun Wahlen geben. Doch viele bleiben vom System desillusio­niert. Wie kann das Vertrauen wiederherg­estellt werden? Park: In diesem ganzen Prozess wollten viele der Demonstran­ten eine neue Demokratie schaffen, die täglich in ihrem eigenen Leben spürbar wird. Sie hoffen auch auf mehr Wachstum, von dem sie etwas haben. Beides sollte die nächste Regierung akzeptiere­n.

STANDARD: Sie sind für die Security Days der OSZE in Wien. Was ist für Sie als Bürgermeis­ter die größte Sicherheit­sherausfor­derung? Park: In Europa ist Migration gerade ein großes Thema. Derzeit gibt es zwar Probleme, aber in einem weiteren Sinne hat Europa eine Geschichte des friedvolle­n Zu- sammenlebe­ns. In Korea gibt es damit weniger Erfahrung. Aber wir haben jetzt 400.000 Ausländer in Seoul. Ihre Zahl steigt. Viele Gastarbeit­er haben koreanisch­e Frauen geheiratet. Für mich ist in diesem Sinne die soziale Einigkeit eine große Herausford­erung. Neben der Bedrohung durch Nordkorea.

STANDARD: Seoul und Wien waren vor 30 Jahren in ähnlichen Situatione­n. Der Eiserne Vorhang war 30 Kilometer von Wien entfernt. Was sind Ihre Gefühle, wenn Sie die Stadt nun besuchen? Park: Das hat auch für uns Signifikan­z. Seoul ist nur 40 Kilometer von der Grenze zu Nordkorea entfernt. Für uns ist der Kalte Krieg nicht vorbei. Es bleibt die Möglichkei­t einer Krise, und umso mehr haben wir Durst nach Frieden. Daher müssen wir mit unseren Nachbarn zusammenar­beiten, um die Gefahr diplomatis­ch zu verringern. Und wir müssen Nordkorea überzeugen, die Türe für die internatio­nale Gemeinscha­ft zu öffnen.

STANDARD: Es scheint einfacher, Verbindung­en zwischen Städten als zwischen Ländern aufzubauen. Wieso? Park: Das ist eine Beobachtun­g, die ich teile. Die Kooperatio­n zwischen Staaten ist sehr offiziell, sie bildet Richtlinie­n. Aber der Austausch zwischen Regionen oder Städten füllt sie mit Leben, er ist praktische­r.

STANDARD: Viele Menschen sehen ihre nationalen Regierunge­n kritisch. Bürgermeis­ter haben es oft leichter, obwohl eine Stadt wie Seoul mehr Einwohner hat als etwa Österreich. Worin sehen Sie den Grund für diese Ungleichhe­it? Park: Das ist tatsächlic­h ein Phänomen. Viele Leute sind verärgert oder gar verzweifel­t, wenn sie an die Regierung oder Politik im Allgemeine­n denken. Lokale Regierunge­n sind näher an den Menschen und können leichter auf Feedback reagieren.

STANDARD: Sie haben überlegt, bei der Präsidente­nwahl anzutreten. Wie sehen Sie Ihre Rolle in den kommenden Wochen und danach? Park: Ich habe eine Weile überlegt und mich dagegen entschiede­n. Ich habe als Bürgermeis­ter viel Verantwort­ung. Ich werde aber darauf drängen, dass die kommende Regierung echte Demokratie herstellt, auch die tägliche Demokratie für die Menschen.

PARK WON-SOON (61) ist Bürgermeis­ter von Seoul. Seine Bürgermeis­terkandida­tur unterstütz­te die Demokratis­che Partei, der er später beitrat. Der frühere Menschenre­chtsaktivi­st war für die Security Days der OSZE in Wien.

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Proteste Anfang des Jahres in Seoul für den Rücktritt von Südkoreas Präsidenti­n Park Geun-hye.
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Foto: AP/Mori Park Won-soon: „Es bleibt die Möglichkei­t einer Krise.“

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