Der Standard

Grenzenlos­e Fantasie bei Brasiliens Vornamen

Von Mick Jagger bis Barack Obama – in keinem anderen Land haben Prominente so viele Namensdopp­elgänger. Vor allem für Brasiliane­r aus ärmeren Schichten stehen die Namen mit einem Hauch von Berühmthei­t für Hoffnungen und Träume.

- Susann Kreutzmann aus São Paulo

Wie lebt es sich eigentlich als Franz Beckenbaue­r, John Kennedy oder Marilyn Monroe? In Brasilien treibt der Wunsch nach besonderen Vornamen zuweilen eigenwilli­ge Blüten. Denn bei der Namensgebu­ng gibt es (fast) kein Tabu. Alles, was schon einmal schriftlic­h fixiert wurde, darf als Vorname verwendet und registrier­t werden. Gern wird dann fast bis zur Unkenntlic­hkeit die „Brasiliani­sierung“englischer Namen betrieben. Bei Europäern führen die fantasiere­ichen Kreationen oft zu Verwirrung, manchmal zu einem Schmunzeln. Denn natürlich sind Franz Beckenbaue­r und Marilyn Monroe Vornamen.

Ausgefalle­ne Fußballern­amen

Am bekanntest­en ist das Phänomen ausgefalle­ner Namensgebu­ng wohl bei Fußballern. Hulk, Pitbull und Dinamita werden dabei noch am ehesten mit dem Fußballfel­d in Verbindung gebracht. Schwierige­r hat es Creedence Clearwater. „Die Menschen denken oft, das ist mein Spitzname. Es ist aber mein richtiger Vorname in der Geburtsurk­unde“, sagt der bekannte Exstürmer und beklagt, dass kaum ein Brasiliane­r seinen Namen ausspreche­n kann.

Inzwischen haben brasiliani­sche Fußballspi­eler mit ihren Kreationen eine eigene Mode geschaffen, indem an englische Namen einfach ein Suffix angefügt wird. Herauskomm­en sind Deividson, Maikson oder Kevinson.

Auch bei den letzten Regionalwa­hlen schafften Kandidaten schon aufgrund ihrer eigenwilli­gen Namen Aufmerksam­keit. So traten Mick Jagger de Brasil und Neymar in São Paulo, Clark Crente (Clark Grant) in Paraná und Bat- man in Espírito Santo an. Mindestens vier Kandidaten hofften augenschei­nlich auf Rückenwind aus dem Weißen Haus und nannten sich Barack Obama.

Genau wie anderorts verraten auch in Brasilien die Vornamen viel über Hoffnungen, Erwartunge­n und unerfüllte Träume der Eltern. Vor allem für ärmere Schichten stehen Hollywood, Walt Disney oder Showstars gern Pate für die Namensgebu­ng. Ein Grund für die fantasiere­iche Namensgebu­ng ist, dass sich Brasiliane­r fast immer beim Vornamen nennen. „Der Vorname stellt für viele Menschen deshalb die größte Identifika­tion dar“, sagte die Soziologin Luci Ribeiro. Bis in die 1950er-Jahre sei es in Brasilien üblich gewesen, sich formell mit dem Nachnamen anzureden. Mit zunehmende­r Informalis­ierung und auch US-ame- rikanische­m Einfluss hat sich diese Tradition aber verändert.

So hielten Valdisnei (Walt Disney), Myquiemaus­i (Micky Maus), Erripóter (Harry Potter), Darzã (Tarzan), Romixinaid­e (Romy Schneider), Maycom Géquiçon (Michael Jackson) und Isteveon- der da Silva (Stevie Wonder da Silva) Einzug in die brasiliani­schen Geburtsreg­ister. Bei Harlei David Son (Harley Davidson) und Usnavi (US-Navy) scheint indes klar, dass sich wohl der Vater mit seinem Namenswuns­ch durchsetze­n konnte.

Gleisi Hoffmann, brasiliani­sche Senatorin und enge Vertraute von Expräsiden­tin Dilma Rousseff, musste schon mehrfach die Herkunft ihres Vornamens erklären. In den 1950er-Jahren bezauberte Schauspiel­erin Grace Kelly die ganz Welt und so auch Brasilien. Die neu geborene Tochter erinnerte Julio Hoffmann aufgrund ihrer blauen Augen an den Hollywoods­tar. Wegen der leichteren Aussprache wurde aus Grace Gleisi.

In Brasilien wurden – wie auch in anderen Kolonien – den ehemaligen Sklaven entweder der Nachname des Gutes oder des „Herrn“verpasst. Deshalb gibt es zahllose da Silvas, Oliveiras, Ribeiros oder dos Santos.

Der bekannte Historiker und Namensfors­cher, Carlos Eduardo Barata, hat eine weitere Erklärung für die Verbreitun­g einiger Nachnamen. Viele Portugiese­n kamen im 18. und 19. Jahrhunder­t als Glücksritt­er nach Brasilien. Um in Anonymität ein neues Leben beginnen zu können, „adoptierte­n“die Auswandere­r damals schon weitverbre­itete Nachnamen wie da Silva.

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Zumindest beim Körperbau ähnelt er dem Comic-Helden: Fußballer Hulk ist nicht der einzige Brasiliane­r mit außergewöh­nlichem Namen.

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